Die Ampelkoalition ist am Ende, Politiker aus dem Rhein-Erft-Kreis reagieren auf den Bruch des Bündnisses.
Reaktionen auf das Ampel-Aus in Rhein-Erft„Ein Armutszeugnis für einen Bundesminister“
„Es ist wichtig, dass wir endlich Klarheit haben.“ Mit nüchterner Ruhe reagiert Helge Herrwegen, seit wenigen Wochen Vorsitzender der SPD Rhein-Erft, auf den Bruch der Ampelkoalition in Berlin und mögliche Neuwahlen. Allerdings: „Es wäre besser gewesen, noch in der Koalition gute Ergebnisse zu erzielen, aber es war keine Bewegung in der FDP zu erkennen. Das Zerwürfnis war offensichtlich.“
Herrwegen sieht es nun als wichtig an, dass auch die CDU/CSU-Union Verantwortung übernimmt. „Wir müssen mit der Union noch vor einer Neuwahl Entscheidungen treffen, etwa in Energiefragen, damit es weitergeht“, sagt Herrwegen. Man müsse mit der Opposition ins Gespräch kommen.
SPD Rhein-Erft stellt bald ihre Kandidaten auf
Für mögliche Neuwahlen sei die SPD zeitlich gut im Plan: Am 16. November findet im Bürgerhaus in Quadrath-Ichendorf die Aufstellungsversammlung für den Wahlkreis 90 (Rhein-Erft-Kreis I) statt, bei der aktuell Aaron Spielmanns aus Bedburg der einzige Kandidat ist, am 30. November findet sie in Weilerswist für den Wahlkreis 91 (Euskirchen und Rhein-Erft-Kreis II mit Brühl, Erftstadt und Wesseling) statt. Hier hat bis jetzt Andrea Kanonenberg aus Wesseling als einzige Bewerberin Interesse bekundet.
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Mit FDP-Chef und Ex-Finanzminister Christian Lindner geht die Erftstädter SPD-Bundestagsabgeordnete Dagmar Andres hart ins Gericht. „Lindner hat von Anfang an versucht, sich selbst auf Kosten der Ampel zu profilieren, getroffene Vereinbarungen aufgekündigt, gefasste Beschlüsse nachverhandeln wollen und wenn dies mit Kritik an seiner Vorgehensweise bedacht wurde, hat er angefangen zu drohen“, sagt Andres. „Das ist ein Armutszeugnis für einen Bundesminister.“ Kanzler Olaf Scholz und die SPD hätten „immer und immer wieder (und Habeck und die Grünen übrigens auch) bis zur eigenen Schmerzgrenze Kompromisse gefunden“.
Den Liberalen fehle es an Zuverlässigkeit. „Nachdem die FDP 2017 eine Koalition schon vor Beginn verlassen hat, ist diese Flucht aus der Verantwortung ein weiteres Beispiel dafür, dass man sich im Zweifel nicht zu sehr auf das staatspolitische Verantwortungsbewusstsein der FDP verlassen sollte“, sagt Andres, die einem neuen Bundestag nicht angehören wird, sondern sich aus der Bundespolitik zurückzieht.
„Wir haben die einhellige Position: Der Bruch der Koalition ist kein Anlass für Triumphgefühle“, sagt Georg Kippels, CDU-Bundestagsabgeordneter aus Bedburg. „Das ist eine sehr ernste Situation, und wir brauchen schnellstmöglich eine Folgelösung für diese Bundesregierung.“ Daher dränge die Union auch darauf, dass Kanzler Scholz die Vertrauensfrage auch bereits in der nächsten Sitzung des Bundestags stelle, um Neuwahlen zu ermöglichen, und nicht erst im kommenden Jahr. „Wir müssen den Zeitraum des Vakuums so gering wie möglich halten.“
Der Auftritt des Kanzlers sei an Skurrilität kaum zu überbieten gewesen. Scholz' Rede sei offenkundig schon über Tage ausgearbeitet gewesen, die Spontaneität nur gespielt, glaubt Kippels. „Seine Tirade hat nicht dazu beigetragen, dass Menschen Vertrauen in staatliche Institutionen gewinnen.“ Und: „In seiner Position hätte Scholz sein Seelenleben von seiner Amtsverpflichtung trennen müssen.“
Kippels selbst will dem neuen Bundestag angehören, der Kreisvorstand der CDU hat ihn bereits einstimmig nominiert. Am 23. November findet im Bürgerhaus Oberaußem die Aufstellungsversammlung statt, zu der die Partei bereits eingeladen hat.
Beim abendlichen Spaziergang durch Berlin hat Detlef Seif am Mittwoch per Handy von den Ereignissen erfahren, die sich unweit im Kanzleramt abspielten. „Ich finde das menschlich unter allem, was man sich so vorstellen kann“, sagt der Weilerswister, zu dessen Wahlkreis auch Brühl, Erftstadt und Wesseling gehören, über das Statement von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), in dem er die Entlassung von Finanzminister Christian Lindner (FDP) begründete.
Die Forderungen des FDP-Chefs nach einer Änderung der Politik seien nachvollziehbar, so Seif. Die Ampel habe es verpasst, nach dem Vollangriff Russlands auf die Ukraine eine neue Priorisierung vorzunehmen. Dass nun schon bald der Wahlkampf starten dürfte, störe ihn nicht, sagt Seif: „Ich gehöre zu den Politikern, die eigentlich ab dem ersten Tag nach der Wahl bemüht sind, eine gute Politik zu machen. Darin sehe ich den besten Wahlkampf.“
Oppositions-Politiker fordern früheren Termin für Neuwahlen
So sei es für ihn auch nicht so wichtig, wann gewählt werde. Folgerichtig wäre es aber aus seiner Sicht gewesen, wenn Scholz schon in den kommenden Tagen die Vertrauensfrage stellen würde. „Also das, was Lindner auch angeregt hatte. Das wäre der richtige Weg“, so Seif. Die Union jedenfalls könne keine „vergifteten Angebote“ von der Minderheitsregierung annehmen.
Sein Abgeordnetenkollege Markus Herbrand (FDP) hatte wegen einer fiesen Erkältung das Ampel-Aus am Fernseher verfolgt, war dann aber in die nächtliche Fraktionssitzung digital zugeschaltet. „Ich bin mir nicht sicher, dass der Zeitplan von Olaf Scholz aufgeht“, sagt Herbrand. Dass CDU/CSU, die ja eine frühe Vertrauensfrage forderten, die rot-grüne Minderheitsregierung unterstützen würden, glaube er nicht.
Dann aber könnte alles noch schneller gehen. Er sei darauf vorbereitet, versichert Herbrand. Für ihn sind nun drei Dinge wichtig: seine offizielle Nominierung zum Bundestagskandidaten am 16. November, eine aussichtsreiche Platzierung auf der FDP-Landesliste und dass die Liberalen die Fünf-Prozent-Hürde überspringen. „An allen drei Punkten habe ich keinen Zweifel“, zeigt sich der Gemünder optimistisch: „Ob dann der Listenplatz reicht, müssen wir schauen.“ 2021 kam er mit Listenplatz 11 ins Hohe Haus. Damals zog die FDP-Liste in NRW bis Platz 19.
Rhein-Erft: Landrat sieht vorgezogene Bundestagswahl als Chance für die Kommunalwahl
Während das Ende der Ampel für ihn keineswegs aus heiterem Himmel kam, überraschte Herbrand etwas anderes schon: der Parteiaustritt von Verkehrsminister Volker Wissing. Wissing habe offenkundig eine andere Auffassung zur Ampel als weite Teile der Fraktion „und, wie ich glaube, auch der Partei“, sagt Herbrand.
Für den AfD-Bundestagsabgeordneten Rüdiger Lucassen aus Bad Münstereifel macht das Aus der Ampel „das Versagen der bisherigen Bundesregierung in den wichtigen gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Politikfeldern deutlich“. Damit meine er Migration, Klima und Energie sowie die Sicherheit der Bürger, die „sich eben nicht mit ideologischen Konzepten beantworten“ ließen. Er wolle wieder als Direktkandidat im Wahlkreis 91 antreten und sei sich der Unterstützung der beiden AfD-Kreisverbände Euskirchen und Rhein-Erft sicher.
Landrat Frank Rock (CDU) sieht in vorgezogenen Neuwahlen eine Chance für die Kommunalwahl. Ursprünglich war geplant, Kommunal- und Bundestagswahl im kommenden September zeitlich nah beieinander zu legen. Dazu wird es nun wohl nicht mehr kommen. „Für die Kommunalwahl im Herbst ergibt sich daraus die Möglichkeit, dass kommunale Themen ohne die Überlagerung bundespolitischer Debatten stärker in den Mittelpunkt gerückt werden können“, sagt Rock. „Lokale Anliegen verdienen es, eigenständig betrachtet zu werden, und durch den getrennten Wahltermin können sich die Bürgerinnen und Bürger gezielt auf diese Themen konzentrieren.“
Grüner aus Erftstadt warnt vor einer „Schlammschlacht“
„Es ist wichtig, dass wir in dieser wirtschaftlich schwierigen Situation – Stichwort Rezession – eine Wirtschaftswende hinbekommen. Das ist mit Rot und Grün in dieser Ampelregierung nicht drin gewesen“, sagt Christian Pohlmann, Kreisvorsitzender der FDP. Er halte es für „Respektlos gegenüber den Wählern, dass Olaf Scholz jetzt noch fünf Monate so weitermachen will“. Der Liberale fordert frühere Neuwahlen: „Wir brauchen im Januar eine neue Regierung, wenn Trump sein Amt antritt.“
Das Aus der Ampel habe sich bereits seit dem Frühsommer abgezeichnet, so der Politikwissenschaftler. „Der FDP-Kreisverband ist darauf vorbereitet, im Januar oder Februar Wahlkampf zu machen, wenn nötig auch früher“, sagt Pohlmann. „Wir haben unseren Kandidaten Stefan Westerschulze vor eineinhalb Monaten gekürt für die nächste Bundestagswahl, unabhängig davon, wann sie stattfindet.“
„Es war allen klar, dass die Ampel nicht bis zum Herbst halten wird“, sagt Christian Schubert, Kreisvorsitzender der Grünen. Dennoch halte er den Zeitpunkt ein „Stück weit für tragisch“. Schubert: „Jetzt sind alle gefragt, damit es nicht zu einer persönlichen Schlammschlacht wird.“ Der Erftstädter stellt fest: „Nicht alle drei Parteien in der Ampel haben das Staats- über das Parteiinteresse gestellt.“ Auch angesichts der schwierigen internationalen Lage es sei es wichtig, dass „die Regierung handlungsfähig bleibt und zügig, aber geordnet den Weg für Neuwahlen freimacht“.
Die Grünen im Rhein-Erft-Kreis wollen im November über ihre Wahlkreiskandidaten entscheiden und seien auf vorzeitige Wahlen vorbereitet. Auf die Zusammenarbeit auf Kreisebene werde der Bruch der Ampelkoalition keinen Einfluss haben. „Klar gab es zwischen Grünen und FDP auch mal Streit. Aber wir waren immer sehr vertrauensvoll und konstruktiv gemeinsam für den Kreis unterwegs.“
In den Rathäusern muss nun früher als geplant eine Bundestagswahl organisiert werden. „Die Organisation der Wahlen im kommenden Jahr – dazu gehören neben der Bundestagswahl unter anderem auch die Kommunalwahlen – hat verwaltungsintern bereits begonnen“, sagt Frank Keppeler (CDU), Bürgermeister in Pulheim und Sprecher der Bürgermeisterkonferenz. „Eine mögliche vorzeitige Neuwahl würde entsprechend vorbereitet.“