AboAbonnieren

Bluttat in SchlebuschLeverkusener Messerstecher zu hohen Haftstrafen verurteilt

Lesezeit 4 Minuten
Der jüngere Angeklagte im Prozess um eine tödliche Messerstecherei in Schlebusch am 18. Februar 2024 betritt Saal 112 im Kölner Landgericht.

Der jüngere Angeklagte hatte eingeräumt, sich am Abend des 18. Februar mit einer Scherbe zur Wehr gesetzt zu haben. Er wohnt in Bergisch Gladbach.

Das Gericht sieht den gemeinschaftlichen Totschlag am 18. Februar als bewiesen an. Familienangehörige der Angeklagten sorgen für einen Tumult.

Zu achteinhalb und neun Jahren Gefängnis sind am Donnerstagnachmittag die beiden Syrer verurteilt worden, die sich am Sonntagabend, 18. Februar, mit ihrem Schwager auf der Mülheimer Straße in Schlebusch getroffen hatten. Danach war der Landsmann so schwer verletzt, dass er bis zu seinem Tod am 1. März nicht mehr aus dem Koma erwachte. 14 Messerstiche bekam er allein in den Rücken, insgesamt waren es an die 20. Das war zwar „kein Mordkomplott“, erklärte die Vorsitzende Richterin der 11. Großen Strafkammer, Sabine Kretzschmar. Aber „gemeinschaftlicher Totschlag“.

Bis zuletzt hatten die beiden angeklagten Brüder – einer 40 Jahre alt und wohnhaft in Bergisch Gladbach, der andere ist 55 und wohnt nicht weit vom Klinikum Leverkusen – bestritten, ein Messer zu dem verhängnisvollen Treffen mitgebracht zu haben. Ihre Verteidigerinnen Kirstin Stolte und Karin Bölter hatten noch am Dienstag gefordert, ihre Mandanten freizusprechen und sie damit auch sofort aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Die Kölner Richter sahen diese Darstellung nach der Vernehmung vieler Zeugen und dem ausführlichen Studium von Videoaufzeichnungen „eindeutig als Schutzbehauptung widerlegt“, so Kretzschmar.

Auf einem Video seien, so die Richterin, „massive Stichbewegungen“ des älteren Angeklagten zu erkennen. Dessen Verteidigerinnen vollzogen das nicht nach.

Auch ein Zeuge sieht ein Messer, flüchtet, ruft die Polizei

Erhebliches Gewicht hatte zudem die Aussage eines Mannes, der kurz nach 19 Uhr auf der Mülheimer Straße mit dem Auto unterwegs war – und zwar ziemlich langsam, weil auf der geraden Strecke kurz vor der Stadtgrenze zu Köln oft geblitzt werde, wie er sagte. Der Familienvater hatte eine Prügelei gesehen, hielt an, setzte ein paar Meter zurück und hupte. So wollte er zeigen, dass es Zeugen gibt. Im Auto saßen seine Frau und die beiden Kinder. Als dann aber ein Mann mit einem Messer in der Hand auf seinen Wagen zugekommen sei, habe er Gas gegeben. Sekunden später wählte er den Notruf, beschrieb die Szene und setzte hinzu: „Einer hat ein Messer.“ Auf einem Video ist nach Überzeugung der Richter klar zu erkennen, dass der 55 Jahre alte Angeklagte dieses Messer in der Hand hatte. Deshalb wurde er zu neun Jahren verurteilt.

Der Schlebuscher Angeklagte im Prozess um eine tödliche Messerstecherei auf der Mülheimer Straße im Kölner Landgericht.

Der ältere der beiden Angeklagten behauptet, er habe in dem tödlichen Streit nur schlichten wollen. Er wohnt in Schlebusch.

Die Folge: Das Gericht sieht den 55 Jahre alten, sechsfachen Familienvater als Täter an. Allerdings habe auch sein 15 Jahre jüngerer Bruder auf den Schwager eingeschlagen. Dass er dabei mindestens die Scherbe einer Bierflasche benutzte, hatte er zu Beginn des Prozesses zugegeben. Das sei aber reine Notwehr gewesen: Zuvor habe der Schwager ihm die volle Flasche über den Kopf gezogen, er sei also erheblich verletzt gewesen.

Ein provokantes Video besiegelt das Schicksal des Opfers

Nach Überzeugung des Gerichts war die Familienfehde schon fast ausgestanden, als das Opfer ein Video machte und es in etwa so kommentierte: „Die kleinen Brüder hauen ab.“ Danach sei aus der Schlägerei eine Messerstecherei geworden. Schließlich wurde der 30-Jährige in einem dunklen Hof neben der „Stadtgrenz-Schänke“ so traktiert, dass er beinahe sein gesamtes Blut verlor. Im Klinikum wurde er notoperiert. Trotzdem konnten ihn die Ärzte nicht mehr retten.

Die Spirale der Gewalt ließe sich fortsetzen. Damit wäre niemandem gedient
Sabine Kretzschmar, Vorsitzende Richterin

Im selben Krankenhaus trafen auch die beiden Angeklagten ein: Der Jüngere konnte wegen seiner stark blutenden Kopfwunde nicht mehr mit dem Auto fahren, der Ältere nahm ihn mit in seine Wohnung, von dort ging es zu Fuß in die Ambulanz. Dass sofort eine Verbindung hergestellt wurde zwischen dem Schwerstverletzten und den beiden anderen Syrern, ist der Geistesgegenwart von Polizisten zu verdanken.

Weiteres Todesopfer in Syrien

Warum es überhaupt zu der am Ende tödlichen Verabredung gekommen war, ließ sich nicht aufklären. Was man weiß: Die beiden Familien sind einerseits verschwägert, andererseits verfeindet. Ursache sind offenbar die Probleme in der Ehe, die ein weiterer Bruder der beiden Angeklagten führt – mit einer Schwester des Opfers. Es scheint so, als habe dieser Mann sein Hab und Gut vor seiner Frau in Sicherheit bringen und seinen Brüdern überschreiben wollen. Fragen kann man ihn nicht mehr: Am 12. Mai wurde er auf einer Reise an der libanesisch-syrischen Grenze erschossen. Offenbar von Familienangehörigen seiner Frau.

Mit Blick darauf mahnte Richterin Kretzschmar: „Die Spirale der Gewalt ließe sich fortsetzen. Damit wäre niemandem gedient.“

Friedlich ging es bei und nach der Urteilsverkündung im Kölner Landgericht indes nicht zu. Es gab Geschrei – daraufhin zogen weitere Wachtmeister auf. Im Foyer des Gerichts ging es weiter: Weitere Polizeikräfte kamen mit Blaulicht zum Hochhaus-Komplex an der Luxemburger Straße, um den friedlichen Abzug aller Beteiligten zu gewährleisten.