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MeisterstadtLeverkusener feiern ausgelassen den Titel

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Public Viewing bei der Lev Szene '86. Leverkusen ist Deutscher Meister. Foto: Ralf Krieger

Public Viewing bei der Lev Szene '86. Leverkusen ist Deutscher Meister.

Mit einem 5:0-Sieg gegen Werder Bremen macht die Werkself die erste Deutsche Meisterschaft der Vereinsgeschichte perfekt.

Es ist geschafft! Die Stadt feiert, und die Party hat sich schon eine halbe Stunde nach dem Anpfiff sehr gut angelassen. Das 1:0 beruhigte alle, die ein bisschen nervös auf das Spiel geschaut hatten. Bloß nicht wieder zittern; die extra gemalten Ortsschilder mit „Meisterkusen“ und dem durchgestrichenen „Vizekusen“ sollten doch ein gutes Omen sein. „Wir für unseren Traum“ war überall in der Stadt auf Bürgersteige und Straßen gesprüht.

Und dann wurde der Traum wahr. Nicht bloß für die üblichen 30 210 Leute im Stadion, sondern für alle, die sich in Kneipen, nebenan in der Kurt-Rieß-Anlage und dem Sportplatz niedergelassen hatten an diesem Sonntagnachmittag. Am frühen Nachmittag hatte sich eine Spannung über die Stadt gelegt, die nichts mit der sonst üblichen Leverkusener Sonntagsruhe zu tun hatte: Das lag nicht nur an den schwarz-roten Flatterbändern, die überall dort gespannt waren, wo es irgendwie passte – und niemanden behinderte.

Fans ließen die Finger vom Hybridrasen

Mehr als ein bisschen Vernunft war übrig geblieben, bei aller Euphorie. Das sollte sich dann erneut erweisen, als es geschafft war: Der von Bayer mit rund einer Million Euro taxierte Hybridrasen blieb tatsächlich heile. Der wird ja noch ein bisschen gebraucht von der „Werkself“. Vor dem Spiel war schon alles angerichtet für die Riesensause: Solche Menschenmassen hat man auf der Bismarckstraße garantiert noch nicht gesehen.

Schon Stunden vor dem Spiel versammelten sich nicht nur die Ultra-Fans vorm Stadion und auf der Straße, auf die an diesem besonderen Sonntag nicht mal mehr Mopeds durften. Eine sichtlich gestresste Ordnerin, die an der Absperrung im Kreisel am Haus Janes stand, sagte: „Heute ist hier alles anders.“

Schon nach ein paar Metern konnte man sehen, dass selbst für Radfahrer eigentlich kein Durchkommen mehr war. Damit dem Mannschaftsbus später nicht das gleiche Schicksal ereilen sollte, hatte die Stadtverwaltung Drängelgitter aufgestellt. Mit denen sollte eine Gasse freigehalten werden. Das gelang, zuerst kam aber ein Rettungswagen durch, der in der Karl-Marx-Straße jemanden zu versorgen hatte.

Mannschaftsbus verschwindet in Rauchwolke

Schon weit über zwei Stunden vor Spielbeginn zündeten an der Ecke Karl-Marx-Straße die ersten Böller und Rauchbomben in den Reihen der Ultras. Dort wurden Schilder hochgehalten, die wie Ortsschilder aussahen: „Meisterkusen“, und durchgestrichen „Vizekusen“. Die Polizei hielt sich heraus, denn im Prinzip war alles friedlich.

Eine gefühlte Ewigkeit ließ der Mannschaftsbus auf sich warten, dessen Vorbeifahrt traditionell wild gefeiert wird. Als der Bus endlich kam, war im Prinzip nichts mehr zu sehen, denn dort, wo die Ultras auf ihn gewartet haben, verschwand er in einer Rauchwolke.

Aber wer zu diesem feierlichen Anlass zum Spielbeginn auf eine große Choreografie auf den ausverkauften Zuschauertribünen wartet, wird enttäuscht. Die Nordkurve konzentriert sich auf sehr viele Fahnen und absolute Lautstärke. Dafür tut sich auf dem Rasen ungewöhnliches. Zunächst baut sich eine Reihe Fahnen schwenkender Kinder vor der Haupttribüne auf. Und dann dürfen auch sich die Einlaufkinder auf der Strafraumlinie vor der Nordkurve aufreihen und die Welle vollführen.

Um 17:54 bricht zum ersten Mal die Hölle aus: Victor Boniface trifft per Elfmeter zum 1:0, den Jubelschrei sollte man bis Köln gehört haben. Von der 42. Minute bis zum Abpfiff der ersten Halbzeit singt die Nordkurve durchgängig: „Heute Abend sind wir Meister, ihr werdet's alle seh'n“. Eigentlich sieht der Liedtext die Zeile „Eines Tages sind wir Meister…“ vor. Aber eines Tages ist da nur noch eine Stunde entfernt.

Fans müssen sich in der Pause beruhigen

In der Halbzeit stehen Walter und Ursula an die Balustrade des obersten Ganges gelehnt, der rund um die Bayarena führt. Während sich andere in die endlosen Schlangen an Verpflegungsständen oder Toilette einreihen, wollen sie nichts davon. „Wir müssen kurz Luft schnappen“, sagt der 73-Jährige. Zwar gibt es davon in der Arena auch genug, aber trotz der 1:0-Führung ist die Anspannung bei den beiden langjährigen Fans noch groß. „Von hier kann man Bayerwerk und Wasserturm sehen, wie in der Hymne“, sagt Ursula. Das beruhigt.

Um 18:48 Uhr können sie schon etwas beruhigter sein, Granit Xhaka trifft zum 2:0. Deutscher Meister wird nur der SVB schallt, es durchs Stadion. Der Lautstärkepegel der Smartwatch schlägt Alarm. Spätestens nach dem fantastischen Schuss zum 3:0 von Florian Wirtz – „Fußballgott“ – sind alle Dämme gebrochen. Jetzt ist nur noch Party. Nach dem fünften Tor und dem wohl etwas vorgezogenen Schlusspfiff aber sind die Ordner machtlos. Der Platz gehört den Fans.

Auf die Mannschaft warten sie vergebens – die lässt gut eineinhalb Stunden nach Abpfiff von der VIP-Tribüne aus feiern. In den Triumph mischen sich auch die Stimmen von Bayers Vorstandschef Bill Anderson und einem seiner Vorgänger, Werner Wenning. Der Mann, der bis heute der Gesellschafterversammlung vorsitzt und sein Herz schon vor Jahrzehnten an den Club verloren hat, sagte: „Heute schaut die gesamte Fußball-Welt auf Bayer 04 Leverkusen. Das ist ein historischer Tag: für die Mannschaft, für den Verein, für die Fans und für die gesamte Stadt. Ich bin überaus glücklich und stolz und gratuliere der Mannschaft um Trainer Xabi Alonso, der Geschäftsleitung – angeführt von Fernando Carro und Simon Rolfes – und allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Bayer 04 von Herzen zu einer hervorragenden Saison und Team-Leistung.“

Und Bill Anderson, der vor knapp einem Jahr zur Bayer-Familie gestoßen ist und eine Menge Probleme vorgefunden hat, sagte: „Es war mir eine Freude, Fernando, Simon, Xabi und das Team im vergangenen Jahr kennenzulernen und anzufeuern. Ich habe aus erster Hand gesehen, wie ihr Fokus auf ein gemeinsames Ziel und ihre Bereitschaft, das Team über sich selbst zu stellen, zu hervorragenden Ergebnissen geführt haben. Ich wünsche alles Gute für den weiteren Erfolg – für alle im Verein, für die Fans, für die Stadt Leverkusen und für die gesamte Bayer-Familie.“ Ob das auch ein gutes Omen für die Bayer AG ist? An diesem Abend machte sich darüber wohl kaum jemand Gedanken. Vizekusen – das ist ein für alle Mal Geschichte.