Elsdorf-Esch – Es ist Sonntag. Die Gläubigen besuchen, wie es Brauch ist, die Andacht um 16 Uhr. Seit einer Stunde braut sich ein gewaltiger Orkan zusammen. Als Pfarrer Adolf Lennartz den Schlusssegen gesprochen hat, kämpfen sich die Gottesdienstbesucher so schnell wie möglich durch den peitschenden Sturm nach Hause. Doch elf Mädchen harren mit ihrer Lehrerin in der Kirche aus, um das Ende des Unwetters abzuwarten.
Diese Entscheidung wird fünf von ihnen zum Verhängnis. Um 15.45 Uhr fegt der Sturm den Turmhelm der St.-Laurentius-Kirche um. Er stürzt in das Kirchenschiff. Unter den Trümmern begraben, kommen die zwölf- bis 14-jährigen Schülerinnen, vier aus Esch, eine aus Tollhausen, ums Leben.
Das Ereignis liegt 100 Jahre zurück. Für den 6. November 1921 war ein Sturm zwar angekündigt, doch dass es so schlimm werden würde, hatten die meisten Menschen, wie bei der Flutkatastrophe ein Jahrhundert später, nicht erwartet. Der Bergheimer Historiker Helmut Schrön hat sich in den Archiven auf Spurensuche begeben.
Orkan in Elsdorf: Sechs Mädchen und Lehrerin können gerettet werden
Der Kirchturm, 1848 erbaut, war mit einer Höhe von knapp 60 Metern damals nach dem Kerpener Stiftskirchenturm der zweithöchste im Kreis Bergheim und der ganze Stolz der Escher. Ob seiner schlanken Form wurde er liebevoll Zahnstocher genannt. Vom Sturm gezerrt, brach an dem Sonntag ein Teil des Westturms aus dem Mauerverbund heraus. Der Helm verlor seinen Halt und stürzte in das Langschiff. Den herbeigeeilten Helfern aus dem Dorf und von der Feuerwehr bot sich ein Bild des Grauens. Das Dach des Schiffs war samt steinernem Gewölbe eingestürzt, ebenso wie Teile der Wände.
Sechs Mädchen und die Lehrerin konnten, manche schwer verletzt, gerettet werden. Für Elisabeth Reisten, Katharina Töller, Maria Gierling, Cäcilie Krapp und Anna Abts jedoch sei jede Hilfe zu spät gekommen, berichteten der Erftbote und die Bergheimer Zeitung damals.
Statue von Maria mit dem Jesuskind blieb unbeschädigt
„Die Spitze schlug über den Niederembter Weg hinüber bis ins Dach des Töller’schen Anwesens“, schrieb Josef Neunzig tags darauf im Erftboten. „Bis zu den Chorfenstern“ habe der „pulverisierte Schutt“ gelegen. Inmitten dieser Trümmerwüste stand unbeschädigt die Statue von Maria mit dem Jesuskind auf ihrem Sockel, was als Wunder von Esch in die Dorfchronik einging.
Die fünf Mädchen wurden unter großer Anteilnahme der Escher gemeinsam in einer von Hecken abgegrenzten Nische auf dem Friedhof beigesetzt. Erst kürzlich hat der Kirchenvorstand die Grabsteine reinigen und einen stark verwitterten erneuern lassen.
Elsdorfer Bauunternehmer hatte schon früher gewarnt
Die Kirche wurde ab 1922 wieder aufgebaut. Die Ausführung übernahm der Elsdorfer Bauunternehmer Heinrich Wolff. „Wolff hatte schon früh vor den Gefahren, die vom Turm ausgehen könnten, gewarnt. »Das kommt irgendwann runter«, soll er gesagt haben. Nach Arbeiten am Glockenturm sei dieser nicht mehr sachgemäß verankert worden“, hat Schrön den Berichten der Zeitzeugen entnommen.
Viele Spenden waren aus der Bevölkerung eingegangen, unter anderem aus Konzerten des Kölner Männergesangvereins und des Tonkünstlerorchesters Köln im Saal der Gaststätte von Jakob Bodewig. Aber die rasante Inflation der 20er-Jahre schränkte die Möglichkeiten ein. So ersetzte ein flacherer Turm die elegante Nadel. Ostern 1923 wurde in der teils wiedererrichteten Kirche der erste Gottesdienst gefeiert. Die erneute Kirchweihe erfolgte im Juli 1927.
Schrön wird die Transkriptionen aus den Tageszeitungen und weiteren Archivunterlagen mit Einordnungen im Mitte November erscheinenden Jahrbuch des Bergheimer Geschichtsvereins veröffentlichen. In der St.-Laurentius-Kirche wird im Rahmen des Gottesdienstes am Sonntag, 7. November, an dem auch bistumsweit Kirchenvorstände und Pfarrgemeinderäte gewählt werden, ab 9.30 Uhr der toten Mädchen gedacht.