Braucht Burscheid den Komplex an der Montanusstraße wirklich? Karl Ulrich Voss hat Zweifel und sie der Stadtverwaltung übermittelt.
InnenstadtprojektWas gegen Burscheids „Neue Mitte“ spricht
Für Bürgermeister Dirk Runge ist es genauso klar wie für den Stadtrat. Der neue Komplex an der Montanusstraße wird Burscheid guttun. Die „Neue Mitte“ wird der Stadt mehr Anziehungskraft verleihen und Lücken im Einzelhandelsangebot schließen. Derzeit liegt der Bebauungsplan, in dem das Projekt des Investors Wierig im Detail beschrieben ist, öffentlich aus. Diesen Verfahrensschritt nimmt Karl Ulrich Voss zum Anlass, die „Neue Mitte“ kritisch unter die Lupe zu nehmen.
Der Jurist aus Kuckenberg ist seit jeher ein politischer Kopf; 2009 trat er als unabhängiger Kandidat bei der Bürgermeisterwahl an. Kritisch sieht er auch die große Einmütigkeit, mit der nach dem Tod von Stefan Caplan Dirk Runge als parteiloser Kandidat auf den Schild gehoben und dann auch gewählt wurde.
Das Einkaufszentrum an der Montanusstraße, glaubt Voss, ist „aus ökonomischer, ökologischer und infrastruktureller Dimension nicht schlüssig begründet“. Der Bau werde für Burscheid „zu signifikanten Standortnachteilen führen, die außer Verhältnis zu den derzeit objektivierbaren Vorteilen stehen“. Seine Einschätzung beruht unter anderem auf Aussagen aus einem Gutachten zum Einzelhandel in Burscheid aus dem vorigen Herbst. Danach gibt es in der Stadt schon jetzt überdurchschnittlich viel Einzelhandelsfläche, nämlich 20 Prozent mehr.
Alles zum Thema Ina Scharrenbach
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Es gibt schon genug Einzelhandel in Burscheid
Daraus folgt, dass mit dem Einkaufszentrum nicht etwa eine bisher nicht gedeckte Nachfrage befriedigt werde. Vielmehr werde es „auf einen ausgeprägten Wettbewerb treffen und diesen forcieren“. Denn es sei auch nicht zu erwarten, dass die „Neue Mitte“ neue Käuferschichten aus dem Umland anzieht: Das sei mit Einzelhandel gut versorgt, referiert Voss weitere Aussagen aus dem Einzelhandelsgutachten. Das gelte in jedem Fall für den Edeka-Markt, wahrscheinlich aber auch für den Drogeriemarkt „dm“. Denn diese seit der Schlecker-Pleite in Burscheid tatsächlich bestehende Angebotslücke werde schon vorher von der Konkurrenz Rossmann geschlossen, die in der Innenstadt eine Filiale eröffnen wird. Das, so prognostiziert Voss, werde Folgen für Burscheids Gewerbesteueraufkommen haben „und damit die ohnehin geringen Spielräume der Stadt bei der Förderung der lokalen Wirtschaftstätigkeit weiter einschränken“.
Mit Blick auf die Konkurrenz zum bestehenden Handel zieht Voss sogar in Zweifel, dass sich die neuen Geschäfte an der Montanusstraße überhaupt profitabel betreiben lassen. Der Mann aus Kuckenberg vermag in dem Komplex keine besonderen Merkmale zu erkennen, die Kunden anlocken könnten. Die im Handelsgutachten beschriebene „gute Erreichbarkeit“ sieht er noch nicht einmal. Der neue Marktplatz liege an einer untergeordneten Straße und sei von Durchfahrtsstraßen aus nicht zu sehen. Wer mit dem Bus kommt, müsse einen „fünfminütigen, für Einkäufe beschwerlichen Fußweg“ in Kauf nehmen. „Insoweit ist die bereits etablierte Konkurrenz zumeist besser aufgestellt“, glaubt Voss.
Die Lust am Neuen wird erlahmen
Auch auf die Attraktivität des Neuen mag der Kritiker nicht zählen. Das sei schließlich ein vergänglicher Effekt. Vielmehr habe das Projekt einen erheblichen Nachteil, jedenfalls für die Geschäfte: die Tiefgarage. Sie werde sich – das seien gesicherte Erkenntnisse bei Anbietern von Nahrungs- und Genussmittel – „signifikant negativ auf den Umsatz auswirken. Danach vermeidet insbesondere die weibliche Kundschaft Tiefgaragen, wenn sie wählen kann“.
Dass die „Neue Mitte“ von vornherein ökonomisch auf wackligen Füßen steht, werde ja auch im Integrierten Einzelhandelskonzept für Burscheid klar gesagt, so Voss: „Eine erste Wirtschaftlichkeitsbetrachtung kommt zu dem Ergebnis, dass die Entwicklung des Areals auch mit einem SB-Markt wirtschaftlich nicht auskömmlich ist.“
Womöglich eine Hitzeinsel in der Stadtmitte
Es geht Voss aber nicht nur um Ökonomie, sondern auch um Ökologie. Der große Baukörper am Rand der Balkantrasse werde „mit hoher Wahrscheinlichkeit das Stadtklima beeinflussen und insbesondere Wärmespitzen überhöhen“. Der nach Süden ausgerichtete und nach Norden abgeschlossene Platz habe jedenfalls im Sommer erhebliche Nachteile. Dort werde es absehbar zu heiß.
Mehr noch: Das Ganze könne eine Hitzeinsel werden, „die bis zur Hauptstraße ausstrahlen kann“, glaubt der Kuckenberger. Daran würden auch begrünte Dächer und Pflanzen nichts ändern. Dazu kommt: Der ökologische Ausgleich für die an der Montanusstraße zusätzlich versiegelten Flächen wird im Naturschutzgebiet Steeger Berg stattfinden. Das liegt in Kürten. „Wie immer man den Effekt einer solchen Kompensation auch bewerten mag, er wird keinesfalls Burscheid und den Burscheidern selbst zugutekommen“, so Voss.
Schließlich: die Rampe zur Balkantrasse. Nach den Plänen wird sie eine Steigung von zehn Prozent haben – viel zu viel für Radler, aber auch für Fußgänger. Das müsste man umplanen und die Rampe anderswo bauen, fordert Karl Ulrich Voss.