Düsseldorf/Köln – Die Sommerferien haben begonnen – die Schulen schließen dennoch nicht. So besuchte NRW-Bildungsministerin Yvonne Gebauer (FDP) soeben die Sonnenschule in Beckum, eine städtische katholische Grundschule, die bereits vor den Ferien damit begonnen hat, ihre Schülerinnen und Schüler auf den Wechsel in die 5. Klasse vorzubereiten.Das Programm wird in den Ferien weitergeführt, im Rahmen der „Extra-Zeit zum Lernen“, mit dem die Landesregierung Lernlücken schließen will. Dies unterstützt Gebauer symbolisch durch ihre Schulbesuche. Corona hat insbesondere Kinder und Jugendliche aus sozial schwachen und bildungsfernen Familien schwer zurückgeworfen.
Eine Studie stellt dem Distanzunterricht während der Corona-Krise ein schlechtes Zeugnis aus. Forscher der Frankfurter Goethe-Universität haben dafür Daten aus aller Welt geprüft – mit einem beklemmenden Ergebnis: „Die durchschnittliche Kompetenzentwicklung während der Schulschließungen im Frühjahr 2020 ist als Stagnation mit Tendenz zu Kompetenzeinbußen zu bezeichnen und liegt damit im Bereich der Effekte von Sommerferien“, sagt Andreas Frey, einer der Autoren der Studie.
Großes Interesse an Förderprogrammen
Die Landesregierung stellt bis zum Sommer des kommenden Jahres bis zu 60 Millionen Euro für außerschulische Bildungs- und Betreuungsangebote zur Verfügung. „Die Extra-Zeit stößt auf großes Interesse“, heißt es auf Anfrage aus dem Bildungsministerium in Düsseldorf. „Insgesamt sind im Zeitraum seit dem 9. März 2021 bis zum Stichtag vom 29. Juni 2021 bereits Mittel in Höhe von mehr als 10,3 Millionen Euro für über 5300 Gruppen- und über 200 Individualmaßnahmen bewilligt worden.“
Darüber hinaus arbeitet das Ministerium für Schule und Bildung in NRW daran, aufbauend auf den Erfahrungen mit der „Extra-Zeit“ die Umsetzung des Bundesprogramms „Aufholen nach Corona“ vorzubereiten. Von einer Milliarde Euro, die für die Kompensation von Lernrückständen vorgesehen sind, entfallen auf Nordrhein-Westfalen rund 215 Millionen Euro. Das Land wird die Mittel in gleicher Höhe aufstocken. „Die Extra-Zeit wird mit dem Bundesprogramm sinnvoll in einem abgestimmten Gesamtkonzept verbunden, das verschiedene Aspekte von schulischer und außerschulischer Bildung berücksichtigt. Damit wird eine wirksame Unterstützung der Kinder und Jugendlichen, ihrer Familien und der Schulen ermöglicht“, heißt es aus Gebauers Ministerium. Die Unterstützung solle in drei Säulen erfolgen: mit Budgets für Schulträger und auch direkt für Schulen zur Förderung der Schülerinnen und Schüler; mit zusätzlichen Mitteln für mehr Personal in Schulen zur Verstärkung des pädagogischen Personals, und für Kooperationsprojekte des Landes mit weiteren Partnern.
Aufgrund des lange währenden Wechsel- und Distanzunterrichts konnte etwa der reguläre Sportunterricht für die Schülerinnen und Schüler mitunter gar nicht oder nur eingeschränkt in den Schulen stattfinden. "Gleichzeitig warnen Fachleute immer wieder vor den gravierenden Folgen des Bewegungsmangels bei Kindern und Jugendlichen", so Gebauer. Vor diesem Hintergrund bringen die Landesregierung und der Landessportbund gemeinsam ein Programm auf den Weg, um die entstandenen Bewegungsdefizite auszugleichen. "Dabei geht es um eine gelingende Kooperation von Schulsport mit dem Sport in der Freizeit und im Verein."
Soziale Maßnahmen
Eine zweite Milliarde Euro aus Bundesmitteln soll in soziale Maßnahmen fließen, um auch die psychischen Krisenfolgen für Kinder und Jugendliche abzufedern. Hier geht es vor allem um eine Aufstockung von bestehenden Programmen im Bereich frühkindlicher Bildung, in der Schulsozialarbeit und im Freizeitbereich. Flächendeckend starten soll das Unterstützungsprogramm im neuen Schuljahr, doch erste Maßnahmen sind auch schon in den Sommerferien geplant.
Die Opposition in Nordrhein-Westfalen glaubt, dass diese Anstrengungen nicht ausreichen. „Die bisherigen Maßnahmen der Landesregierung reichen nicht aus, damit unsere Kinder und Jugendlichen ohne Folgen aus der Corona-Pandemie kommen“, sagt Jochen Ott, bildungspolitischer Sprecher der SPD im Düsseldorfer Landtag.
Ott will 80 zusätzliche Unterrichtsstunden
„Um die zum Teil erheblichen Lernrückstände, die Defizite im sozialen Miteinander und auch die psychischen Einschränkungen aufzufangen, brauchen wir eine echte Förderoffensive“, meint er – eine solche Offensive müsste 80 zusätzliche Unterrichtsstunden umfassen. Um das nötige pädagogische Personal gewinnen zu können, sollen zum Beispiel pensionierte Lehrkräfte sowie Studierende der verschiedenen pädagogischen Berufe eingesetzt werden.
Andere Bundesländer haben diese Hilfen bereits umgesetzt. Im grün-schwarz regierten Baden-Württemberg wurde das Förderprogramm „Bridge the Gap“ („Überbrücke die Lücke“) aufgelegt, in dessen Rahmen Lehramtsstudierende an die Schulen kommen, um dort möglichst individuell ausgerichtet Rückstände aufzuholen – in Mathematik, in den Sprachen, aber auch in den Naturwissenschaften. Theresa Schopper, grüne Wissenschaftsministerin des Landes, zeigt sich beeindruckt vom großen Interesse der Studierenden, in dieser Situation zu helfen.
In Nordrhein-Westfalen werden die Angebote vor Ort von Trägern geplant und durchgeführt. Neu hinzugekommen als Träger sind auch hier die Universitäten, die ebenfalls zur Aufarbeitung der Pandemiefolgen im Bildungsbereich beitragen und Förderanträge stellen können. Grundsätzlich finden die Angebote in Präsenz statt.