Auch in Leverkusen sind zahlreiche Graffiti-Sprayerinnen und -Sprayer am Werk.
Rundgang mit Graffiti-KünstlerDas sind die schönsten Street-Art-Werke in Leverkusen
Wenn man es genau nimmt, dann feiert Carsten Klett in diesem Jahr sein kreatives Jubiläum. „Ich habe 1993 angefangen mit dem Sprühen“, erinnert er sich. Als immer schon am Zeichnen interessierter Mensch, der in Teenagerjahren ein Faible für die Hip-Hop-Kultur entwickelte – und ein Teil von der ist die Graffiti-Kunst – geschah das damals zwangsläufig.
Heute, drei Jahrzehnte später, ist er zweifelsohne einer der bekanntesten Sprayer Leverkusens. Bringt als jemand, der rund um die Jugendszene und im Betreuerteam des Hauses der Jugend an der Kolberger Straße aktiv ist, wiederum viele Teenager und junge Erwachsene, wenn man so will, an die Farbdose. Und er nimmt seine Stadt, sobald er sie zu Fuß, mit dem Rad, dem Auto oder sonst wie durchstreift, anders wahr als andere Menschen. Carsten Klett schaut nach links und nach rechts – und erkennt am laufenden Band: Bilder, Motive, Schriftzüge, Namen.
Sein Metier, die Graffiti-Kunst, ist zwar ein Bestandteil der in Leverkusen ebenfalls allerorts anzutreffenden Street-Art. Aber es ist doch alles irgendwie anders. Beim Graffiti geht es nämlich nicht nur um Ästhetik. Es geht auch um Abgrenzung. Um Konkurrenz. Um das Miteinander-Messen mit der Dose in der Hand. Jedem Menschen sind die zahllosen Schriftzüge mit Fantasienamen an Wänden, Brücken, Pfeilern, Mauern bekannt, die nicht immer schön aussehen und eher eine Art Reviermarkierung darstellen.
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So fängt wohl jeder Sprayer einmal an. So hat auch Carsten Klett angefangen. Längst aber ist er jemand, der nichts mehr mit derlei Schmierereien zu tun hat. Er sprüht anspruchsvolle Bilder. Und das in der Regel auf freigegebene Flächen. Und wer sich ihm an die Fersen heftet zum Rundgang durch die Graffiti-Stadt, der erlebt sein blaues Wunder des Name-Droppings. Der wird mit Namen überflutet, die Carsten Klett neben, in und hinter Bildern erkennt. Egal ob sie nun legal oder illegal gesprüht wurden.
Leverkusen: Schriftzüge geben Hinweise
„Wenn du die Augen offen hältst, siehst du, wer wo aktiv ist. Die Leute aus der Szene fallen dir im Stadtbild auf“, sagt er. Und: Anhand der Bilder oder „Tags“, wie die Namensschriftzüge im Szenesprech heißen, könne man letztlich sagen, wie alt der dahinter steckende Sprüher oder die Sprüherin sei und wie lange er oder sie schon im Szenegetümmel mitmische.
Viele der Aktiven trifft Carsten Klett auch am Haus der Jugend. Vor dem sowie dem direkt angrenzenden Kulturausbesserungswerk (KAW) steht schließlich eine der größten Mauerflächen Leverkusens, eine „Hall“, die ganz offiziell besprüht werden dürfe. „Da kommen viele der Leute regelmäßig hin.“ Und manchmal entdecke – oder besser: enttarne – er dann auch jemanden, dessen Spuren er schon irgendwo in der Stadt gesehen habe.
Ein Rundgang entlang der wichtigsten Graffiti-Orte Leverkusens mit Carsten Klett dauert Stunden und führt unter anderem in das Gebiet hinter der Bonner Straße. Nach Rheindorf unter die Brücke nahe des Kriegerdenkmals. An die Wupper hinter der Reuschenberger Mühle. Nach Küppersteg und Bürrig. In das Gebiet rund ums Klinikum. Nach Wiesdorf, wo die Mauern der alten Ganser-Brauerei besprüht wurden. Oder auf die Balkantrasse oberhalb des Naturgutes Ophoven. Zig Stellen. Und überall: Bilder. Und Namen.
Carsten Klett selbst gehört zu einer Gang. „Die meisten, die sprayen, organisieren sich so“, sagt er. Allein dieser Gruppengedanke unterscheide die Graffiti-Szene von der Street-Art-Szene, in der die Akteurinnen und Akteure eher für sich unterwegs sind. Und wenn sie einmal zusammenkommen, dann geschieht das eher in Form von lockeren Happenings. Nicht in Abgrenzung von Gangs oder Crews untereinander.
Was auffällt – und gleichzeitig den von Außenstehenden gerne und häufig geäußerten, unwahren Klischees widerspricht: Nichts an den Bilder von Carsten Kletts Gruppe ist irgendwie destruktiv oder auf Provokation aus – was auch auf die Werke vieler anderer Sprayerinnen und Sprayer zutrifft. Im Gegenteil. An der Wupper etwa haben er und seine Leute gemeinsam große, sich über fünf, zehn, 15 Meter erstreckende Bilder an Brückenmauern gemalt, auf denen Homer Simpson aus der Comicserie „Die Simpsons“, fliegende Schweine oder allerlei andere cartoonähnliche Figuren zu sehen sind.
Ein Graffito für die eigene Familie
Und unterhalb des Europarings hat Carsten Klett sogar sich und seine Familie verewigt: Ein Totenschädel grinst unter dem Hut eines irischen Kobolds, eines Leprechauns, hervor und auf einer sich um den Schädel herumschlängelnden Banderole stehen verschlugen die Namen seiner Frau, seiner Kinder sowie sein eigener Künstlername: Cuba.
Und dann gibt es da noch andere. Viele andere. Zum Beispiel Shaic. Ein Urgestein der Szene. Oder Razek, dessen meist extrem zackig und großformatig-verschnörkelt gesprühter Namensschriftzug in der ganzen Region zu finden ist und nach Aussage von Carsten Klett davon zeugt, dass der Sprayer dahinter ein Könner seines Fachs ist: „Das erkennt man an den Formen und wie sie aufeinander abgestimmt sind. An den Relationen der Buchstaben untereinander“, sagt er. Der Respekt vor dem Kollegen im kreativen Geiste ist hörbar. Überhaupt: So etwas bekomme man nur als jemand hin, der Unmengen Erfahrung und einen hohen künstlerischen Anspruch habe.
Häufig zu sehen sind in Leverkusen auch die mit zig runden und ineinander fließenden Formen bestechenden Bilder Vertigos, die selten weniger als viele Meter lang daherkommen. Wimmelbilder im Graffiti-Stil. Auch Tusk ist ein alter Bekannter in der Szene und gefühlt überall zu lesen, finden, sehen. Dann gibt es noch Dreist. Oder die Düsseldorfer Crew namens Pigz, die sich vielerorts verewigt hat.
Darüber hinaus Fink aus dem Umland der Stadt. Den Leverkusener Liam, der zarte, mitunter auch autobiografisch geprägte Motive sprüht. Den Künstler Opus, der so gut ist, dass er schon viele Auftrags-Arbeiten angenommen hat – unter anderem stammt der Kopf des grinsenden Ex-Höhner-Frontmannes Henning Krautmacher auf einem Stromkasten der EVL in Schlebusch von ihm.
Und es gibt die „neue Generation“, zu der nach Carsten Kletts Aussage unter anderem Peilo – ebenfalls gefühlt überall in der Stadt als Tag zu lesen – oder Sky gehören. Apropos: Insbesondere Sky ist jemand, der Carsten Klett, der doch so viele Sprayende persönlich kennt, fasziniert. Sky hat er nämlich noch nicht persönlich getroffen. Skys Identität ist selbst ihm, der sich auskennt, bislang unbekannt. Immerhin: „Ich habe eine Vermutung, wer dahinterstecken könnte.“ Womöglich, sagt Carsten Klett, handele es sich um eine junge Künstlerin, die zur Leverkusener Szene gehöre. Ganz sicher wird er das noch herausfinden.
Kritik an Graffiti ist nicht neu
Als jemand, der soviel über die Szene weiß und der so intensiv mit Institutionen wie der Autobahn GmbH oder der Bahn wegen möglicher Sprühflächen in Kontakt steht und Erlaubnisse für entsprechende Graffiti-Aktivitäten einholt, weiß Carsten Klett natürlich auch über die Kritik an der Sprüherei. Bilder und Schriftzüge landen schließlich nicht selten auf nicht genehmigten, nicht fürs Sprayen freigegebenen Flächen. Kurzum: Sie sind illegal und ihre Urheberinnen oder Urheber werden im härtesten Falle strafrechtlich verfolgt.
Aber dieses Problem sei durchaus aus hausgemacht, sagt Carsten Klett, denn: „Es gibt generell viel zu wenig legale Flächen in Leverkusen. Da herrscht ein großer Bedarf. Wenn man sich also mal wieder über illegale Graffiti beklagt, sollte man auch das bedenken.“
Unter anderem die zur Millionenkunst gewordenen gesellschaftskritischen und politisch aufgeladenen Bilder etwa eines Banksy, die mittlerweile weltweit in Museen hängen, in der Hochkultur angekommen sind und zigfach abgedruckt werden, haben diese Art der Kunst zwar bekannter und anerkannter gemacht. Bis hinein in den Mainstream. „Als Kunstlehre ist die Sprühdose ein nicht mehr wegzudenkendes Medium“, betont Carsten Klett denn auch. Und dennoch hat Graffiti nach wie vor einen seltsamem, halblegalen, manchmal zwielichtigen Ruf.
Was nicht zuletzt aber auch an solchen Leuten liege, die mit Vorliebe irgendwelche Schmierereien über Bilder der Profis sprühen – der Fachbegriff dafür lautet „crossen“ – und mit dieser plumpen Provokation den Zorn der Szene auf sich ziehen, wie er sagt. Wenn diese Saboteure erwischt würden, drohe entsprechend auch eine ordentliche Abreibung.
Doch wie auch immer sich die Graffiti-Szene in Leverkusen in Zukunft entwickelt – in den vergangenen Jahren etwa traten, wie in anderen großen Fußballstädten auch, die Ultras von Bayer 04 Leverkusen in eine Art Konkurrenz zu den herkömmlichen Sprayern und Sprayerinnen – fest steht: Carsten Klett und alle anderen werden auch weiterhin alles daransetzen, ihre Stadt bunter zu machen. „Ich habe eine lange Liste mit Flächen, bei denen es mir wirklich in den Fingern juckt“, sagt er – und lächelt,. denn: Legal sind die nicht immer. Noch nicht jedenfalls. Er stehe hier und da in Verhandlungen.
Einstweilen freut er sich dann einfach schonmal auf die anstehende Leverkusener Kunstnacht am Freitag, 20. Oktober. In der dürfen Carsten Klett und befreundete Sprühende nämlich ein zum Abriss stehendes Backsteingebäude an der Siemensstraße in Alkenrath mit Graffiti-Kunst versehen. Von innen und von außen. Sprich: Austoben ist angesagt. Mit der Dose in der Hand. Und jeder Menge Ideen im Kopf.