Schon an den vergangenen Verhandlungstagen hatte sich Jussuf L. als unkonventioneller Angeklagter erwiesen.
Überraschung im ProzessLeverkusener gesteht, Überfall mit einem Messer begangen zu haben
Der Vorsitzende Richter der 12. Großen Strafkammer am Landgericht Köln, Wolfgang Schorn, hatte wohl selbst nicht damit gerechnet, dass seine Rückfragen an Jussuf L. (Name geändert) die Beweisführung derart erleichtern würden. Nachdem der Angeklagte am ersten Verhandlungstag des Gerichtsverfahrens noch abgestritten hatte, seinem Opfer bei dem Überfall am Hildener Bahnhof ein Messer an die Kehle gehalten zu haben, gab er dies am Dienstagvormittag freimütig zu.
Zuvor hatte Schorn die von der Polizei protokollierten Aussagen des Opfers verlesen. Die Verwunderung über diesen unverhofften Moment der Ehrlichkeit war allen Teilnehmenden des Prozesses sichtlich anzumerken. Auch Strafverteidiger Marcus Hertel musste sich noch einmal bei seinem Mandanten vergewissern: „Ich bin zwar nicht dran, aber ich muss kurz mal dazwischen gehen. Sie hatten vorher gesagt, sie hätten kein Messer bei der Tat benutzt!“ Doch, das stimme schon alles so, wie seine flüchtige Bekanntschaft aus der S-Bahn das ausgesagt habe, erwiderte der Angeklagte.
Leverkusener mit „einem Tag der Wahrheit“
Auch sonst war Jussuf L. am dritten Verhandlungstag „erfrischend ehrlich“, wie sich Richter Schorn ausdrückte. Auf die Rückfrage, ob der Angeklagte das bei dem Diebstahl im Opladener Edeka entdeckte Brotmesser generell zur Ausübung von Gewalt vorgesehen habe, entgegnete dieser zur allgemeinen Erheiterung: „Na ja, hätten Sie mich umgewichst, hätte ich mich damit natürlich gewehrt.“ Grundsätzlich habe er aber das Messer bei sich geführt, um Brot zu schneiden oder Drogen zu zerkleinern, versicherte der Angeklagt erneut.
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Bei ihrem Plädoyer unterstrich die Staatsanwältin, es stehe fest, dass der Angeklagte alle ihm vorgeworfenen Taten so begangen habe, wie sie in der Anklageschrift beschrieben seien: Dies betreffe den Tritt in den Rücken der Frau am Bahnsteig des Opladener Bahnhofs, den Diebstahl von Schokolade und Rasierern im Edeka an der Pommernstraße und den Raubüberfall am Hildener Bahnhof, bei dem nun auch geklärt sei, dass Jussuf L. sein Opfer mit einem Messer bedroht habe.
Gefängnis oder Psychiatrie?
Deutlich komplizierter sei die Beurteilung, ob der Angeklagte seine Strafe im Gefängnis oder nach Paragraf 63 des Strafgesetzbuches in einem psychiatrischen Krankenhaus zu verbüßen habe: Ein Gutachter habe festgestellt, dass der Angeklagte unter paranoider Schizophrenie leide und ohne die Einnahme von Suchtmitteln nicht mehr leben könne. Damit sei er nur vermindert schuldfähig. Allerdings müsse darüber hinaus erwartbar sein, dass der Angeklagte auch in der Zukunft erhebliche Straftaten begehe.
Ein Sachverständigengutachten habe ergeben, dass bei Jussuf L. nach wie vor eine Hemmschwelle vorhanden sei, führte die Staatsanwältin aus. Sie habe die Vermutung, dass der einschlägig vorbestrafte Angeklagte die Unterbringung in einer forensischen Einrichtung als angenehmer empfinden würde, da in der Haftanstalt ein „anderes Kaliber an Leuten“ auf ihn warte. „Eine Unterbringung ist aber kein Urlaub“, betonte die Staatsanwältin. Sie beantrage eine im Gefängnis anzutretende Freiheitsstrafe von sechseinhalb Jahren.
Verteidigung: Psychiatrische Unterbringung „schärfstes Schwert“
„63er oder nicht? Das ist wirklich hier die Frage.“ Mit diesen Worten eröffnete Verteidiger Hertel sein Plädoyer und räumte ein, sich in der ungewöhnlichen Situation zu befinden, das Pferd von hinten aufzuzäumen. Die Rechtsprechung reduziere die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht auf schwerste Delikte. Zudem sei es ein Gerücht, dass diese Art des Strafvollzugs eine Wohltat sei. Gegebenenfalls käme man dort als Eingewiesener nie wieder raus, da man den Entscheidungsträgern nicht einfach ein wenig Reue vorspielen könne, ordnete Hertel ein.
Sein Mandant wisse, was in der Forensik auf ihn zukäme und er begrüße dies. Er sei jemand, der Hilfe brauche, aber in einer Justizvollzugsanstalt könne der Angeklagte nicht mal seine Drogensucht behandeln lassen. Das Gericht, das im Übrigen nicht nur die Aufgabe zu strafen, möge dies berücksichtigen, so der Rechtsanwalt. Dem schloss sich Jussuf L. an: Er wolle in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht werden, „um eine Zukunft zu haben“. Sein Ziel sei es, abstinent zu werden und vielleicht in 15 Jahren ein neues Leben zu beginnen. Das Urteil in dem Verfahren, das laut Richter Schorn „nochmal richtig Drive bekommen“ hat, spricht das Gericht am kommenden Dienstag.