Rhein-Erft-Kreis – Bei der Europawahl bekamen die Grünen bundesweit 20,5 Prozent der Stimmen und bilden damit genau wie im Kreis (20,99 Prozent) die zweitstärkste Kraft. Vorstandsmitglieder der Grünen Jugend Rhein-Erft erklären, wie es ihrer Ansicht nach zu dem Erfolg der Partei gekommen ist und wie sie dauerhaft Stimmen sichern kann.
Wie sind Sie – als Vorbilder in Sachen Klimaschutz – zur Redaktion gekommen?
Vinzenz Rundspaden: Ich bin auch mit dem Zug gekommen.
Arne Schwegeler: Ich bin mit dem Bus gekommen.
Woher kommt der hohe Zuspruch für die Grünen aktuell?
Arne Schwegeler: Ich gehe ja noch zur Schule, und dort lernt man eigentlich in jedem Fach, wie bedrohlich der Klimawandel ist. Und die Bewegung Fridays for Future hat die Leute wachgerüttelt und noch mal dran erinnert.
Werden die Umfrageergebnisse im Umkehrschluss wieder schlechter, wenn Fridays for Future vorbei ist?
Vinzenz Rundspaden: Wir stehen unmittelbar vor den Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg, und so, wie die Umfragewerte aktuell aussehen, werden die Grünen um die zehn bis 15 Prozent haben. Das ist natürlich deutlich weniger, als wir gerade mit 27 Prozent im Bundestrend haben. Da befürchte ich tatsächlich, dass sich der Trend mit diesem zu erwartenden Wahlergebnis umkehren könnte. Die Wähler, die wir dazugewonnen haben, sind anscheinend alle Wechselwähler, bei denen die Gefahr besteht, dass die sich wieder umentscheiden.
Moritz Jungeblodt: Wir müssen in einer komplexen und krisengeschüttelten Zeit Orientierung bieten. Ich glaube, diese Orientierung wird auch angenommen: ein klares Signal pro Europa, für eine liberale und offene Gesellschaft, Ehe für alle, Gleichberechtigung im Parlament. Das sind so Themen, die haben die Grünen in den 80ern angesprochen. Umweltschutz geht ja noch viel weiter als nur Klimawandel. Zum Beispiel die Reduzierung von Plastik, Tierschutz, Massentierhaltung. Dann geht es um die großen Themen Frieden und Krieg. Das sind Themen, für die die Grünen seit 20 bis 30 Jahren einstehen, für die sie teilweise belächelt wurden, weil nicht gesehen wurde, wie wichtig die sind.
Was können die Grünen tun, um dauerhaft so erfolgreich zu bleiben?
Moritz Jungeblodt: Als junger Kreisgeschäftsführer ist das eine riesige Verantwortung. Wir bekommen jetzt ganz viele neue Mitglieder, die mitwirken und mitbestimmen können, und müssen unsere Angebote stärken. Dieser Verantwortung kann man nur gerecht werden, wenn wirklich viele Menschen aus breiten Teilen der Bevölkerung mitwirken und sich aktiv einbringen und auch den Diskurs mitverändern und verbessern. Es ist ein Fehler zu sagen, man habe früher alles richtig gemacht und die neuen Leute sollten nur dabei helfen, das Richtige weiterzubringen, sondern man muss den Neuen auch die Möglichkeit geben, kritisch zu hinterfragen und die Partei weiterzuentwickeln, und man muss eine Offenheit schaffen, dass was Neues kommt, auch wenn es Altem widerspricht. Wie auch jetzt die neue Grüne Jugend ganz wichtig ist.
Hat sich der Umgang mit der Grünen Jugend durch den derzeitigen Trend verändert?
Vinzenz Rundspaden: Ja, auf jeden Fall. Als wir am 1. Juni auf der Kreismitgliederversammlung unserer Partei verkündet haben, dass wir die Grüne Jugend wieder aufleben lassen wollen, hat das einen großen Begeisterungssturm ausgelöst. Wir sind ja alle neue Mitglieder und wurden mit offenen Armen empfangen, und unsere Stimmen wurden auch gehört und unsere kritischen Fragen beantwortet.
Haben Sie sich ein Ziel gesetzt, wie Sie als Jugendorganisation mit der Partei umgehen?
Vinzenz Rundspaden: Ich habe für den stellvertretenden Kreisparteivorsitz der Grünen kandidiert, da die Altvorderen viel über Fridays for Future und den aktuellen Trend gesprochen haben, aber mir ihre Forderungen zu unambitioniert vorkamen. Deshalb fand ich es wichtig, dass wir im Vorstand auch ein junges Mitglied haben, das eben diese Impulse einbringt. Aber das hat leider nicht geklappt.
Moritz Jungelodt: Ich glaube, dass die Grüne Jugend auch bald in allen Gremien vertreten sein wird. Ich war ein Jahr Mitglied und war dann fünf Jahre im Kreisvorstand. Sie werden im Kreisparteirat sein und bei allen Kreisvorstandssitzungen eingebunden sein.
Zurück zu den Inhalten. Wie begegnen Sie den Leuten, die sagen, dass die Fridays-for-Future-Demonstranten viele Forderungen stellen, aber keine Lösungen haben?
Moritz Jungeblodt: Ich finde Fridays for Future hat überraschend viele Lösungsansätze gezeigt. Wenn man das mit anderen Großdemonstrationen wie TTIP oder Pegida vergleicht, waren das viel weniger bis gar keine. Die richtige Frage ist eigentlich, warum Politik und Gesellschaft die letzten zehn Jahre so verschlafen haben, obwohl die Themen schon damals auf der Tagesordnung der Grünen standen.
Die Grüne Jugend
Die jungen Mitglieder der Grünen haben am 1. Juni auf der Kreismitgliederversammlung der Partei beschlossen, die Grüne Jugend wieder aufleben zu lassen. Am 17. Juni wurde ein neuer Vorstand für die 56 Mitglieder gewählt: Vinzenz Rundspaden (20) und Raoul Schulz (24) sind Sprecher, Mehjar Khayyati (22) ist Kassierer, Arne Schwegeler (17) und Christian Schubert (16) sind Beisitzer. Kreisgeschäftsführer Moritz Jungeblodt zählt mit 30 Jahren noch zur Grünen Jugend. (smh)
Arne Schwegeler: Die Bewegung besteht ja größtenteils aus Schülern und Studierenden, und es ist nicht ihre Aufgabe, Lösungsvorschläge zu liefern. Was die sagen ist eigentlich nur, dass die Politik, die hier gemacht wird, absolut ungenügend ist und viele Versprechen gar nicht erfüllt werden. Die Lösungen zu finden, ist Aufgabe der Politiker, die diese nicht wahrgenommen haben.
Können die Grünen die Erwartungen, die an sie als Partei gestellt werden, in Zukunft erfüllen?
Moritz Jungeblodt: Fallhöhen in der Politik sind immer hoch. Ich fand das auch immer schwierig in der Politik, den Leuten was zu versprechen. Richtig ist eher zu sagen, wohin geht der Impuls, wofür wird man sich einsetzen. Das heißt, auf allen politischen Ebenen dafür zu kämpfen, dass wir Bund, Land und Europa zusammenbringen, damit dieses ständige „Wer kriegt mehr vom Kuchen?“ endlich aufhört. Der Verantwortung, für die man kämpft, muss man auch gerecht werden.
Was wäre denn auf Kreis- und Bundesebene ein Wunsch-Koalitionspartner?
Vinzenz Rundspaden: Ich denke, da haben wir ganz vielfältige Meinungen. Ich persönlich tendiere auf Bundesebene zu Rot-Rot-Grün, während ich auch die Präferenz meiner Kollegen für Jamaika oder Schwarz-Grün anerkenne. Zur CDU gibt es die Überschneidung mit der Bewahrung der Schöpfung, sie hat da auch gewisse Umweltschutzideen. Rot-Rot-Grün, das wäre dann halt eine Linkskoalition.
Moritz Jungeblodt: Auf Kreisebene kann man sagen, dass jeder Koalitionsvertrag immer einstimmig durchgegangen ist. Da geht es neben den politischen Überschneidungen auch um eine vertrauensvolle Zusammenarbeit. Wir wissen auch, je stärker wir in eine Koalition gehen, desto stärker können wir unsere Forderungen umsetzen. Deshalb brauchen wir gute Wahlergebnisse. Da sind alle Parteien im demokratischen Spektrum mögliche Koalitionspartner. Deswegen ist die AfD ausgeschlossen.
Arne Schwegeler: Ich persönlich fände eine Koalition von Grünen und CDU auf Bundesebene eher suboptimal. Auch, weil die CDU dazu tendiert, die Jüngeren zu ignorieren. Besser fände ich eine Koalition mit der FDP, weil man damit eine Partei hat, die sich stark für die Wirtschaft interessiert und gleichzeitig fürs Klima kämpft. Die Verbindung ist eigentlich optimal, wenn auch unrealistisch.
In einer Koalition sind Kompromisse ja unerlässlich. Wie werden es die Grünen schaffen, ihre Ziele voranzutreiben, ohne dabei ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren?
Moritz Jungeblodt: Ich glaube, es hilft schon mal ganz viel zu kommunizieren, warum wir einen bestimmten Kompromiss eingehen und wann. Schwierig wird es für die Bürger, wenn sie glauben, dass alle einfach nur das Gleiche wollen und über ihren Kopf hinweg entscheiden. Wir Grünen achten immer eher auf Umweltschutz und Nachhaltigkeit.
Könnte dieses Steckenpferd der Grünen, Klima und Umwelt, auch ein Nachteil sein, weil die Bevölkerung die Partei nur darauf beschränkt?
Moritz Jungeblodt: Die Landesschatzmeisterin der Grünen, Anja von Marenholtz aus Pulheim, ist ja genau so in die Politik gekommen: über eine Elterninitiative für eine Gesamtschule in Pulheim, die die Grünen mit dem Bürgerverein gegen CDU, SPD und FDP mit Erfolg unterstützt haben. Mein Weg ist gestartet, als ich etwas gegen Neonazis im Kreis unternommen habe. Da gibt es ganz unterschiedliche Zugänge zur Partei. Wir wollen auch in den Programmen widerspiegeln, dass wir vielfältig sind. Wir haben uns nur die letzten anderthalb Jahre auf das Thema Umwelt sehr fokussiert.
Sollten die Grünen bei ihrem derzeitigen Erfolg einen Kanzlerkandidaten stellen und wenn ja, wen?
Moritz Jungeblodt: Das ist ganz klar, dass wir das machen. Ich finde, dass Annalena Baerbock einen hervorragenden Job macht, seit sie Parteivorsitzende ist. Ich finde das eigentlich ganz gut, wenn Deutschland von einer Frau regiert wird. Zu viele Männer in der Weltpolitik sind gerade eher zu vergessen.
Vinzenz Rundspaden: Cem Özdemir haben wir noch und Anton Hofreiter. Ich finde Annalena Baerbock aber auch klasse.
Was sind innerhalb der Grünen Jugend jetzt die nächsten Schritte, um die Jugendorganisation wieder zu etablieren?
Moritz Jungeblodt: Neben der Konstituierungssitzung wird die Grüne Jugend zum Kreisvorstand eingeladen, damit sie früh einbezogen wird. Da steht erstmal der Kommunalwahlkampf auf dem Plan, der Hambacher Forst, Neonazis, Kampf gegen die Rechte. An Themen wird es uns nicht mangeln.
Vinzenz Rundspaden: Meine Aufgaben als Sprecher sind jetzt, die Finanzierung zu klären, die Anerkennung durch Landes- und Bundesverband zu erreichen und das monatliche Aktiventreffen wieder aufleben zu lassen, um inhaltlich Politik zu machen. Außerdem wollen wir die Connection zur Kreispartei pflegen und öffentlich Präsenz zeigen. Natürlich wollen wir auch neue Mitglieder werben.
Interessenten können sich per Mail bei der Grünen Jugend melden.