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ChemiekonzernWie Lanxess mit KI in Leverkusen schon Millionen gespart hat

Lesezeit 4 Minuten
Die Messwarte im Gebäude O18 des Chemparek Levekusen mit Marius Dunkel, Hans-Peter Antweiler, Heinrich Knychas, Sebastian Krauch, Viktor Ruf, André Maddiona, Beyazit Demiraglar

In den Messwarten – hier eine bei der Lanxess-Feinchemie-Tochter Saltigo im Gebäude O 18 des Chempark – laufen inzwischen viel mehr Daten ein als früher. Künstliche Intelligenz nutzt sie.

Das Datenteam ist natürlich am größten Produktionsstandort angesiedelt: im Chempark Leverkusen.

Besser hätte es kaum kommen können: Nur ein paar Tage nach Beginn der Trainingsphase verhinderte Künstliche Intelligenz den Ausfall einer Anlage. „Den hätte man sonst nicht vorhergesehen“, berichtet Jens-Christian Blad. Ungefähr eine halbe Million Euro habe Lanxess so gespart, berichtet der Chemiker, der den Bereich Produktion, Technik, Sicherheit und Umwelt leitet. Dazu gehört auch, Künstliche Intelligenz in die Anlagen zu bringen, und zwar weltweit. Blads kleines, fünfköpfiges KI-Team setzt sich also mit rund 100 Betrieben auseinander.   

Und das nicht, weil plötzlich alle irgendwas mit KI machen. Sondern, weil es etwas bringt. Bei Lanxess gehe es um mehr Sicherheit, weniger Ausfälle und größere Effizienz, erklärt Blad. Die typische Anlage der vor zwei Jahrzehnten ausgegliederten Bayer-Chemiesparte laufe „24/7 das ganze Jahr über“. Da ist ungeplanter Stillstand ein Schlag ins Kontor: Für die speziell konstruierten Anlagen ist längst nicht jedes Ersatzteil vorrätig – fällt sie für einige Tage oder sogar wochenlang aus, verursacht das enorme Kosten.     

KI macht eine Prognose – das ist neu

Nun ist es nicht so, als kennen die Leute ihre Anlagen nicht. Hätten kein Ohr für eine seltsam klingende Pumpe, sähen Leckagen oder untypische Temperaturausschläge nicht, wenn sie vor ihrem Bildschirm in der Messwarte sitzen. Künstliche Intelligenz aber betrachte nicht nur die laufende Produktion, sondern „macht eine Prognose“, erklärt Blad. Das sei der Mehrwert und das Bestechende daran. Und: Weil die Maschine lernt, „wird sie immer besser“, kann Störungen noch früher erkennen.   

Jens-Christian Blad von Lanxess

Jens-Christian Blad leitet den Konzernbereich Produktion, Technik, Sicherheit und Umwelt bei Lanxess.

Ohne Daten kann KI nichts ausrichten. 2016 habe man bei Lanxess mit der Anlage des „Datensees“ begonnen, mit dem die Künstliche Intelligenz nun arbeite, sagt Blad: Auch Anlagen aus den 50er- und 60er-Jahren wurden mit Sensoren ausgestattet, elektrischen Ventilen und weiteren Messpunkten. Ab 2023 sei dann die KI zum Zuge gekommen, seit vorigen Herbst werde sie Schritt für Schritt in den einzelnen Betrieben benutzt. Weil diese so völlig unterschiedlich konstruiert sind, gestalte sich die Umsetzung durchaus komplex, betont der 47-Jährige: „Für jede Anlage brauchen wir ein eigenes Modell.“ Es gehe darum, das Bauchgefühl eines erfahrenen Chemikanten in Daten zu übersetzen. Das gelinge nur im intensiven Austausch zwischen IT-Spezialisten, Ingenieuren und den Praktikern in der Produktion. 

Lohn sei eine Trefferquote von mehr als 90 Prozent, wenn es darum gehe, Anomalien in den Anlagen vorherzusehen, freut sich Bald. Seit der Einführung von KI im vorigen Herbst „hatten wir schon drei große Cases“, die von den Rechnern erkannt wurden. In Geld übersetzt: Reparaturen mit Kosten im einstelligen Millionenbereich seien eingespart worden. „So etwas spricht sich im Unternehmen herum“ – und erhöhe die Bereitschaft der Kolleginnen und Kollegen in der Produktion, sich von Künstlicher Intelligenz begleiten zu lassen.   

De facto wird jede Anlage in jeder Schicht ein bisschen anders gefahren.
Jens-Christian Blad, Lanxess

Das findet Blad umso erfreulicher, als Erfahrung und Bauchgefühl sehr hoch gehalten werden: „De facto wird jede Anlage in jeder Schicht ein bisschen anders gefahren“, weiß er. Da gebe es Konkurrenz um die effizienteste Produktionsweise, und da wolle man die Rechner auch nicht eingreifen lassen: „Es ist nicht so, dass wir irgendjemandem irgendwas vorschreiben wollen.“ Effizienz ist – neben einer Minimierung der Ausfallzeiten – ja ein weiteres Ziel des KI-Einsatzes bei Lanxess.   

Die Steuerung der Anlagen könne mit Rechenmodellen wesentlich vielfältiger sein. Blad nennt das Beispiel einer Produktion, für die Wasser aus dem Rhein entnommen wird. Da spiele die Temperatur eine Rolle, und bisher habe es nur zwei Betriebsmuster gegeben: Sommer und Winter. Hinterlege man aber KI-Modelle, könnten daraus viele Betriebsarten werden. Der Effekt: sparsamerer Einsatz von Wasser und Energie. Auf diese Weise ließen sich noch ein paar Prozent herauskitzeln. An einem mit hohen Energiekosten belasteten Standort wie Leverkusen sei das extrem wichtig, „um auch hier konkurrenzfähig zu bleiben“.   

Mit dem Staus quo wollen sich die KI-Manager bei Lanxess natürlich nicht zufriedengeben. Das Ziel sei, alle Anlagen weltweit durch das Leverkusener Team zu unterstützen: „Die autonome Anlage ist noch Zukunftsmusik.“ Wann kommt sie? „Ich bin mir sicher, dass wir sie schneller haben werden, als viele heute vermuten“, sagt Blad. 


2025 ist für Lanxess „ein Feierjahr“, sagt Mark Mätschke, Sprecher im Konzern. Am 31. Januar wurde die Aktie der im Jahr zuvor von Bayer ausgegliederten Chemiesparte erstmals an der Börse gehandelt. Seitdem wurde unter zwei Vorstandschefs heftig an dem Konzern geschraubt. Axel Heitmann setzte einen Schwerpunkt auf Synthese-Kautschuk – eine Strategie, die ihn irgendwann den Job kostete.

Der frühere Finanzchef Matthias Zachert brachte diese Sparte zunächst in ein Joint-Venture mit dem Ölkonzern Saudi Aramco ein und gab es später komplett ab. Unter dem Namen Arlanxeo produziert es auch heute noch unter dem Bayer-Kreuz.

Der Chempark Leverkusen ist trotz aller Zu- und Verkäufe der mit Abstand größte und wichtigste Standort für Lanxess. Rund 3100 Beschäftigte arbeiten hier in Produktion, Forschung und Entwicklung. Die Zahl der Azubis betrage derzeit rund 600, heißt es aus dem Unternehmen. Seit 2005 seien fast zwei Milliarden Euro allein in Leverkusen investiert worden. (tk)