Rhein-Erft-Kreis – Es brodelt im Erzbistum Köln. Tim Merzbach, Vorsitzender des Diözesanrats, dem obersten Laiengremium, befindet, dass „wir uns in der größten Kirchenkrise befinden, die wir je erlebt haben“. Johannes Wilhelm Rörig, Missbrauchsbeauftragter der Bundesregierung, äußert sich „erschüttert“ über das Verhalten des Kölner Erzbischofs Rainer Maria Kardinal Woelki. 34 Kölner Pfarrer, darunter der Brühler stellvertretende Kreisdechant Jochen Thull, sandten in der vergangenen Woche einen „Brandbrief“ nach Köln, in dem sie gegenüber ihrem Chef einen Loyalitätskonflikt kundtun. In einer Online-Petition protestieren Tausende Gläubige „gegen Vertuschung“.
Grund des Unmuts ist das Gutachten über sexuellen Missbrauch durch kirchliche Würdenträger, das Woelki in Auftrag gegeben hat, jetzt aber zurückhält und daher Konsequenzen aus den gutachterlichen Erkenntnissen zunächst ausbleiben. Erst am 18. März will er ein zweites Gutachten öffentlich machen.
Renate Röblitz spricht über den drohenden Absturz der Kirche
Woelkis verklausulierte Bitten um Verzeihung in seiner Weihnachtspredigt, Drohungen aus der Personalabteilung des Bistums gegen Pfarrer, die die Situation beklagen, unglückliche Äußerungen von Bischöfen, eine Pressekonferenz mit Verschwiegenheitsklausel und der in die Diskussion gebrachte synodale Zukunftsweg mit Großpfarreien statt Vor-Ort-Kirche sorgen für große Irritation. Viele Katholiken stimmen entnervt mit den Füßen ab, wobei die Sonntagsmessen wegen der Pandemie ohnehin wenig besucht werden oder in einigen Pfarreien die Gottesdienste komplett ausgesetzt sind. Oder sie wählen unverändert zahlreich den Austritt per Gesuch beim zuständigen Amtsgericht.
Auch im Rhein-Erft-Kreis wird die Lage als unerfreulich angesehen. Renate Röblitz, Vorsitzende des Katholikenrats im Kreis, sieht, dass „die öffentliche Wahrnehmung derzeit katastrophal“ sei und der Kirche „die Glaubwürdigkeit als moralische Instanz“ entziehe, und dass „das Vertrauen in den Kardinal gestört“ sei. Die Verantwortlichen sollten „so schnell wie möglich Konsequenzen tragen“. Allein „schonungslose Offenheit“ könne den „Absturz“ der Kirche noch verhindern. Sie bleibe in der Kirche trotz „patriarchalischer Machtstrukturen“ und fordere die Berufung von Frauen zu Priesterinnen als „Bereicherung“.
Rhein-Erft: Achim Brennecke und Gerhard Dane rufen zu Geduld auf
Auf „mehr Klarheit nach dem 18. März“ hofft Kreisdechant Achim Brennecke.
„Mit Jesus zusammen in einem Boot unterwegs bei stürmischer See, so nehme ich die derzeitige Situation wahr. Es mag so sein, wie in dem Seesturm, den der Evangelist Markus beschreibt. Diese Situation kann Angst und Sorgen erzeugen. Hinzu kommt die Pandemie mit ganz anderen Wellenformaten. In der genannten Bibelstelle ist es Christus, der den Menschen Halt, Ruhe und Gelassenheit verleiht und sie das Boot in Zusammenarbeit an das rechte Ufer steuern lässt.“ Miteinander zu sprechen und neues Vertrauen wachsen zu lassen, werde neue Orientierung schaffen, hofft Brennecke.
Sein Vorgänger Gerhard Dane ruft ebenfalls zu Geduld auf. Corona bedrücke die Menschen weit mehr. Schon früher habe es unter den Freunden Jesu „Versager und Heilige“ gegeben „und oft Licht und Schatten in einer Person“. Die Verbrechen seiner Mitbrüder „an Kindern, Jugendlichen und Frauen sind nicht wiedergutzumachen“. Den „tief Verletzten“ helfe „unsere Trauer und ein tapferer Reformprozess“. Nach seiner Überzeugung wolle Woelki „wirklich schonungslose Aufklärung“.
Kann Kardinal Woelki das Bistum noch glaubwürdig führen?
Der Stommelner Pfarrer Christoph Hittmeyer sieht für die Beurteilung von Woelkis Zögern bei der Präsentation des Gutachtens zu wenig „eindeutige Erläuterung“ durch das Generalvikariat. „Die Frustration ist hoch.“
Rechtfertigungen seien „mächtig danebengegangen“. „Heilende Worte, Taten und Offenheit“ fordert er, sieht aber auch, dass der Glaube „um den Kirchturm wächst oder schwindet“. Woelki müsse selbst entscheiden, „ob er der Botschaft im Wege steht oder ob die Kraft reicht, das Bistum glaubwürdig zu führen“, was er für „unmöglich“ hält.
Der Bliesheimer Seelsorger und Buchautor Willi Hoffsümmer fordert „schnelles Handeln“, fürchtet beim synodalen Weg eine vorgefasste Meinung mit „Beteiligung der Gläubigen als Deckmantel.
„Gemeinde muss da sein, wo die Glocken läuten“, fordert er. Beim Missbrauchsskandal „steigt der Frust. Es ist erstaunlich, dass nicht noch mehr Christen ausgetreten sind“. Woelki habe „Fehler gemacht, aber das so nicht überblickt“. Über seinen Verbleib im Amt müsse er „selbst entscheiden“, sagt Hoffsümmer.
Rhein-Erft-Kreis: Zahl der Kirchenaustritte steigt im Januar an
Die Zahl der Austritte (ob katholisch oder evangelisch, wird nicht mehr separat erfasst) lag im Kreis 2020 etwas niedriger als in 2019. Im Januar ist sie hochgerechnet gestiegen.
Das Kerpener Amtsgericht verzeichnete 700 Austritte 2019, 650 im vergangenen Jahr und 84 im Januar in Kerpen und Frechen.
In Brühl, zuständig für Brühl, Erftstadt, Hürth und Wesseling, haben 1479 Christen 2019 der Kirche den Rücken gekehrt, 1160 im Jahr 2020. Für Januar liegen die Zahlen noch nicht vor.
In Bergheim sind 1200 Austritte 2019 aus Bergheim, Bedburg, Elsdorf und Pulheim erfasst worden, 847 im Jahr 2020 und im Januar 90. In Bergheim werden pro Tag vier Termine für Austritte vergeben. Das Gericht ist bis Mitte März ausgebucht. „Das ist nicht dramatisch“, sagt Direktor Thomas Ulmer. (ftz)