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Jahresrückblick„Sauerei“: Großes Entsetzen im Kreis Euskirchen über Fluthilfebetrug

Lesezeit 8 Minuten
Container voller zerstörter Sachen stehen auf diesem Symbolfoto, das kurz nach der Flutkatastrophe entstanden ist, in der Euskirchener Innenstadt.

Die Flutkatastrophe im Juli 2021 brachte viele Menschen um ihr Hab und Gut. Einige andere versuchten offenbar, Kapital aus dem Ereignis zu schlagen. (Symbolfoto)

Es geht immer um Millionen Euro: bei mutmaßlichen Betrügereien nach der Flut, im Prozess ums Euskirchener Marien-Hospital und in der Kreispolitik.

Selbst wortgewandten Politikern fehlen manchmal die Worte. Was soll man auch dazu sagen, wenn einige wenige Zeitgenossen nichts Besseres zu tun haben, als Hilfsgelder auf betrügerische Art und Weise in die eigenen Taschen zu leiten, während die, die an Leib und Seele sowie an Hab und Gut bei der Flutkatastrophe 2021 wirklich Schaden erlitten haben, genau dieses Geld dringend brauchen, um irgendwie wieder auf die Beine zu kommen.

Euskirchens Bürgermeister Sacha Reichelt (parteilos) jedenfalls macht aus seinem Herzen keine Mördergrube. „Das ist eine solche Sauerei“, reagiert er, als am 11. Dezember bekannt wird, dass Hilfen in Höhe von 4,6 Millionen Euro auf kriminelle Weise ergaunert worden sein sollen. Was hätten die wirklich Betroffenen mit diesem Geld alles wieder aufbauen können?

„Sauerei“: Euskirchens Bürgermeister Sacha Reichelt ist außer sich

Im Januar hatte die Ermittlungsgruppe „Camillo“ des Kriminalkommissariats 23 der Bonner Polizei sowie der Polizei Euskirchen die Arbeit aufgenommen. Nun ist es soweit: In Euskirchen werden 15 Objekte durchsucht, die übrigen in Mechernich, Kassel und Stuttgart. 80 Beamte sind an diesem Dezembermorgen im Einsatz. 182 Ermittlungsverfahren werden eingeleitet gegen 136 Beschuldigte.

Sie sollen Flutschäden vorgetäuscht haben, um öffentliche Hilfsgelder abzukassieren. Neun Millionen Euro hatten sie laut Polizei beantragt.

Zwei deutsch-libanesische Frauen im Alter von 35 und 42 Jahren gelten als „Hauptbeschuldigte“. Sie allein sollen laut Polizei einen hohen sechsstelligen Betrag betrügerisch erlangt haben.

Schon in dem Moment, in dem ich das Ausmaß erkannt habe, war mir klar, dass damit auch betrogen werden würde.
Ulrich Linden, Leiter der Kripo Euskirchen, über seine Gedanken nach der Flut

Doch diese Razzia ist nur der Höhepunkt im Bereich Fluthilfebetrug. Bereits seit 2022 macht das in Schleiden angesiedelte Kriminalkommissariat 3 kreisweit Jagd auf Fluthilfebetrüger. Im Visier sind dabei sowohl Menschen, die versucht haben, an Geld zu gelangen, obwohl sie gar nicht geschädigt waren, als auch Menschen oder Firmen, die die Not der Betroffenen ausgenutzt haben. Denn in ihrer Not haben Betroffene Sanierungsarbeiten in Auftrag gegeben und bezahlt, die dann gar nicht oder nicht korrekt ausgeführt wurden.

Profis erstaunt das keineswegs. Wo Geld zu bekommen ist, sind auch Ganoven in der Regel nicht weit. Ulrich Linden, Leiter der Kripo Euskirchen, erinnert sich an den Tag nach der Flut: „Schon in dem Moment, in dem ich das Ausmaß erkannt habe, war mir klar, dass damit auch betrogen werden würde.“ Die Betrugssumme in den 120 von der Kreispolizei bearbeiteten Fällen beziffert der Kripo-Chef mit mehreren Millionen Euro in einem einstelligen Bereich.

Razzia in 16 Wohnungen in Euskirchen und Mechernich

„Betrug gab es schon immer“, sagt auch der Eifeler Hans Mießeler, der mit seiner Frau Sabine seit Sommer 2021 unentwegt Flutopfern hilft. „Das fing schon in den Versorgungszelten kurz nach der Flut an.“ Damit müsse man leben, deshalb könne man ja nicht die Hilfe einstellen. Wenn er aber von Betrug bei der Fluthilfe höre, denke er an all die Betroffenen, die lange auf Hilfe warten müssen.

„Viele Menschen sind mit den Anträgen überfordert“, sagt Mießeler. Oft führten schon kleinere Fehler dazu, dass die Hilfen vermindert oder spät bei den Betroffenen ankämen. Dass die zuständigen Mitarbeiter der Bezirksregierung Köln die Anträge genau prüfen, sei verständlich, so Mießeler: „Die müssen ja so genau hinsehen, sonst bekommen sie Ärger.“

Auch das ist ein trauriger Effekt der Betrügereien, wie auch Sacha Reichelt herausstellt: „Etwa 0,1 Prozent der Menschen, die auch noch aus einem solchen Leid für so viele Betroffene Kapital für sich schlagen wollen, verhindern genau das, was wir immer fordern: schnelle und unbürokratische Hilfe.“


Prozess in Bonn: Euskirchener Marien-Hospital um 6,6 Millionen geschädigt

Wie konnte das passieren? Um insgesamt 6,6 Millionen Euro sollen die drei Angeklagten, die seit Ende Oktober vor dem Bonner Landgericht stehen, die Stiftung Marien-Hospital in 13 Fällen bandenmäßig geschädigt haben. So sieht es die Staatsanwaltschaft.

Der ehemalige Geschäftsführer der Stiftung und Klinik-Chef bestreitet am ersten Verhandlungstag über seine Anwälte die Vorwürfe und schweigt. Die zwei anderen Beschuldigten, ein ehemaliger technischer Leiter der Stiftung und ein Bauunternehmer aus dem Kreis Euskirchen, räumen indessen weite Teile der Anklage ein.

Verwaltungsrat der Stiftung in der Kritik

Allein rund fünf Millionen soll das Trio der Stiftung in Rechnung gestellt haben, indem es einen Waffenfund beim Bau einer Tagesklinik und anschließende Separierungsarbeiten fingiert habe, so die Anklage. Zudem habe der Ex-Geschäftsführer einige Arbeiten an seinem Privatgrundstück vornehmen lassen, die dann über die Stiftung abgerechnet worden seien.

Doch wurde es den Beschuldigten nicht auch sehr einfach gemacht? Hätten beim Verwaltungsrat der Stiftung die Alarmglocken nicht früher schrillen müssen? Der Anwalt des Bauunternehmers jedenfalls kommt zu diesem Schluss.

Für den früheren Klinikchef gibt es dann am Jahresende noch eine schlechte Nachricht: Er muss das Weihnachtsfest 2024 dort verbringen, wo er schon das Weihnachtsfest 2023 verbracht hat: in Untersuchungshaft – wegen Fluchtgefahr, wie das Gericht die Ablehnung eines entsprechenden Antrags begründet. Der Prozess wird im neuen Jahr fortgesetzt.


Im Kreis Euskirchen wird es wohl weitere Steuererhöhungen geben

Ein altes Politikstück feiert Comeback. Jahrelang war es ziemlich ruhig, wenn es um die Kreisumlage ging. Kunststück: Die Steuerquellen sprudelten ja. Doch damit ist nun Schluss.

Als Landrat Markus Ramers den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern verkündet, dass sie für 2025 rund 230 Millionen Euro und damit 31 Millionen mehr als 2024 zahlen müssen, damit der Kreis für sie und ihre Bürger eine Reihe von Aufgaben übernehmen kann, schauen die erst einmal sparsam. Doch sparsam schauen allein reicht nicht, sparsam sein in vielen Fällen auch nicht mehr. Höhere Steuern für die Bürger sind vielerorts unvermeidlich.

Und das vor einem Superwahljahr! Die CDU kritisiert eifrig den SPD-Landrat und fordert ihn auf, mal eben fünf Millionen aus dem 532-Millionen-Euro-Etatentwurf herauszusparen. Wo, das lässt die CDU offen. Der Landrat lässt Kritik an sich abprallen und verweist auf die millionenschweren Zwänge, die so ein Kreishaushalt birgt.

Einig sind sich dann wiederum alle darin: Bund und Land sind schuld, dass Kommunen so derart unterfinanziert sind. Auch das kennen betagtere Beobachter aus den Kreisumlage-Ritualien früherer Jahre.

Und nun? Achtung Spoilergefahr! Früher wurden immer noch ein paar Euro eingespart und in die Rücklage gesteckt. Dann sah es nicht mehr ganz so schlimm aus, obwohl es das immer noch war. Geplante Wiederaufführung: Herbst 2025.

Handwerkskammer und IHK vermelden unterdessen schlechte Stimmung bei Firmenchefs im Kreis.


Aus dem vierten Quartal 2024: Gedenkstein für „Eifelpapst“, Aufatmen im Krankenhaus und Brand in Unterkunft

Donnerstag, 3. Oktober: Eine 30 Jahre alte Frau ist in einer Wohnung im Zülpicher Ortsteil Füssenich in einem Mehrfamilienhaus getötet worden. Die Polizei verdächtigt den 34-jährigen Ehemann, ihr mit einem Messer die tödlichen Verletzungen zugefügt zu haben.

Dienstag, 8. Oktober: Ein zwei Tonnen schwerer Grauwackeblock in Nonnenbach erinnert fortan an den am 29. Oktober 2023 verstorbenen Biologen und Bodenkundler Prof. Dr. Wolfgang Schumacher. Der „Eifelpapst“ gilt als Begründer des Vertragsnaturschutzes in NRW.

Harry Kurt Voigtsberger, Carsten Vorwig, Ulrike Gaubitz, Rita Schumacher und Markus Ramers stehen um den Gedenkstein.

Der Gedenkstein für „Eifelpapst“ Wolfgang Schumacher mit den Initiatoren Harry Kurt Voigtsberger (NRW-Stiftung, v.l.), Carsten Vorwig (LVR Museum Kommern) Steinmetzin Ulrike Gaubitz, Rita Schumacher und Landrat Markus Ramers.

Samstag, 19. Oktober: Das erste Ortsschild im Kreis mit der Zusatzbezeichnung in Eifeler Platt steht in Eschesch, in Eicherscheid also. Weitere zweisprachige Schilder sollen folgen, um die Eifeler Mundart zu fördern. Sie sind in Mechernich, Schleiden und Nettersheim geplant.

Montag, 29. Oktober: Die Arbeiten zur Elektrifizierung der Eifelstrecke werden offiziell gestartet: 500 Millionen Euro sind vorgesehen, damit 2028 umweltfreundliche Elektrozüge zwischen Köln und Trier verkehren können, heißt es. Später wird bekannt: Es dauert wohl bis 2029.

Dienstag, 5. November: Das Bangen im Kreiskrankenhaus Mechernich hat ein Ende: Der perinatale Schwerpunkt zur Versorgung von Frühchen und die Komplexe Gastroenterologie mit aufwendigen Untersuchungen des Magen- und Darmtrakts bleiben trotz Krankenhausreform.

Wael Shabanah, Dr. Herbert Schade und Tatjana Klug kümmern sich um einen Säugling.

Auf der Kinderintensivstation kümmern sich die Chefärzte Wael Shabanah (l.) und Dr. Herbert Schade, hier mit Tatjana Klug, Chefärztin Frauenheilkunde und Geburtshilfe, um die kleinen Sorgenkinder.

Sonntag, 10. November: Nach fast 30 Jahren ihres Bestehens wird zum letzten Mal in der Galerie Spectrum in Euenheim eine Ausstellung eröffnet. Der Titel beschreibt die Haltung des Betreiber-Ehepaars Karin und Frank Günter Zehnder: „Der Kunst verpflichtet.“

Samstag, 23. November: Großeinsatz für Feuerwehr und Rettungsdienst: Ein Gebäude der Flüchtlingsunterkunft in Vogelsang steht in Flammen. Ein 35-jähriger Bewohner soll das Feuer gelegt haben. Der Mann wird in U-Haft genommen. Ihm werden schwere Brandstiftung und versuchter Mord in sieben Fällen zur Last gelegt.

Jennifer Corsten hält einen Blumenstrauß in der Hand. Alfred Jaax und Sacha Reichelt stehen links und rechts neben ihr.

Der Erste Beigeordnete Alfred Jaax (l.) und Euskirchens Bürgermeister Sacha Reichelt empfangen im Rathaus die städtische Erzieherin Jennifer Corsten, um ihr Engagement als Stammzellenspenderin zu würdigen

Freitag, 29. November: Vor 10 Jahren hatte sich Jennifer Corsten typisieren lassen. Nun hat die 37-jährige Bad Münstereifelerin einer US-Amerikanerin, die an Blutkrebs litt, Stammzellen gespendet. Euskirchens Erster Beigeordneter Alfred Jaax und Bürgermeister Sacha Reichelt ehrten Corsten, die in einer Euskirchener Kita arbeitet.

Mittwoch, 4. Dezember: 219 Millionen Euro sollen in die künftigen Berufskollegs in Euskirchen und Kall investiert t werden, entscheiden die Politiker im Kreis-Planungsausschuss. Das Thomas-Eßer-Kolleg in Euskirchen soll sogar komplett neu errichtet werden. Ein Großteil des Geldes kommt aus dem Wiederaufbaufonds nach der Flut.

Freitag, 13. Dezember:Landrat Markus Ramers (SPD) verkündet in Social Media, 2025 erneut zu kandidieren. Auch Dahlems Bürgermeister Jan Lembach will wieder antreten. Dr. Hans Peter Schick (Mechernich), Hermann-Josef Esser (Kall), Rudolf Westerburg (Hellenthal) und Anne Horst (Weilerswist) beenden 2025 ihre Amtszeit.

Freitag, 13. Dezember: Im Kreistierheim in Mechernich werden sechs angeblich ausgesetzte Labrador-Mischlinge mit Fehlstellungen der Pfoten aufgenommen. Eine Mitarbeiterin schöpfte allerdings Verdacht. Inzwischen sind die Halter ermittelt worden. Dem Kreistierheim entstehen durch den Fall jedoch hohe Kosten.

Jana Goebel hält eines der Welpen auf den Händen.

Im Tierheim in Mechernich kümmert sich Jana Goebel um sechs Labrador-Welpen, die mit Missbildungen an den Pfoten dort abgegeben wurden.

Samstag, 14. Dezember: Am Ende gab es dann doch einen Lichterzug – wenn die Aktion auch nicht mehr so groß ist wie in den vergangenen Jahren. Der bürokratische Aufwand war vielen Organisatoren zu groß. Immerhin: Ein Konvoi aus 37 Lkw und Traktoren fährt von Kall nach Schleiden – als Demonstration gegen zu viel Bürokratie.