Mechernich-Vussem – Rita Schmitz wohnt seit ihrer Kindheit am Höhenweg in Vussem. „Ich war noch ein Schulkind, als das Schild mit dem Straßennamen aufgestellt wurde“, erinnert sich die heute 70-jährige Rentnerin. Vor mehr als 40 Jahren baute sie dort, in Sichtweite ihres Elternhauses, mit ihrem Mann Josef ein Einfamilienhaus. „Da war die Straße auch schon längst asphaltiert“, berichtet die Vussemerin weiter. Es habe auch schon eine Straßenbeleuchtung und Versorgungsleitungen gegeben. Später sei dann auch noch eine Gasleitung verlegt worden.
Ist die Straße fertig oder nicht?
Familie Schmitz und ihre Nachbarn sehen den Höhenweg seit Jahrzehnten als fertige innerörtliche Straße an – zumindest im unteren Bereich, der in der alten Vussemer Ortsmitte an Trierer Straße und Nordstraße grenzt. Deshalb haben die Anwohner auch kein Verständnis für die Sicht der Mechernicher Stadtverwaltung, die jetzt den Ausbau des Höhenwegs geplant hat.
Im Haupt- und Finanzausschuss des Mechernicher Rates wurden in dieser Woche die Arbeiten für den „erstmaligen Ausbau“ des Höhenwegs vergeben. Die Kosten in Höhe von mehr als 1 Million Euro sollen zu 90 Prozent die Anwohner tragen.
„Es ist nicht allein an der Schwarzdecke festzumachen, ob es sich um eine bestehende Straße handelt oder nicht“, erläutert der Erste Beigeordnete Thomas Hambach die Sicht der Verwaltung. Im Stadtarchiv habe man keine Hinweise dazu gefunden, ob der erstmalige Ausbau des Höhenwegs eventuell bereits vor der Kommunalreform von der Vorgänger-Gemeinde Vussem-Bergheim abgeschlossen worden sei. „Die Verwaltung ist der Auffassung, dass es sich bei den nun anstehenden Arbeiten um eine Ersterschließung handelt“, stellte auch Bürgermeister Hans-Peter Schick (CDU) in der Ausschusssitzung klar.
Für die knapp 20 Anwohner des Höhenwegs, die zu der Sitzung nach Kommern gekommen waren, geht es beim Streit um die Klassifizierung der Baumaßnahme um viel Geld, denn wenn die Arbeiten nicht als Ersterschließung, sondern als Erneuerung einer bestehenden Straße angesehen werden, könnten die Kosten künftig mit einer entsprechenden Förderung zu 100 Prozent vom Land getragen werden (siehe „Wie werden Baukosten abgerechnet?“).
Wie werden Baukosten abgerechnet?
Erstmalige Herstellung:
Wer einen Bauplatz in einem Neubaugebiet erwirbt, muss für die neu hergestellten Straßen, Wege und Plätze sowie Grünanlagen und Lärmschutzeinrichtungen Erschließungsbeiträge zahlen. Hier ist aktuell keine Änderung geplant. Rechtsgrundlage dafür ist das Baugesetzbuch (BauGB). Die Stadt Mechernich zum Beispiel legt laut Satzung 90 Prozent dieser Kosten auf die Anlieger um.
Zeitpunkt der Abrechnung:
Dieser führte in der Vergangenheit immer wieder zu Streit. Daher will das Land NRW nun eine Verjährungsfrist von zehn Jahren nach Fertigstellung einführen. Jenseits dieser Grenze sollen die Gemeinden dann keine Erschließungsgebühren mehr eintreiben dürfen. Die Neuregelung in NRW soll am 1. Juni 2022 in Kraft treten.
Bestehende Straßen:
Hier werden in NRW Straßenausbaubeiträge nach dem Kommunalabgabengesetz (KAG) erhoben. Vorübergehend will das Land diese Straßenausbaubeiträge vollständig übernehmen. Das haben in dieser Woche die Landtagsfraktionen von CDU und FDP mit Bauministerin Ina Scharrenbach (CDU) angekündigt. Die endgültige Abschaffung, für die sich zuvor bereits SPD und Bündnis 90/Die Grünen ausgesprochen hatten, soll jedoch auf einen Termin nach der NRW-Landtagswahl verschoben werden. (thw)
„Es fehlt der politische Wille, eine bürgerfreundliche Entscheidung zu treffen“, wirft unterdessen Anwohner Ralf Schumann der Mechernicher Verwaltung vor. „Man hätte die Maßnahme sehr gut aufteilen können, denn auch für uns Anwohner ist unbestritten, dass es sich im oberen Teil des Höhenwegs tatsächlich um eine Ersterschließung handelt“, betont Schumann. Im oberen Teil sind erst in den vergangenen Jahren einige Neubauten entstanden, und dort ist der Höhenweg tatsächlich nicht mehr als ein wahlweise staubiger oder schlammiger Feldweg.
„Wenn die komplette Baumaßnahme jetzt als Ersterschließung angesehen und abgerechnet wird, kommen auf uns Kosten in Höhe von rund 45 000 Euro zu“, rechnet Josef Schmitz vor. Einige Nachbarn müssten sogar mit bis zu 200 000 Euro rechnen, hat er im Gespräch erfahren. „Wir sind Rentner, uns geht es nicht schlecht. Aber solche Summen überfordern uns einfach. Und junge Familien erst recht“, so Schmitz weiter.
Lange Straße, aber nur wenige Anwohner
Die hohen Summen für die einzelnen Familien kämen auch dadurch zustande, dass die Anzahl der Anlieger an dem rund 550 Meter langen Weg überschaubar sei. Teilweise sei aus Gründen des Naturschutzes auch nur eine einseitige Bebauung möglich.
Anwohner Ralf Schumann, der beruflich mit Immobilien zu tun hat und sich tief in die Materie eingearbeitet hat, sieht auch schon mögliche Probleme für die korrekte Kostenabrechnung der Baumaßnahme: „Das ist hoch komplex, denn die Stadt hat ja betont, dass Kosten, die im Rahmen des Hochwasserschutzes im Höhenweg entstehen, nicht auf die Anlieger umgelegt werden sollen“, spielt er auf die beabsichtigte Erneuerung eines kanalisierten Bachlaufs an. „Ich stelle mir das schwierig vor, alles genau zu trennen, wenn die Straße im unteren Bereich auf eine Tiefe von bis zu vier Metern ausgebaggert werden soll, um eine 800er-Kanalleitung zu verlegen“, so Schumann.
Zur Klage bereit
Auch Kosten für den Rückbau der bestehenden Straße seien in der Aufstellung enthalten. „Am Ende werden sich wohl die Gerichte mit dem Thema befassen und prüfen müssen, ob die Kosten wirklich korrekt abgerechnet wurden“, sagt Schumann, der bereit ist, im Falle eines Falles den Rechtsweg zu beschreiten.
Beigeordneter Hambach kann den Unmut der Anwohner verstehen. „Wir haben alles genau ausgearbeitet, werden uns den Sachverhalt aber noch einmal ansehen, bevor abgerechnet wird“, betont er im Gespräch mit dieser Zeitung. Die Auftragsvergabe zum jetzigen Zeitpunkt sei unumgänglich gewesen, so Hambach: „Wer die Preisentwicklung auf dem Bausektor kennt, der weiß, dass es sonst nur noch teurer wird.“