Der Countdown läuft. Nimmt man den Titel der aktuellsten „Hart aber Fair“-Ausgabe am Montagabend wörtlich, dann verbleiben uns nur noch wenige Stunden in einer freien Welt vor einer Jahrhundertwahl. Wenige Stunden, in denen Moderator Frank Plasberg seine Gäste mit Fragen rund um die Kandidaten zur 59. US-Wahl konfrontiert, deren Antworten die meisten von ihnen nur zu erahnen vermögen. Was wird im Falle einer Wiederwahl Trumps passieren? Was im Falle seiner Abwahl? Würde Joe Biden die Beziehungen zwischen Deutschland und den USA tatsächlich verbessern? Wie fasst es Plasberg salopp zusammen: „Aus deutscher Sicht sieht vieles einfach aus, aber aus anderer Perspektive ist es doch oft schwieriger.“
Die Gäste
Das zeigt umso mehr die Diskussion, bei der eben diese beiden Sichtweisen an einem Tisch zusammenkommen – oder ehrlicherweise an Corona-gerechten Einzelplätzen:Moderator und Journalist Ingo Zamperoni, der als Korrespondent für das ARD-Auslandsstudio in Washington arbeitete und mit einer Amerikanerin verheiratet ist. US-Bürgerin Candice Kerestan als Vorsitzende der Democrats Abroad Germany, Gegenspieler George Weinberg als Geschäftsführer der Republicans Overseas Germany. Außerdem Politikwissenschaftlerin Christiane Lemke, der Journalist und Leiter des deutschen „Politico“-Büros Matthew Karnitschnig sowie Norbert Röttgen (CDU) als Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses.
„Ehrlich gesagt ist es einfacher, die Tagesthemen zu moderieren, als den Streit zwischen dem Schwiegervater als Trump-Wähler und dem Rest der Familie“, gibt Zamperoni zu und unterstreicht damit: Die Zerrissenheit innerhalb und über die USA hinaus ist nicht nur politischer Natur. Sie spaltet ein ganzes Land, entlädt sich durch das stumpfe Zweiparteiensystem auch auf persönlicher Ebene. Etwas, das laut Norbert Röttgen nicht passieren darf, der die wechselnde Stimmung zwischen den Gästen während der Sendung eher aus dem Hintergrund beobachtet. „Hass darf nicht Einzug ins politische Leben finden. Vor allem nicht dieser aggressive Hass, der keine Diskussion zulässt, sondern nur noch zwei Pole, die sich gegenüberstehen.“
Demokratin Kerestan gegen Republikaner Weinsberg
An den anderen beiden Enden dieser Pole stehen an diesem Abend symbolisch Candice Kerestan und George Weinberg, beide als US-Bürger wahlberechtigt. Die eine aber macht ihr Kreuz auf Seiten der Demokraten, der andere auf denen der Republikaner. Während Kerestan mit dem Zugang zu Bildung, Krankenversicherungen und gleichen finanziellen Chancen für Amerikaner Pro-Argumente für Biden sammelt, versucht Weinberg, sie mit ähnlichen Gedankengängen abzuspeisen, wie sie Donald Trump selbst auf Twitter verbreitet: „Trump ist nach seinem Krankenhausaufenthalt wieder topfit und alle, die sich bei der Veranstaltung im Weißen Haus mit Corona angesteckt haben, auch. Es ist eine Pandemie, fertig. Da muss man durch“, sagt er etwa, oder: „Momentan kommen so unheimlich viele Sachen raus, die die Familie Biden belastet. Da würde ich mir mehr Gedanken drum machen als um Trump.“
Plasbergs Versuche, ihn etwa mit Trumps unbestreitbarem Rassismus zu konfrontieren: vergeblich. Schließlich trägt Weinberg an diesem Abend, sei es zufällig oder nicht, selbst eine Kombination aus roter Krawatte und Anzug, in der Trump sich oft zeigt.
Die Diskussion
Ihre Sorgen äußerten nahezu alle Gäste hinsichtlich der Demokratie in den USA. Christiane Lemke: „Trump lebt diese demokratischen Regeln nicht, missachtet den Kongress, die Öffentlichkeit und greift die Journalisten an. Ein Stresstest für die Demokratie. Ohne ein eindeutiges Ergebnis bei der Wahl kann alles mögliche passieren.“ Auch Zamperoni hat Bedenken – relativiert die Lage aber und sagt, Trump könne nicht ewig Präsident bleiben und müsse sich dann auch dem stellen, dem er bisher auszuweichen versuche: etwa dem Verfahren wegen Steuerhinterziehung, die Vorteilsnahme wegen des Trump-Hotels. Der Anschuldigung einer Frau, er habe sie im Jahr 1990 vergewaltigt. Vorwürfe, von denen ihn das Präsidenten-Amt bislang immunisierte, so Lemke.
Was gegen Trump spricht, spricht für Matthew Karnitschnig noch lange nicht für Biden. Die Deutschen könnten gar nicht einschätzen, wie Biden sich nach der Wahl verhalten werde. Was viele Trump-Wähler bis heute überzeuge: Das Einhalten von Versprechen wie die Steuersenkung und dass er es geschafft hat, weitere konservative Richter in den Supreme Court zu berufen. Und dennoch bleibt der Journalist optimistisch, was Trumps Niederlage anbelangt: „Hillary Clinton zweifelt das Ergebnis von 2016 bis heute noch an, das wird Trump auch. Aber ich kenne niemanden, der bereit wäre, für ihn in den Krieg zu ziehen. Wenn er die Wahl verliert, werden die Republikaner ihn fallen lassen.“
Das Ergebnis
So angeregt die Diskussion, so eindeutig dann am Ende doch das potenzielle Wahlergebnis in der Runde: Fünf Stimmen für Biden, nur Weinberg spricht sich als bekennender Republikaner für Trump aus – der immer wieder Kopfschütteln von Kerestan erntet. So richtig zu widersprechen scheint dann aber keiner mehr zu wollen, vor allem als die Rolle Deutschlands ins Spiel kommt. „Wir wären heute kein freies Land ohne die USA, hätten keinen Wohlstand. Die Beziehung zu den USA bleibt eine besondere, wichtige“, findet Norbert Röttgen.
Und während die Runde an Kraft verliert, ohnehin festgeschriebene Meinungen umzupolen, steigt die Spannung am Dienstag weiter. Auch, wenn der Atlantik dazwischen liegt – „und aus deutscher Sicht vieles einfach aussieht“.