Rhein-Berg – Als Kreisdechant ist Norbert Hörter (55), Pfarrer an St. Laurentius Bergisch Gladbach, gerade für sechs Jahre im Amt bestätigt worden. Über aktuelle Herausforderungen, die jüngst bekannt gewordenen Missbrauchsvorwürfe gegen seinen Amtsvorgänger, die Glaubwürdigkeit von Kirche und Wege, um Vertrauen zurückzugewinnen, hat Guido Wagner mit dem Seelsorger gesprochen.
Die katholische Kirche im Erzbistum Köln steht zurzeit in der öffentlichen Kritik wie wohl selten zuvor. Was sind die größten Herausforderungen der kommenden Jahre, die Sie für Ihre Arbeit als Kreisdechant wie als Pfarrer in Bergisch Gladbach auf sich zukommen sehen?
Hörter: Die größte Herausforderung ist sicher eine sich verschärfende Glaubenskrise in einer sich immer schneller verändernden Gesellschaft. Da geht es um die Frage: Wie schaffen wir es, die Frohe Botschaft, die wir als Kirche haben, so erlebbar zu machen, dass Menschen sagen: „Ja, der Glaube an Jesus Christus ist etwas, das auch für mein Leben gut sein kann.“
Ist denn die Glaubenskrise, die Sie nennen, nicht wesentlich auch durch eine Vertrauenskrise der Kirche gerade hier im Erzbistum Köln bedingt?
Das ist sicher eine weitere große Herausforderung. Jeder, der die Kirche verlässt, tut weh. Da ist die Vertrauenskrise im Erzbistum Köln nicht die Ursache, aber ein weiterer Mosaikstein für die Relevanz von Glaubensgemeinschaften in der Gesellschaft. Die Frage wird sein: Wie kann man für etwas, das über die Welt hinausweist – das nennen wir Christen Gott – Raum schaffen, wenn man selbst immer weniger ein relevanter Player ist?
Aber mal konkret: Der Vertrauensverlust ist ja gerade im Erzbistum Köln vor allem von Missbrauchsfällen in der Kirche und dem Umgang damit geprägt.
Jeder potenzielle Missbrauchsfall ist sicher die erneute Frage nach Vertrauen. Ob der nun Pfarrer A. oder Kaplan W. heißt – das sind ja die beiden zuletzt bekannt gewordenen Fälle hier im Kreisdekanat – da geht Vertrauen verloren in eine Gemeinschaft, auf die Menschen eh schon kritisch gucken.
Hat die Vertrauenskrise für Ihr Kreisdekanat noch einmal eine besondere Dynamik dadurch bekommen, dass Ihr bislang durchweg hoch angesehener Amtsvorgänger als Kreisdechant im Verdacht steht, mindestens ein Kind über mehrere Jahre sexuell missbraucht zu haben?
Das war sicherlich nochmal ein zusätzlicher Punkt des Vertrauensverlustes. Selbst wenn es nur eine Tat gewesen sein soll, die sich mutmaßlich ja über mehrere Jahre hingezogen haben soll, dann ist das einfach nur entsetzlich.
Wie kann denn Kirche in solch einer Situation überhaupt noch Vertrauen zurückgewinnen?
Da muss jetzt von Seiten der Kirche alles getan werden, dass das Opfer – oder sollten sich noch weitere melden – dass die Opfer begleitet werden, dass sie Hilfe erhalten, dass das nicht weggeredet wird – und man bei aller Unschuldsvermutung, die in dieser Gesellschaft zu Recht gilt, keine Täterperspektive einnimmt. Dabei müssen mögliche Opfer auch geschützt werden vor all denen, die ihnen vorwerfen, sie würden jetzt Dreck auf den großen Pfarrer A. werfen.
Auch wir haben sehr unterschiedliche Reaktionen von Gemeindemitgliedern gespiegelt bekommen.
Ich beobachte zurzeit drei Reaktionen. Die Ersten Sagen: „Na, noch einer und das wird wohl nicht der letzte sein.“ Die Zweiten sagen: „Das kann doch nicht sein, und der Mann kann sich doch nicht wehren, da er 2009 verstorben ist.“ Das ist die Perspektive: „Der, der so viel Gutes für uns getan hat, kann doch nicht gleichzeitig Täter sein.“ Und die Dritten sind die, die vollkommen geschockt sind, die nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen, die das nicht vom Tisch wischen, sondern die sich auf die Tatsache des vermuteten sexuellen Missbrauchs einlassen, aber für die eine ganze Menge zusammenbricht.
Sehen Sie da nicht eine Gefahr der Spaltung der Gläubigen?
Die Gefahr ist da und ich glaube auch, dass es zum Teil in Odenthal auch so ist, dass es eine Lagerbildung gibt.
Wie kann man dem begegnen?
Nur mit einer schonungslosen Offenheit und Wahrheit, soweit das möglich ist.
Soweit das möglich ist?
Ja, jetzt ist Pfarrer A. verstorben, sonst aber ist der Umgang mit diesem Thema auch für Kirche ja immer eine Gratwanderung, weil Täter auch mit Juristen unterwegs sind, um diese Offenheit im Umgang zu unterbinden. Das ist ja auch das Problem mit den Gutachten des Erzbistums gewesen.
Die Kritik richtete sich aber auch auf die Frage, wie solche Missbrauchsfälle in der Kirche möglich waren und ja lange offenbar keineswegs schonungslos offengelegt wurden...
Da hat sich der Umgang in den vergangenen Jahren sicher grundsätzlich verändert. Aber natürlich muss man weiterhin der Frage nachgehen, welche Strukturen in Kirche die Möglichkeit solcher Missbrauchsfälle befördert haben.
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An welche Strukturen denken Sie da?
Eine Rahmenbedingung war sicher in vielen Fällen die Glorifizierung von Priestern. Die Überzeugung, ein Priester tut so etwas nicht, was gerade solche Taten ermöglicht hat.
Wie lässt sich so einer Entrückung von Priestern entgegensteuern? Sie können Gläubigen ja schlecht einfach vorschreiben, niemanden zu glorifizieren...
Nein, aber so etwas lässt sich durch eine Haltung auch selbst durchbrechen. Ich darf mich als Priester nicht auf einen Sockel stellen lassen und ich kann meine Gemeinde ermutigen, das auch nicht zu tun. Auch das alte Bild des Pfarrers als „Familienvater“ muss da sicher dringend revidiert werden.
Auch das kirchliche Recht stand aber in der Kritik, weil es sexuellen Missbrauch durch Priestern vor allem als Verstoß gegen den Zölibat wertete.
Das ist aber ja gerade geändert worden: Die katholische Kirche hat explizit einen Artikel gegen Kindesmissbrauch durch Priester ins Kirchenrecht aufgenommen. Er zählt nun wie Mord als Straftat „gegen Leben, Würde und Freiheit des Menschen“. In Fragen der Verjährung geht das kirchliche Recht jetzt sogar weiter als das staatliche Recht: Eine Verjährungsfrist für solche Taten gibt es nicht mehr. Missbrauch ist mittlerweile ein Thema, mit dem wir offensiv umgehen.