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Ärzte-Odyssee nach Astrazeneca-ImpfungThrombose-Patient wird zum Forschungsfall

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Astrazeneca_Impfserum

Eine Ampulle mit dem Astrazeneca-Impfstoff, der nur noch für Personen ab 60 Jahren eingesetzt werden soll.

Köln/Leverkusen – Als Karl Peters am Freitag vergangener Woche aufstehen wollte, jagte ein extremer Schmerz durch seine rechte Wade. Er konnte nicht mehr auftreten, kaum noch stehen. Das war der Moment, in dem er entschied, in ein Krankenhaus zu fahren. In ein weiteres.Karl Peters ist 37 Jahre alt, wohnt im Rhein-Bergischen Kreis, ist Polizist und deshalb schon am 11. März mit Astrazeneca geimpft worden. Die drastischen Nebenwirklungen, die er daraufhin hatte, führten ihn durch mehrere Krankenhäuser. Erst im Klinikum Leverkusen, etwa zweieinhalb Wochen noch der Impfung, wurde er schließlich richtig behandelt. Und sein Blut wird jetzt in der Uniklinik Greifswald untersucht, wo er als Proband an einer Studie teilnimmt, die seit dem vergangenen Wochenende weltweit auf großes Interesse trifft.

Greiswalder Forscher mit spektakulären Erkenntnissen

Die Greifswalder Forscher hatten sich etwa vor zwei Wochen nach dem ersten Astrazeneca-Stopp an das Paul-Ehrlich-Institut gewandt, das für die Zulassung und Überwachung von Impfstoffen in Deutschland verantwortlich ist. Den Ärzten wurden daraufhin Blutproben von sechs Thrombosepatienten zur Verfügung gestellt. Bei der Untersuchung der Proben stellten die Forscher fest, dass der Impfstoff die Blutplättchen, also die Thrombozyten, aktiviert. Das passiert normalerweise im Körper nur bei einer Wundheilung, wenn das Blut gerinnt und die Wunde verschließt.

Durch die Impfung werde bei einigen Patienten ein Mechanismus aktiviert, der letztlich zur Bildung von Blutgerinnseln vor allem im Gehirn führe. Da der Mechanismus so klar identifiziert worden sei, habe auch eine gezielte Behandlungsmöglichkeit entwickelt werden können. Betroffenen könne nun ein Wirkstoff verabreicht werden, der gegen die Thrombose hilft, machten die Greifswalder Wissenschaftlicher ihre Erkenntnisse in der vergangenen Woche öffentlich.

Sehstörungen und extreme Kopfschmerzen

Als Karl Peters geimpft wurde, war davon aber noch nichts bekannt. Er und seine Frau wollen nicht erkannt werden, deshalb wurden ihre Namen in diesem Artikel geändert. Am Tag nach der Impfung habe ihr Mann „normale“ Nebenwirkungen gehabt, beschreibt Eva Peters den Beginn der „Ärzte-Odyssee“: „Bisschen Fieber, Müdigkeit sowie Gliederschmerzen.“

Das habe sich schnell gebessert. Eine Woche später jedoch, am Freitag den 19. März, „hatte er tierische Kopfschmerzen, die nicht mehr aufhörten, und Sehstörungen und leichte Ausfallerscheinungen im Gesicht, von dem er Teile nicht mehr gespürt hat“, erzählt seine Frau.

Computertomograpie des Kopfes und Gehirns

Als die Kopfschmerzen immer heftiger wurden, ging Peters nach dem Wochenende zu seiner Hausärztin, die ihn mit dem Verdacht auf Thrombose in ein Krankenhaus überwies. Dort wurde eine CT-Aufnahme seines Kopfes und Gehirns gemacht, aber nichts Verdächtiges gefunden.

Doch der Blutdruck sei unnormal hoch gewesen. Und auch die Anzahl der Blutplättchen war auf 80.000 pro Mikroliter Blut gesunken, normal ist ein Referenzbereich von 150.000 bis 350.000. Trotzdem sei er nach Hause geschickt worden, berichtet Peters. Es habe geheißen, erstmal nur beobachten. Und wiederkommen, falls sich der Gesundheitszustand verschlechtert.

Thrombose in der Wade entdeckt

Vier Tage später, am 26. März, als Karl Peters plötzlich extreme Schmerzen in der rechten Wade bekam, fuhr er in ein weiteres Krankenhaus. Dort wurde bei einer Ultraschall-Untersuchung eine Thrombose entdeckt. Kompressionsstrümpfe sowie der Wirkstoff Heparin, der die Blutgerinnung hemmt, würden das Problem lösen, habe es geheißen.

Wieder zu Hause angekommen, fand Karl Peters im Internet erste Berichte über die Ergebnisse der Greifswalder Forschung. Das ihm verschriebene Mittel sei falsch, hieß es dort. Er müsse ein anderes Medikament erhalten.

„Wir hatten Angst, dass was übersehen wird“

„Wir haben dann sofort das Krankenhaus angerufen, dort sagte man uns aber, die bisher angefangene Heparin-Therapie solle weitergehen“, erzählt Eva Peters: „Wir hatten Angst, dass da vielleicht etwas übersehen wird.“ Deshalb fuhr das Ehepaar am Freitagabend vergangener Woche ins Klinikum Leverkusen. Als dort festgestellt worden sei, dass die Thrombozyten bereits auf 22.000 pro Milliliter Blut gesunken waren, wurde Peters stationär aufgenommen. Das Heparin wurde abgesetzt, es wurde stündlich nach ihm geschaut.

„Uns wurde gesagt: Erst einmal beobachten, um dann zu reagieren, wenn sich ein noch schwererer Verlauf entwickelt“, erzählt Eva Peters: „Auch um eventuelle weitere Komplikationen mit anderen Medikamenten zu verhindern.“ So lautete am Samstag vergangener Woche auch eine Empfehlung der Uniklinik Köln, bei der sich die Leverkusener Klinik erkundigt hatte. Schließlich habe es sich um einen besonderen Fall gehandelt, bestätigt Oberarzt Jonas Nordmann, deshalb habe er sich mit der Uniklinik ausgetauscht, die zu diesem Zeitpunkt aber noch keinen Patienten mit einem derartigen Krankheitsbild gehabt habe.

Ärzte orientierten sich an den Empfehlungen der Greifswalder Forscher

Nordmann wusste auch von den Recherchen, die Eva Peters unternommen hatte. Die hatte in Greifswald angerufen und tatsächlich eine Oberärztin erreicht, die an der Astrazeneca-Studie beteiligt ist. „Die Frau hat mir gesagt, mein Mann müsse dringend behandelt werden, sonst könnten sich womöglich neue Thrombosen bilden, und wenn die dann in die Lunge oder das Gehirn wanderten, sei dies potentiell lebensgefährlich“, so die 39-Jährige.

Auch der behandelnde Arzt in Leverkusen nahm Kontakt mit Greifswald auf. Gemäß den Empfehlungen der dortigen Experten, deren Hinweise mittlerweile auch in die Stellungnahmen der „Gesellschaft für Thromboseforschung“ aufgenommen wurden, sei Peters am Samstag dann ein spezieller Gerinnungshemmer verabreicht worden, so Nordmann.

Blut zur Analyse nach Greifswald geschickt

Zudem wurden dem Polizisten mittlerweile mehrere Blutproben entnommen, um sie nach Greifswald zu schicken. Es würde einiges für den Verdacht sprechen, dass seine Beschwerden mit der Astrazeneca-Impfung zusammenhängen, sagt Oberarzt Nordmann. „Es passt sehr viel zusammen.“ Dass bei Peters eine Thrombose in der Wade und nicht im Gehirn entdeckt wurde, sei nicht entscheidend. „Letzten Endes scheint es einen Mechanismus zu geben, der Thrombosen begünstigt. An welcher Stelle die dann auftreten, das kann man derzeit noch nicht beantworten“, so Nordmann.

Karl Peters ist das egal. Er freue sich jedenfalls, dass er mit seinem Blut jetzt vielleicht noch die Forschung „und damit letztlich auch andere Patienten“ unterstützen könne, sagt er: „Und es geht mir wieder besser. Mein Bein tut zwar noch etwas weh, aber meine Thrombozyten steigen langsam wieder an.“