Leverkusen – Jürgen Hagengut ist Rentner, am Morgen aus Duisburg angereist, trägt langes Haar unter Baskenmütze und will die Macht der Konzerne brechen. Zumindest steht das auf dem Transparent, hinter dem er sich anlässlich der Hauptversammlung von Bayer in Leverkusen aufgestellt hat.
„Bayer ist für die Menschen in der Dritten Welt eine große Gefahr“, sagt Hagengut. „Kleinbauern sind den Konzernen ausgeliefert.“ Damit trifft er genau den Ton, den auch Regina Sonk von der Gesellschaft für bedrohte Völker anschlägt. Mit rund 50 anderen Menschen steht sie vor der Konzernzentrale an der Kaiser-Wilhelm-Allee, sie sind umringt von Anti-Bayer-Spruchbannern. Wieder einmal, das dritte Jahr in Folge schon, gibt es kein großes Schaulaufen der Bayer-Aktionäre zur Hauptversammlung, denn sie findet virtuell statt. Der Protest vor der Tür aber ist dennoch da.
Kritik an Bayers Pestizid-Verkäufen
Sonk spricht in ein Megafon: „Flugzeuge tragen die Pestizide direkt vor die Haustür der indigenen Bevölkerung. Sie hat keine Chance, sich dagegen zu wehren. Die Menschen sind ihnen ausgeliefert.“ Was das mit Bayer zu tun hat? Der selbsternannte Life-Science-Konzern ist seit der Monsanto-Übernahme einer der größten Pflanzengift-Hersteller weltweit. Ihm wird immer wieder vorgeworfen, Pestizide, die in der EU verboten sind, in andere Länder zu exportieren. „Verkauft werden sie dann dort, wo Gesetze flexibler sind als hier“, verkündet Sonk.
Bayer hat sich gegen die Vorwürfe immer wieder gewehrt. Nur weil Mittel in der EU nicht zugelassen seien, sage das nichts darüber aus, ob Regulierungsbehörden anderer Lände sie nicht ebenso gründlich und robust geprüft haben – und sie eben als sicher einstufen.
Aber Bayer kann sich noch so drehen und wenden und erklären: Die alljährlichen Proteste gegen das Geschäftsgebaren der Leverkusener kommen so sicher wie das sprichwörtliche Amen in der Kirche. Am Freitag zieht eine kleine Gruppe von Fridays for Future vom Rathaus an die Kaiser-Wilhelm-Allee. Die Coordination gegen Bayer-Gefahren geht mit. „Glyphosat stoppen, Opfer entschädigen“, steht auf einem Banner, „Klima-Killer stoppen“ auf einem anderen.
Rote Rebellinnen mit weiß geschminkten Gesichtern
Auch die gewaltfrei-radikalen Umweltschützer und Klimawandel-Aufmerksammacher von Extinction Rebellion stellen sich gegen Bayer. Aktivistinnen und Aktivisten der Gruppe führen in roten Gewändern und mit weißgeschminkten Gesichtern eine Art Trauermarsch durch. „Die roten Rebell:innen“ nennen sie sich. Sie tragen Pflanzen vor sich her, marschieren zum Trommeltakt in Zeitlupe vor den Eingang des Bayer-Reichs und informieren auf Flyern, was sie damit bezwecken: „Ohne Worte bringen wir die menschliche Verletzlichkeit zum Ausdruck.“
Das könnte Sie auch interessieren:
Während die Menschen vor der Tür Bayer am liebsten lahmlegen würden, berichtet Bayer-Chef Werner Baumann von den großen Zielen und Erfolgen des Konzerns: „Wir müssen unabhängig werden von fossilen Energieträgern. Bayer geht diesen Weg seit langem“, sagt der Vorstandsvorsitzende in die Kameras. „Unser Unternehmen befindet sich auf einem klaren Kurs, um bis 2030 CO2-neutral zu werden“, fährt er fort. Und: „Wir haben Wachstum und CO2-Ausstoß voneinander entkoppelt.“ Bayer verbinde Produktivität und Nachhaltigkeit.
Ist das Greenwashing?
Ob das jetzt Greenwashing ist oder Ausdruck aufrichtiger Bemühungen: Bayer gehört als Industriekonzern zu den Akteuren, die die größten Klimaschäden verursachen – und deshalb gleichzeitig zu jenen, ohne die jeder Klimaschutz vergebens ist.
Die Industrie verschwindet nicht, also muss mit ihr gearbeitet werden. Ein Dilemma, das auch Dieter Bonkowsky zum Nachdenken bringt. Vor allem in Sachen genetischer Vielfalt seien die planetaren Grenzen längst im roten Bereich, und dafür sei Bayer verantwortlich. „Ich bin Fachmann“, sagt er, der die Proteste auf seinem Fahrrad zufällig entdeckt hat: „Ich bin Gärtnermeister.“ Bayer, der Konzern, für den sein Vater 50 Jahre lang gearbeitet habe, trage die Lebensgrundlage der Menschen ab.
Und Bayer? Präsentiert wenige Meter entfernt die Erfolge des vergangenen Jahres: 44 Milliarden Euro Umsatz, ein Vorsteuergewinn von mehr als elf Milliarden Euro, die Aktionäre erhalten zwei Euro Dividende pro Aktie.