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„So kann man eine Stadt nicht führen“Schockstarre über das Haushaltsloch in Leverkusen hält an

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Die Stadt Leverkusen muss jetzt jeden Euro zweimal umdrehen.

Die Stadt Leverkusen muss jetzt jeden Euro zweimal umdrehen.

Die Gewerbesteuereinnahmen in Leverkusen brechen um 285 Millionen Euro ein. Die Politik beklagt verlorenes Vertrauen.

Woher Oberbürgermeister Uwe Richrath die Hoffnung nimmt, die er trotz der desaströsen Finanzlage in der Stadt Leverkusen sieht, wussten die meisten Ratsmitglieder am Montagnachmittag wohl nicht. Vor rund vier Wochen hat Kämmerer Michael Molitor eine Haushaltssperre verhängt. Die Gewerbesteuereinnahmen für das laufende Jahr sind beispiellos eingebrochen. Nur rund 100 Millionen Euro statt der kalkulierten 385 Millionen Euro fließen nach Leverkusen. Bis 2028 gibt die Stadt rund 840 Millionen Euro mehr aus als sie einnimmt. Ein Haushaltssicherungskonzept ist unumgänglich.

„Ich trage die Verantwortung für den Haushalt“, sagte am Montag Kämmerer Michael Molitor. Das gelte für gute Zeiten, wie auch für schlechte Zeiten. Man habe den Haushalt „Spitz auf Knopf“ aufgestellt, sagte Molitor. Und zwar vor dem Hintergrund, dass das Jahresergebnis zuletzt immer besser war als der Plan. Nur 2014 sei das nicht so gewesen. Damals sei es zu einer großen Steuerrückzahlung an ein Unternehmen gekommen. So sei es in diesem Jahr auch, und das mehrfach.

Der Oberbürgermeister formulierte erneut seine Forderung nach einem Brückenstrompreis. Die chemische Industrie, die für Leverkusen essenziell sei, leide. Unter anderem laut Richrath dafür verantwortlich ist eine „Bundes- und Landespolitik, die an Bedarfen der Kommunen und Unternehmen vorbeigeht“. Auch der Kämmerer beklagte, dass die Kommunen von Bund und Land vor immer neue Herausforderungen gestellt würden.

Leverkusen: Kämmerer übernimmt Verantwortung

In der Frage nach der Verantwortung für das Desaster verteidigte sich Molitor: „Ich habe nicht gepokert.“ Er habe sich verkalkuliert, das müsse er zugeben. Aber er habe alles nach bestem Gewissen getan: „Solange ich hier arbeite, arbeite ich nach bestem Wissen und Gewissen“, sagt er zu möglichen persönlichen Konsequenzen. Er werde aber in Zukunft besser kommunizieren, das nehme er auf seine Kappe.

Ich habe nicht gepokert. Solange ich hier arbeite, arbeite ich nach bestem Wissen und Gewissen
Kämmerer Michael Molitor

Von der erneuten Beteuerung, dass sich diese Entwicklung nicht habe vorhersehen lassen, ließen sich nicht alle Stadtratsmitglieder überzeugen. Man wolle genau wissen, wer wann was gewusst habe, sagt Grünen-Fraktionschefin Claudia Wiese. Yannick Noe (AfD) meinte, dass das wohl „kein Schicksalsschlag“ gewesen sei, „der vom Himmel gefallen ist“.

„So kann man eine Stadt nicht führen“, wurde Wiese in Richtung Kämmerer und Oberbürgermeister deutlich. Richrath und Molitor müssten sich die Frage nach Fahrlässigkeit gefallen lassen. Offenbar habe man mit einer großen Unternehmensansiedlung gerechnet. Das hatten Kämmerer und Richrath im Finanzausschuss mitgeteilt. In der Ratssitzung gingen sie darauf nicht mehr ein.

Wir müssen der Wirtschaft wieder Sicherheit geben
Milanie Kreuz

Stefan Hebbel, CDU-Fraktionsvorsitzender, meinte, man habe den Haushalt „vor die Wand gefahren“. Und jetzt gelte es, Vertrauen wieder aufzubauen. Seine Fraktion werde alles auf den Prüfstand stellen, auch die personelle Struktur der Stadtverwaltung. Milanie Kreuz (SPD) sagte, man müsse sicherstellen, dass so etwas nicht mehr passiere. Und dafür müsse sich die Stadt wirtschaftlich diverser aufstellen. „Wir müssen der Wirtschaft wieder Sicherheit geben“. Benedikt Rees (Klimaliste) fand die Ausführungen des Oberbürgermeisters zu dürftig und bezeichnete seine Reaktion als „Bankrotterklärung“.

Wo genau gespart werden soll, ist nach wie vor nicht klar. Das muss die Verwaltung nun ausarbeiten und schließlich von der Politik beschließen lasse. Man befinde sich bereits in Abstimmung mit der Bezirksregierung, die schon signalisiert habe, dass die Stadt am Gewerbesteuerhebesatz von 250 Punkten festhalten solle. Michael Molitor teilte auch mit, dass die von der Bezirksregierung zugesagte Förderung von zehn Millionen Euro für das Flächenmanagement der Stadt Leverkusen auch für das Haushaltssicherungskonzept gelte.

„Wir müssen gemeinschaftlich den Weg gehen, auch wenn er nicht einfach wird“, sagte Uwe Richrath. Man müsse genau definieren, wo man das Geld heineinstecke. In Bildung zum Beispiel, betonte der Oberbürgermeister. Das sei wichtig für die folgenden Generationen. „Was in dieser Welt gerade passiert, trifft auch den Wirtschaftsstandort Leverkusen.“

Die Politik will sich nun stärker in diesen Prozess einbringen. Der Stadtrat beschloss schließlich auf Antrag der Grünen die Einrichtung einer „Taskforce“. Die finanzpolitischen Sprecher der Fraktionen und die Vorsitzenden des Finanzausschusses sollen neben dem Verwaltungsvorstand Teil dieser Gruppe sein.