Wie morsches Holz brechen die Knochen auseinander. Die Osteoporose – im Volksmund auch „Knochenschwund“ genannt – zählt laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu den weltweit zehn wichtigsten Krankheiten. Alleine in Deutschland leiden unter der Volkskrankheit rund vier bis sechs Millionen Menschen. Und es werden immer mehr, beobachtet Dr. Erik Kelter, Osteologe DVO und Facharzt für Orthopädie am Ambulanten Osteologischen Schwerpunktzentrum in Köln-Dellbrück. Er geht davon aus, „dass sich die Zahl der Osteoporose-Patienten in den nächsten Jahrzehnten verdoppeln wird“. Denn: Die Bevölkerung wird immer älter, sie bewegt sich weniger und ernährt sich ungesünder.
Das wirksamste Mittel gegen Osteoporose ist die Vorbeugung. Sie muss bereits in der Kindheit beginnen, da der Knochenstoffwechsel im Alter zwischen 25 und 35 Jahren seinen Höhepunkt erreicht. Laut Studien bewegen sich Kinder und Jugendliche heute aber deutlich weniger als früher. Sie spielen mehr am Computer als draußen auf dem Klettergerüst. Die Ernährung ist mit süßen Softdrinks und fettem Fast Food auch nicht gesünder geworden. Umstände, die den Aufbau einer stabilen Knochenmasse erschweren.
Kalzium stärkt die Knochen
Die gut 200 Knochen brauchen als Baustoff ausreichend Kalzium. Das wichtige Mineral wird über Milchprodukte, bestimmte Gemüse und Mineralwasser aufgenommen und ist auf die Unterstützung von Vitamin D, das unter Sonnenlicht in der Haut gebildet wird, angewiesen. Zudem braucht das Skelett zur Entlastung starke Muskeln.
Werden die Knochen allzu früh instabil, kann schon das Anheben eines schweren Koffers zur Fraktur führen. Oder wie bei Lisa Sälzer eine einzige Drehbewegung im Liegen: Plötzlich hörte sie im Rücken ein lautes Knacken. Ein Wirbelkörper war gebrochen. Sechs Jahre zuvor hatte die Leiterin der Osteoporose-Selbsthilfegruppe in Köln ihre Knochendichte messen lassen. Das Ergebnis wies auf ein erhöhtes Risiko hin. Mittlerweile hat sich die 72-Jährige von ihrer Knochenfraktur erholt. Weitere Brüche sind bislang ausgeblieben.
Als Knochenschwund wird Osteoporose auch bezeichnet. Laut Definition der Weltgesundheitsorganisation wird die Erkrankung „charakterisiert durch eine niedrige Knochenmasse und Verschlechterung der Mikroarchitektur des Knochengewebes, die zu einer erhöhten Knochenbrüchigkeit führt“.
Menschen mit einer Osteoporose können sich ihre Knochen schon bei alltäglichen Belastungen brechen. Besonders gefährdet sind die Wirbelkörper, der hüftnahe Oberschenkel und der Unterarm. In Deutschland sind 26 Prozent der Bevölkerung über 50 Jahren von Osteoporose betroffen, insgesamt 7,8 Millionen Menschen: 6,5 Millionen Frauen und 1,3 Millionen Männer.
Der Bundesselbsthilfeverband für Osteoporose e.V. mit seinen 16 000 Mitgliedern feiert in diesem Jahr sein 25-jähriges Bestehen. Die Selbsthilfegruppe Köln hat zurzeit knapp 100 Mitglieder. Die Gruppe bietet regelmäßige Treffen an, außerdem Gymnastik, Wanderungen, Fachvorträge sowie aktuelle Informationen über neueste Forschungsergebnisse.
Bundesselbsthilfeverband für Osteoporose e.V.Kirchfeldstraße 149, 40215 Düsseldorf0211/30 13 14-0
Selbsthilfegruppe KölnEltener Straße 11, 50733 Köln0221/869 82 62
Rund 80 Prozent aller Betroffenen in Deutschland sind Frauen in den Wechseljahren. „Nach ihrer letzten Menstruation haben sie eine deutlich verminderte Östrogenproduktion“, erklärt Frauenärztin Dr. Claudia Mlynek-Luhr aus Köln. „Östrogene spielen aber eine wichtige Rolle im Knochenstoffwechsel.“ Sie wirken dem Knochenabbau entgegen. „Auch Männer zeigen einen Abfall der Geschlechtshormone“, schildert Dr. Kelter. „Er setzt aber nicht so abrupt ein.“ Zudem schütze die Männer eine deutlich höhere Knochen- und Muskelmasse.
Typische Symptome gibt es nicht
Osteoporose ist heimtückisch. „Typische Symptome gibt es nicht“, bedauert Dr. Kelter, nur mögliche Hinweise wie etwa eine Rundrückenbildung, Rückenschmerzen oder eine Abnahme der Körpergröße durch kleinste Wirbelbrüche. „Meistens treten diese Symptome erst spät auf“, beobachtet der Facharzt. So wird er umso aufmerksamer, wenn etwa ein Handgelenk, ein Knöchel oder eine Rippe bei nur geringer Krafteinwirkung gebrochen ist.
Schöpft Dr. Kelter einen Verdacht, wägt er die individuellen Risikofaktoren in einem ausführlichen Gespräch ab. Neben Alter und Geschlecht spielen dabei auch Alkohol- und Nikotinkonsum, Ernährung, Bewegung, Gewicht und gewisse Vorerkrankungen eine wichtige Rolle. „Ist das individuelle Osteoporose-Risiko erhöht, erfolgt eine weitere Abklärung“, schildert der Facharzt. Sie besteht aus körperlicher Untersuchung, Röntgenaufnahme der Wirbelsäule, Knochendichtemessung (DXA) und Blutabnahme. Steht die Diagnose Osteoporose fest, rät Kelter als Basistherapie zu einer ausreichenden Versorgung mit Kalzium und Vitamin D.
Erhöhtes Risiko in den Wechseljahren
Frauenärztin Mlynek-Luhr rät Patientinnen, die um die 50 Jahre alt sind, zur Knochendichtemessung. Sie weiß um das erhöhte Risiko in den Wechseljahren. Weitere Kontrollen macht die Medizinerin vom Ergebnis abhängig.
„Obwohl die Osteoporose heute sicher und einfach zu diagnostizieren ist, erhält nur weniger als jede zweite Frau nach einem osteoporose-typischen Knochenbruch eine geeignete medikamentöse Behandlung“, beklagt Dr. Parvis Farahmand von Westdeutschen Osteoporose-Zentrum (WOZ) am Klinikum Leverkusen. Dabei stünden hochwirksame Wirkstoffe zur gezielten Behandlung zur Verfügung. Sie werden individuell eingesetzt, um den Knochen wieder bruchfester zu machen, erklärt WOZ-Direktor Prof. Johann D. Ringe. Er verschreibt etwa Bisphosphonate – je nach Einzelfall als Wochentablette, als intravenöse Spritze alle drei Monate oder als Kurzinfusion einmal pro Jahr. Als weitere Medikamente nennt er Raloxifen, Alfacalcidol, Strontiumranelat und neuerdings auch Denosumab. Zusätzlich Schmerzmittel verordnet Ringe nur „wenn nötig, um Beweglichkeit zu ermöglichen“. Von Bandagen oder Korsett hingegen rät er ab. Sie führten zum Abbau der Muskulatur und verschlechterten die Osteoporose.
Alkohol und Nikotin meiden
Grundsätzlich empfiehlt der Mediziner, sich viel zu bewegen, nebenbei aber auch gesund zu ernähren und auf Alkohol sowie Nikotin zu verzichten. Auch Dr. Kelter verordnet seinen Osteoporose-Patienten viel Bewegung, etwa in Form von Physiotherapie und Reha-Sport: „Sie sind ideal geeignet, um aktiv Koordination und Beweglichkeit zu trainieren sowie die Muskulatur zu stärken“, erklärt der Kölner Facharzt. Zudem weist er seine Patienten auf die Osteoporose-Selbsthilfegruppen hin.
Sälzer, die Kölner Gruppenleiterin, war ohne die Diagnose zur Osteoporose-Selbsthilfegruppe gestoßen. Die Seniorin hatte – frisch in Rente – nach einem sinnvollen Ehrenamt gesucht und die Leitung übernommen. „Ohne die Selbsthilfegruppe wäre ich nicht auf die Idee gekommen, mich auf Osteoporose untersuchen zu lassen“, erzählt sie. Die 72-Jährige lebt ganz gut mit ihrer Erkrankung: „Ich versuche, mich ausreichend zu bewegen.“ Mindestens dreimal am Tag führt sie ihren Pudel Timmy aus, zudem besucht sie regelmäßig die Rückenschule.Das Risiko, an Osteoporose zu erkranken, ist beeinflussbar. Dr. Kelter rät insbesondere zum „Verzicht auf Nikotin und Lebensmittel mit hohem Phosphatgehalt“; außerdem zu einer kalziumreichen Ernährung und zu einem – wenn möglich – täglich halbstündigen Sonnenbad von Gesicht und Armen, damit die Haut das Vitamin D bilden kann.
Der regelmäßige Genuss etwa von Coca-Cola erhöht bei Frauen das Erkrankungsrisiko, besagt die „Framingham Osteoporosis Study“. „Das Getränk enthält wenig Kalzium, dafür aber viel Koffein und Phosphorsäure“, erläutert Dr. Kelter. „Phosphat führt dazu, dass weniger Kalzium in die Knochen eingelagert wird.“ Auf Sälzers Speiseplan stehen indes #imageMilch, Hartkäse und einmal wöchentlich Fisch. Ob sie durch die Osteoporose eingeschränkt sei? „Vielleicht gehe ich ein bisschen vorsichtiger mit mir um und trage nicht den ganzen Wasserkasten herauf“, antwortet sie.
Die Zunahme an Osteoporose belastet auch das Gesundheitssystem. Die Kosten für die Behandlung einer Osteoporose seien so groß wie die von Herzinfarkt und Schlaganfall zusammen, meint Prof. Johannes Pfeilschifter, Chefarzt des Alfried-Krupp-Krankenhauses in Essen und Wissenschaftlicher Beirat des Bundesselbsthilfeverbandes für Osteoporose (BfO). In Deutschland liegen die Krankheitskosten jährlich im einstelligen Milliardenbereich.
Unsere Experten am Telefon
02 21/ 777 003 2851Dr. Parvis Farahmand, Arzt für Innere Medizin, Westdeutsches Osteoporose Zentrum (WOZ)
02 21/ 777 003 2852Dr. Erik Kelter, Arzt für Orthopädie, Osteologisches Schwerpunktzentrum Dellbrück
02 21/ 777 003 2853Dr. Claudia Mlynek-Luhr, Frauenärztin, beantwortet Fragen zur Osteoporose-Vorbeugung