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Impfreihenfolge aufgehobenDas sind die wichtigsten Fakten zum Astrazeneca-Impfstoff

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Der Impfstoff von Astrazeneca ist jetzt für alle Altersgruppen freigegeben. (Symbolfoto)

Köln – Mit dem Corona-Impfstoff von Astrazeneca können sich mittlerweile alle unabhängig von ihrem Alter, Vorerkrankungen oder ihrer Berufsgruppe impfen lassen. Seit der Freigabe stellt sich deshalb für viele Menschen die Frage: Soll ich mich mit dem umstrittenen Vakzin impfen lassen? Die Skepsis dem Impfstoff gegenüber ist wegen dem Auftreten von Hirnvenenthrombosen bei einigen Astrazeneca-Geimpften groß. Viele warten lieber auf einen Impftermin mit Biontech oder Moderna. Doch wie hoch ist das Risiko tatsächlich, sich mit Astrazeneca impfen zu lassen? Ein Faktencheck:

Wie häufig treten Hirnvenenthrombosen auf?

Insgesamt wird die Häufigkeit für die Thrombosebildung nach der Impfung mit Astrazeneca auf weniger als einen Fall pro 10.000 Fälle beziffert. Laut dem für Impfstoffe zuständigen Paul-Ehrlich-Institut (PEI) wurden bis einschließlich dem 20. April rund 4,8 Millionen Erstdosen, sowie 10.211 Zweitdosen Vaxzevria, so lautet der Name des Impfstoffes von Astrazeneca, verimpft. Bis zum 21. April wurden dem Institut 63 Fälle von Hirnvenenthrombosen nach Astrazeneca-Impfungen gemeldet, in allen Fällen nach der Erstimpfung. In zwölf dieser Fälle war der Ausgang tödlich – bei sechs Frauen und sechs Männern. Bei 34 der Fälle wurde zusätzlich eine Thrombozytopenie gemeldet, also eine Verringerung der Blutplättchen.

„Die Sorge vor einer möglichen Hirnvenenthrombose kann ich nachvollziehen, halte diese aber für überhöht, da es sich um eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit handelt“, sagt Oliver Funken, Vorsitzender des Hausärzteverbands Nordrhein dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. „Das Risiko, bei einer Covid-Erkrankung ernsthafte Schäden bis hin zum Tod zu erleiden, ist viel größer – auch bei den Jüngeren.“

Treten Hirnvenenthrombosen auch bei den mRNA-Impfstoffen auf?

Ja. Nach derzeitigem Kenntnisstand allerdings in noch selteneren Fällen als bei Astrazeneca. Dem PEI wurden bis zum 21. April nach einer Impfung mit dem Vakzin von Biontech/Pfizer 12 Fälle einer Sinusvenenthrombose gemeldet. In keinem der Fälle bestand eine zusätzliche Thrombozytopenie. Betroffen waren sieben Frauen im Alter von 47 bis 89 Jahren und fünf Männer im Alter von 33 bis 86 Jahren. Eine 89-jährige Frau und zwei Männer im Alter von 50 und 84 Jahren sind verstorben.

Zur Einordnung: Bis einschließlich 20. April wurden dem Institut circa 11,6 Millionen verimpfte Erstdosen und etwa 5,3 Millionen Zweitdosen mit dem Biontech-Vakzin gemeldet.

Wer ist besonders gefährdet?

Von den insgesamt 63 an das PEI gemeldeten Fällen entfielen 49 Meldungen auf Frauen im Alter von 20 bis 79 Jahren. Dabei lag das Alter in 43 Fällen zwischen 22 und 59 Jahren. Sechs Frauen waren 60 Jahre und älter.

14 Meldungen betrafen Männer im Alter von 20 bis 70 Jahren. In zwölf Fällen waren die Männer 20 bis 59 Jahre alt, in zwei Fällen 60 Jahre und älter. „Astrazeneca ist ein starker Impfstoff und deshalb besonders für ältere Menschen geeignet“, sagt der Allgemeinmediziner Funken. „Jüngere können diesen aber auch nehmen, insbesondere wenn sie immunsupprimierende Medikamente bekommen.“ Einschränkungen gebe es nur bei bestimmten vorbekannten Risiken: Bei Patienten mit Gerinnungsstörungen oder erhöhter Blutungsneigung sowie bei Schwangeren.

Die Ständige Impfkommission empfiehlt nach wie vor nur Menschen, die älter als 60 Jahre sind, sich mit Astrazeneca impfen zu lassen. Die europäische Arzneimittelbehörde EMA dagegen hat die Anwendung von Astrazeneca uneingeschränkt für alle Altersgruppen ab 16 empfohlen. Der Nutzen sei höher zu bewerten als die Risiken. Blutgerinnsel sollten aber als seltene Nebenwirkungen gelistet werden.

Warum sind Frauen häufiger betroffen?

Sinusvenenthrombosen sind mehrheitlich bei Frauen im Alter zwischen 20 und 55 Jahren aufgetreten. Die Ursache ist derzeit noch unklar. Allerdings treten Hirnvenenthrombosen auch unabhängig von Impfungen häufiger bei Frauen in diesen Altersgruppen auf als in anderen Bevölkerungsgruppen.

Wie erkenne ich eine Hirnvenenthrombose?

Dem PEI zufolge tritt eine Sinusvenenthrombose vier bis 16 Tage nach einer Impfung mit Astrazeneca auf. Wer anhaltende Kopfschmerzen entwickelt oder punktförmige Hautblutungen bei sich entdeckt, sollte sich dringend in ärztliche Behandlung begeben. „Alle mit Vaxzevria Geimpften sollen auf mögliche Anzeichen dieser Nebenwirkung achten, auch wenn die Wahrscheinlichkeit des Auftretens sehr gering ist“, rät das Institut.

Wie gut schützt Astrazeneca vor einer Covid-19-Erkrankung?

Experten betonen immer wieder, dass es sich bei Astrazeneca um einen hocheffektiven Impfstoff handelt. Seit der Zulassung des Vakzins hat es mehrere Studien zu der Wirksamkeit gegeben, die zwar zu unterschiedlichen Ergebnissen kamen, jedoch alle im Bereich von 60 bis 80 Prozent lagen.

Die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) etwa bescheinigt dem Impfstoff von Astrazeneca eine Wirksamkeit von rund 60 Prozent. Dabei bezieht die Behörde sich auf zwei Studien aus England und Brasilien. Dem RKI zufolge liegt die Wirksamkeit von Astrazeneca nach derzeitigem Kenntnisstand unter Einhaltung des empfohlenen Abstands von 12 Wochen zwischen beiden Impfungen bei bis zu 80 Prozent in allen Altersgruppen. Der Hersteller selber beziffert die Wirksamkeit seines Vakzins auf Grundlage einer neuen Großstudie mit 32.500 Probanden in den USA, Chile und Peru auf 76 Prozent.

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Die Zahl gibt die Wahrscheinlichkeit an, mit der ein Geimpfter an Covid-19 erkranken kann im Vergleich zu einer ungeimpften Person. Wobei die 40 bis 20 Prozent der Studienteilnehmer, die trotz Impfschutz positiv getestet worden sind, wenn überhaupt nur leichte Symptome wie Husten gezeigt haben. Der Großstudie von Ende März nach schützt der Impfstoff zu 100 Prozent vor schweren oder tödlichen Covid-19-Verläufen.

Wie gut schützt Biontech vor einer Covid-19-Erkrankung?

Die Wirksamtkeit von mRNA-Impfstoffen wie Biontech und Moderna liegt dem RKI zufolge nach erfolgter zweiter Impfung bei 95 Prozent. Die Wahrscheinlichkeit, an Covid-19 zu erkranken ist bei mRNA-geimpften Personen im Vergleich zu ungeimpften Personen also um 95 Prozent verringert.

Welche anderen Nebenwirkungen bzw. Impfreaktionen treten bei Astrazeneca auf?

Nach der Astrazeneca-Impfung hatten 54 Prozent der Probanden Schmerzen an der Einstichstelle, rund die Hälfte der Teilnehmer berichtete von Kopfschmerzen und fühlte sich krank, bei einem Drittel stieg die Körpertemperatur leicht an. Acht Prozent bekamen Fieber. Im Gegensatz zu den mRNA-Impfstoffen ließen die Reaktionen bei der zweiten Impfdosis nach. Jüngere Patienten berichteten häufiger über heftigere Impfreaktionen. Der Grund ist das aktivere Immunsystem von jüngeren Menschen und ist demnach völlig normal.

Was ist mit allergischen Reaktionen?

Auch bei der Impfung mit Astrazeneca können allergische Reaktionen auftreten. Wie das PEI erklärt, sei das, wie bei der Einnahme von Medikamenten, bei allen Impfstoffen der Fall. Dazu gehören sowohl lokale Überempfindlichkeitsreaktionen als auch starke allergische Reaktionen, in sehr seltenen Fällen bis hin zu Anaphylaxien. Patienten sollen deshalb im Anschluss an die Impfung 15 Minuten beobachtet werden, bevor sie die Praxis oder das Impfzentrum verlassen können.

Dass in sehr seltenen Fällen allergische Reaktionen auftreten können, bedeute aber keineswegs, dass Allergiker und Allergikerinnen sich nicht impfen lassen könnten oder sollten, teilt das Institut mit. Eine Kontraindikation bestehe nur, wenn Allergien auf im Impfstoff enthaltene Inhaltsstoffe bekannt seien.

Der Zeitfaktor – Wieviel länger muss ich bei Astrazeneca auf meine Zweitimpfung warten?

Bei Astrazeneca liegt die empfohlene Zeitspanne zwischen Erst- und Zweitimpfung bislang bei zwölf Wochen – drei Monaten also. Bei Biontech und Moderna dagegen müssen Impflinge nur sechs Wochen warten.

Bundesgesundheitsminister Spahn hat nun verkündet, dass das Intervall bei Astrazeneca künftig flexibler gehandhabt und auf vier Wochen verkürzt werden kann. Das sei innerhalb der Zulassung möglich, sagte er. Es ist allerdings umstritten, ob die Verkürzung die Wirksamkeit beeinträchtigen könnte. Unabhängig davon rät Hausärzteverbands-Chef Funken davon ab, wegen des längeren Zeitraums zwischen den Impfterminen auf eine Impfung mit Astrazeneca zu verzichten: „Die Alternative ist weitere Isolation und die Einschränkung der Grundrechte zu ertragen.“

Warum verlängert die EU ihren Vertrag mit Astrazeneca nicht?

Die Europäische Kommission hat ihren Liefervertrag mit dem schwedisch-britischen Hersteller nicht über den Juni hinaus verlängert. Der Grund sind massive Lieferverzögerungen in den letzten Monaten. Unter Verweis auf Produktionsprobleme hatte Astrazeneca demnach im ersten Halbjahr weniger als die Hälfte der vereinbarten 300 Millionen Dosen an die EU geliefert. In Großbritannien wurde die Liefermenge unterdessen offenbar nicht eingeschränkt.

Daher befindet Brüssel sich seit April in einem Rechtsstreit mit dem Unternehmen. Wie EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton dem Radiosender „France Inter“ sagte, habe die Entscheidung nichts mit der Qualität des Impfstoffs zu tun. Astrazeneca sei „ein sehr guter Impfstoff“, betonte er.