Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

„Traut euch, Rollen aufzubrechen“Leverkusener haben bei ihren Berufen keine Probleme mit Rollenklischees

Lesezeit 5 Minuten
Alexandra Milli ist Chemikantin bei Covestro.

Alexandra Milli ist Chemikantin bei Covestro.

Alexandra Milli ist Chemikantin und Alexander Pfaff Erzieher. Sie sprechen über ihre Erfahrungen in männlich und weiblich dominierten Berufen.

Der Besprechungsraum auf dem Gelände des Chemiekonzerns Covestro im Chempark Leverkusen ist klein und pragmatisch eingerichtet. Alexandra Milli hat gerade ihre Schicht beendet und erscheint in blauer Arbeitskleidung. Sie arbeitet als Chemikantin mit Meistertitel und stellvertretende Schichtleitung in ihrer Schicht. Und ist dort die einzige Frau.

Auf den anderen fünf Schichten sieht es nicht anders aus. Der Frauenanteil in diesem Beruf ist klein, wie in vielen anderen Mint-Bereichen auch. Mint setzt sich aus den Anfangsbuchstaben von Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik zusammen. Das Berufsbild Chemikantin/Chemikant ist zudem relativ unbekannt. „Viele denken direkt an den weißen Laborkittel und mit Versuchsgeräten angefüllte Labore“, erklärte Sebastian Bolsinger, Pressesprecher bei Covestro, der ebenfalls anwesend war.

„Das stimmt aber nicht“. Chemikanten überwachen die technischen Anlagen zur Herstellung benötigter chemischer Komponenten, die Bestandteil anderer Produkte sind. Es ist im Schwerpunkt eher ein technischer Beruf, als ein chemischer. Sie sind für den reibungslosen Ablauf des Produktionsprozesses zuständig. Sie überwachen die Mischverhältnisse, die energieeffizienten Abläufe und garantieren, dass das Produkt in Menge und in der Zeit korrekt geliefert wird. Das ist unumgänglich für den weiteren Produktionsverlauf des Endproduktes.

Alexander Pfaff arbeitet als stellvertretender Leiter in der Kita Borkumstraße.

Alexander Pfaff arbeitet als stellvertretender Leiter in der Kita Borkumstraße.

Dreieinhalb Jahre drückte Milli für ihren Traumberuf die Berufsschulbank. „Ich glaube, wir waren so 15 Azubis“, erinnerte sie sich. „Als Mädels waren wir zwei.“ Wie war das unter lauter Jungs? „Super, ich hatte nie Probleme“, war die prompte Antwort der stellvertretenden Schichtleitung. „Dass ich eine Frau bin, war nie ein Thema.“ Ihr berufliches Vorbild war während der Berufsfindungsphase ihr Vater, der ebenfalls als Chemikant tätig war. „Ich fand interessant, was er macht“, erzählte Milli weiter.

Im Unternehmen ist sie sehr geschätzt. „Wir sind froh, dass sie hier ist“, erklärte Bolsinger. „Und wir wünschen uns mehr Frauen im Unternehmen.“ Als die Chemikantin schwanger wurde, fand man pragmatische Lösungen. Sie übernahm Arbeiten in einem Büro und als das Baby da war, erarbeiteten Angestellte und Unternehmen einen Schichtplan, damit sie in Teilzeit, Arbeit und Kind gut unter einen Hut bringen kann. Und wie fühlt sie sich auf ihrer Schicht als einzige Frau unter Männern? „Das Klima ist klasse“, erklärte sie. „Auch hier spielt es keine Rolle, dass ich eine Frau bin. Ich finde es sogar gut, mit Männern zu arbeiten. Die sind oft ehrlicher und sagen frei heraus, wenn’s irgendwo mal nicht so gut läuft.“

Leverkusen: Gleich drei Männer in der Kita Borkumstraße

Dumme Sprüche kenne sie nicht. Höchstens die, die jeder mal abbekommt und die nichts mit dem Geschlecht zu tun haben. Was rät Milli jungen Mädchen, die an Mint-Berufen interessiert, aber unsicher sind? „Seid neugierig und probiert es aus“, rät sie. „Macht Praktika, Möglichkeiten gibt es genug. Aber lasst euch nicht einreden, ihr könnt das nicht. Wenn ihr das wirklich wollt, tut es.“

Der Personalraum der Kita Borkumstraße in Leverkusen ist ein großer, einladender Raum. Die offene Einrichtung weist eine Besonderheit auf. Sie kann gleich drei Männer zu ihrem Personal zählen. Bereits ein Mann als pädagogischer Mitarbeiter in einer Kindertagesstätte ist etwas Besonderes. Gleich drei ist außergewöhnlich. Einer davon ist Alexander Pfaff, der stellvertretende Kitaleiter der Borkumstraße.

Der Pädagoge und seine beiden Kollegen haben einen für einen Mann noch ungewöhnlichen Berufsweg eingeschlagen und dabei werden Männer in diesem Berufsfeld dringend gebraucht. Von den geschätzten 22 Auszubildenden waren gerade mal zwei männlich, was jedoch keine Rolle spielte. „Die Ausbildung unter den Mädels war gut“, erklärt Pfaff. „Ich habe mich wohlgefühlt.“ Was ihm sehr wichtig ist, ist ein wertschätzender Umgang miteinander und ein positives Menschenbild. Das Berufsbild des Erziehers sieht er als sehr vielschichtig. „Man kann seine Fähigkeiten miteinbringen, egal was es ist. Jeder kann seine Nischen schaffen.“

Kinder brauchen alle Geschlechter, da wir die Gesellschaft abbilden.
Alexander Pfaff, stellvertretender Kitaleiter der Borkumstraße

Die Naturwissenschaften sind ein Beispiel oder die Musik. Hat er als Mann mit Vorurteilen zu kämpfen? „Kaum“, erklärt er sofort. Mit den Kolleginnen läuft es super und auch mit den Eltern gibt es keine Probleme. Die eine Situation, an die er sich erinnert, hat er mit seiner eigenen, offenen Art gemeistert. „Ich war immer ein offener Mensch und bin auf die Leute zugegangen“, erklärte er. „Das schafft Vertrauen.“ Genau diese Fähigkeit half ihm auch, die Unsicherheit einer Mutter in Vertrauen zu verwandeln. Er und seine Kollegen sind sehr wichtig für die Kinder.

Gerade in der heutigen Zeit, in der viele Kinder nur mit einem Elternteil zusammenleben, ist eine männliche Orientierungsperson in der Kita so wichtig. Die Frauen sind schon da. „Kinder brauchen alle Geschlechter, da wir die Gesellschaft abbilden“, erklärte Pfaff. Ansonsten sei es eine Insel. Aus diesem Grund ist es besonders wichtig, dass gerade Männer diesen Berufsbereich mit auf den Schirm bekommen. Für ihn war es die perfekte Wahl. Die Begeisterung und die Freude an seinem Beruf sprechen aus jedem seiner Worte und Gesten.

Was rät Pfaff unsicheren Kandidaten, die Interesse haben, sich aber nicht trauen, aus dem Bild der Stereotype herauszutreten? „Immer aufs Bauchgefühl hören“, rät der Pädagoge. „Schreibt euch eine Plusliste, macht Praktika, habt Mut. Traut euch, die Rollen aufzubrechen.“  Eine gute Chance hierfür ist der Girls and Boys’ Day am 3. April.