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Neue Fähigkeiten, psychischer DruckWas Kindern nach dem schwierigen Schuljahr bleibt

Lesezeit 4 Minuten
Schüler lernt mit Tablet

Kinder haben sich im Turbodurchlauf neue, digitale Fähigkeiten angeeignet.

Köln – Was bleibt haften bei Schülerinnen und Schülern nach einem Jahr, das bestimmt wurde von digitalem Fernunterricht, in dem soziale Kontakte auf ein Minimum reduziert wurden und ein gemeinsames Lernen mit anderen Kindern und Jugendlichen nur kurzzeitig möglich war?

„Corona ist ein zweischneidiges Schwert“, sagt Xueling Zhou in der ersten Woche der lang ersehnten Sommerferien. Die 16-Jährige hat gerade die elfte Klasse am Genoveva-Gymnasium in Köln-Mülheim abgeschlossen. Sie ist dort Schülersprecherin und Mitglied des Vorstands der Landesschüler*innenvertretung in Nordrhein-Westfalen.

„Wurden ins kalte Wasser geschmissen“

„Wir wurden ins kalte Wasser geschmissen und wissen jetzt, wie wir mit Computern umgehen und digital recherchieren und lernen können“, bilanziert Zhou im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. „Aber die Psyche und soziale Kompetenzen haben gelitten.“ Das zeige sich besonders bei den ganz jungen Kindern: „Grundschülerinnen und -schüler in der ersten Klasse haben ihre Klassen bisher kaum gesehen und wissen in vielen Fällen gar nicht, wie sie mit anderen im Unterricht umgehen sollen, wie sie gemeinsam lernen können und wie sie sich dabei verhalten.“

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Den Eindruck der psychisch hohen Belastung bei vielen Kindern bestätigt Prof. Stephan Bender, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität zu Köln: Belastungen hätten sich angehäuft, sagt der Wissenschaftler: „Die Psyche reagiert zeitversetzt. Das zeigt sich auch jetzt noch, obwohl die Inzidenzzahlen runter gehen und die Schulen wieder geöffnet wurden.“

Die Nachfrage nach Behandlungen sei ungebrochen erhöht, so Bender. „Da wirkt nach, was sich an Stress angestaut hatte durch den Verlust von gewohnten Rhythmen, Freizeitmöglichkeiten und sozialen Kontakten.“ Der Stressfaktor bleibe auch künftig hoch, solange Kinder nicht flächendeckend geimpft seien, es also weiter Testungen in den Schulen geben müsse und auch größere Corona-Ausbrüche möglich seien.

Ein gewisser Vorteil bleibt

Kinderpsychologe Bender sagt unterdessen, beim Homeschooling erfolgreiche Kinder könnten einen gewissen Vorteil haben, wenn sie später studieren möchten – ohne verschulten Stundenplan und weitgehend auf sich alleine gestellt. „Sie haben im Distanzunterricht bereits gelernt, wie sie selbstständig lernen und digital arbeiten können“, sagt der Klinikdirektor. „Viele von ihnen haben digitale Kompetenzen ausgebildet, wissen, wie sie online recherchieren, statt nur mit Schulbüchern, oder wie sie bei Präsentationen ihren Bildschirm teilen.“

Ein wohlwollendes Fazit des vergangenen Schuljahres will er deswegen noch lange nicht ziehen: „Das ist nicht mehr als ein positiver Nebeneffekt einer schwierigen Zeit, in der das wichtige Lernumfeld auch für die soziale Interaktion gefehlt hat.“

Xueling Zhou

Xueling Zhou, 16, ist Schülersprecherin des Genoveva-Gymnasiums in Köln-Mülheim.

Die Politik, allen voran Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP), habe die Kinder in der Krise alleingelassen, lautet Xueling Zhous Urteil. Es sei erwartet worden, dass Schülerinnen und Schüler schon irgendwie bereit sein würden, selbstständig digital zu arbeiten, ihren Tagesablauf komplett zu strukturieren und sieben, acht Stunden vor dem PC zu sitzen. „Dabei hatten wir vorher nie wirklich eigenständige Projekte, bei denen wir das hätten lernen können“, sagt Zhou. „Ich habe in der 11. Klasse bei der Facharbeit zum ersten Mal wirklich eigenständig gearbeitet.“

Bei der Wahl der Kölner Oberbürgermeisterin im vergangenen Jahr habe sie Mitschülerinnen und Mitschüler gefragt, ob sie wählen gehen, erzählt Zhou. „Oft war die Antwort: »Nein, nützt doch nichts, für uns passiert eh nichts.« Dass wir in der Krise nicht so viel gezählt haben, wie Politikerinnen und Politiker immer behaupten, haben sie uns mit ihrer Politik unter die Nase gerieben“, sagt die Kölner Schülerin.

„Jugend hatte keine hohe Priorität“

„Die Jugend hatte keine hohe Priorität“, sagt auch Dario Schramm, Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz und frischgebackener Abiturient aus Bergisch Gladbach. „Weder beim Impfen noch bei Luftfiltern haben Kinder und Jugendliche eine bedeutende Rolle gespielt“, sagt der 20-Jährige. „Das hat sicher eine Marke bei jungen Menschen hinterlassen.“

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Damit das Vertrauen in die Politik, deren Verantwortliche es in den vergangenen Jahren versäumt hatten, die Schulen durchgängig zu digitalisieren, nicht langfristigen Schaden nimmt, wünscht sich Prof. Stephan Bender, dass Kindern gezeigt wird, an welcher Stelle es in der Krise auch mal gut funktioniert hat. Solche Best-Practice-Beispiele müssten zu „Blaupausen für die Zukunft“ werden.

„Wir jungen Leute haben in der Krise im Turbodurchlauf gelernt, für uns verantwortlich zu sein“, sagt Dario Schramm und wirft einen optimistischen Blick in die Zukunft: „Diese Fähigkeiten kann uns keiner mehr nehmen.“