Hilfe bei der Dokumentation jüdischer Schicksale erhält die Stadt Waldbröl aus Lindlar: Da arbeitet Frederik Grundmeier mit Entschädigungsakten.
Holocaust-OpferWer Fritz Meyer aus Waldbröl wirklich war – Neue Stolpersteine
Während Frederik Grundmeier eines Morgens in dieser Zeitung blättert und davon liest, dass die Stadt Waldbröl mit drei Stolpersteinen an die Schicksale jüdischer Menschen erinnern möchte, da sind ihm deren Namen sofort vertraut. Doch merkt der wissenschaftliche Referent des Freilichtmuseums in Lindlar auch: Da passt etwas nicht.
„Der genannte Fritz Gärtner konnte nicht gemeint sein“, berichtet der 38-Jährige. „Der genannte Mann muss Fritz Meyer sein.“ Dessen Akte liegt nämlich gerade auf dem Schreibtisch im Museum des Landschaftsverbandes Rheinland: Frederik Grundmeier arbeitet die Schicksale von Jüdinnen und Juden auf, die nach dem Zweiten Weltkrieg Anträge auf Entschädigung schrieben für die rassistische Verfolgung und für das Leid, das ihnen die Nazis zugefügt hatten. „Und einer davon ist eben Fritz Meyer.“
Der Lindlarer Volkskundler nimmt Kontakt zum Waldbröler Rathaus auf, spricht dort mit Christoph Thiel, der ebenfalls die Schicksale von jüdischen Menschen in der heutigen Marktstadt dokumentiert und für sie Stolpersteine setzen lassen möchte. So sollen bald zwei Steine an das Ehepaar Meta und Hermann Bettelheiser erinnern – und eben an den „richtigen Fritz“. Grundmeier: „Meta Bettelheiser war eine geborene Gärtner, ihr Neffe Fritz Gärtner aber lebte mit seiner Familie nicht mehr in Waldbröl, sondern war zurück in die Synagogen-Gemeinde Ruppichteroth gezogen.“ Anlass dafür könnten familiäre, aber auch geschäftliche Gründe gewesen sein. „Die Familie war da seit 1872 ansässig und betrieb unter anderem einen erfolgreichen Viehhandel.“
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Meta Bettelheiser führte in Waldbröl ihr eigene Geschäft als Modistin
Fritz Meyer, ebenfalls ein Neffe von Meta Bettelheiser, wohnte dagegen im Haus der Bettelheisers an der Kaiserstraße 47 (heute: 33) in Waldbröl. Dort beheimatet war auch das Geschäft des Paares. „Meta Bettelheiser war eine Modistin“ schildert Grundmeier. „Sie stellte also Hüte, Mützen und anderen Kopfbedeckungen her – sie hatte ihr eigenes Geschäft, was damals durchaus ungewöhnlich war.“
Ehemann Hermann habe wohl im Hintergrund gearbeitet und die Bücher geführt. Meta Bettelheiser wurde im August 1885 in Ruppichteroth geboren, ihr Mann im Dezember 1877 in Laasphe. Beide wurden 1941 ins Ghetto von Litzmannstadt (heute Lodz, Polen) gebracht und wahrscheinlich im Mai des Jahres 1942 im Konzentrationslager von Chelmno (ebenfalls Polen) ermordet.
Fritz Meyer richtete ein Antrag auf Entschädigung an den Oberbergischen Kreis
Fritz Meyer wurde im September 1905 in Solingen geboren, für ihn ist Vertreter und Viehhändler als Beruf vermerkt. „Er arbeitete aber bei den Bettelheisers, machte für sie vielleicht Kundenbesuche“, weiß Grundmeier. Und Meyer kam mit dem Leben davon: Zwar wurde er im Oktober 1938 verhaftet, im November in eine sogenannte Juden-Schutzhaft genommen und später ins Konzentrationslager Dachau verschleppt, doch konnte er Ende Juli 1939 mit Hilfe eines Ausreiseantrags nach England fliehen.
Dort lebte er in Roehampton, einem südwestlich gelegenen Stadtteil Londons. „Dort hat er im September 1956 seinen Antrag auf Entschädigung formuliert“, sagt Grundmeier. Meyer nannte Schäden an seiner Gesundheit als Grund.
Weil solche Anträge an die jeweilige Stadt- oder die übergeordnete Kreisverwaltung gerichtet werden mussten, ruht Meyers Schreiben heute im Archiv des Oberbergischen Kreises und ist Teil der Akten, die Frederik Grundmeier zurzeit auswertet. „Die Quellenlage ist leider sehr dürftig“, bedauert der Wissenschaftler. Am Ende werde er wohl eine höchstens dreistellige Anzahl solcher Akten in den Händen gehalten haben. „Willkommen waren diese Anträge nirgendwo, die Opfer mussten sehr darum kämpfen, dass ihrem Anliegen entsprochen wurde.“ Über den Antrag von Fritz Meyer wurde im März 1964 endgültig entschieden: „Er wurde abgelehnt.“
Unter dem Dach des Ehepaares Bettelheiser lebten bis 1938 hinein auch die Nichten Johanna (Hanni) und Elfriede (Frieda) Meyer, die Schwestern von Fritz Meyer wurden von Waldbröl nach Köln „umgesiedelt“ und später deportiert. „Hanni Meyer wurde wohl in Weißrussland ermordet“, so Grundmeier. „Frieda Meyer kam ebenso nach Litzmannstadt, mehr ist aber nicht bekannt. Kurt Klee, ihr Ehemann, hat wohl überlebt und ist wahrscheinlich nach 1945 in die USA ausgewandert.“ Nach Fritz Meyers Korrespondenz mit der Kreisverwaltung und deren Schriftwechsel mit der damaligen Stadtgemeinde Waldbröl verliert sich die Spur des Mannes, sein Todestag ist nicht bekannt.
Bei der Recherche auch auf eine Postkarte gestoßen
Im digitalen Bestand des polnischen Staatsarchivs, beheimatet in der Stadt Lodz (früher Litzmannstadt) ist Frederik Grundmeier zudem auf eine Postkarte gestoßen, die das Ehepaar Meta und Hermann Bettelheiser am 12. Dezember 1941 an Hanni Fröhling (geborene Johanna Meyer) in Köln geschickt hat: Sie senden mit blumigen Worten „herzliche Grüße und Küsse“ aus dem Ghetto von Litzmannstadt. Grundmeier: „Solche Postkarten gaben damals natürlich nicht die Realität wider, sie sind vielmehr als Lebenszeichen zu verstehen, als Botschaft ‚Wir sind noch‘ da.“
Wenn die Waldbröler Stadtpolitik nach ihrer Sommerpause wieder die Arbeit aufnimmt, wird sie auch darüber entschieden, wann und wie die Stolpersteine für Meta und Hermann Bettelheiser und für Fritz Meyer an der Kaiserstraße, heute Hausnummer 33, verlegt werden. Denn der Künstler Gunter Demnig reist als Schöpfer der Stolpersteine nur dann an, wenn die 9,6 mal 9,6 Zentimeter großen Mahnmale zum ersten Mal verlegt werden.
In Waldbröl ist für die Verlegung neuer Stolpersteine bereits alles geklärt
Für die neue Verlegung sei alles geklärt, berichtet Christoph Thiel vom Hauptamt der Stadt Waldbröl. Die Inschriften für die drei neuen Steine seien ebenfalls fertig und mit der „Stiftung – Spuren – Gunter Demnig“ in Alsfeld-Elbenrod abgestimmt. In Waldbröl wurden am 25. Mai 2018 an der Querstraße und an der Hochstraße solche Steine ins Pflaster gebracht, sie erinnern an Hedwig und Albert Elias (Querstraße 9) sowie an Carolina, Hermann und Erich Salomon (Hochstraße 30).
Während der Pogromnacht im November des Jahres 1938 fügten die braunen Schergen auch dem Ehepaar Bettelheiser erheblichen Schaden und Schmerz zu. Die Scheiben ihrer Schaufenster am Geschäft wurden zerstört, dann wurde das Paar vor den Augen der Stadt misshandelt – und niemand griff ein. Noch im selben Jahr sah sich das Ehepaar gezwungen, die Heimatstadt Waldbröl zu verlassen und in die Großstadt Köln umzuziehen, um dort unterzutauchen. Von dort aber wurden die beiden im Herbst 1941 nach Litzmannstadt deportiert.
Hinweise: Frederik Grundmeier hofft, Lücken in den Lebensläufen von Jüdinnen und Juden aus Oberberg – wie eben Fritz Meyer – schließen zu können. Wer ihm helfen kann, der erreicht ihn im Lindlarer Freilichtmuseum unter (02266) 90 10-120.