2010 und 2013 waren Vergehen ans Erzbistum gemeldet worden. Der Geistliche hatte auch einen 19-Jährigen missbraucht.
Missbrauchsgutachten des ErzbistumsVerurteilter Priester aus Windeck als ungefährlich eingestuft
Knapp fünf Monate ist es her, dass Weihbischof Ansgar Puff in der Kirche St. Laurentius in Windeck-Dattenfeld die Gemüter beruhigen und eine Möglichkeit zur Aussprache bieten wollte. Grund für das Proclamandum war die Verurteilung eines ehemaligen Windecker Pfarrvikars, der 2022 bei zwei privaten Radtouren sexuelle Handlungen an einem 15-jährigen Messdiener begangen hatte. Dabei hatte es schon 2010 die Auflage gegeben, dass der Priester nicht mit Kindern und Jugendlichen arbeiten solle.
Bei der Veranstaltung im Februar hatte Puff zugegeben, dass es im Kontrollsystem Lücken gegeben habe. Hatte sich, im Kirchenschiff vor den erschütterten Gemeindemitgliedern stehend, laut gefragt: „Habe ich genug getan?“ Schließlich sei er 2012 und 2013 Personalrat gewesen und habe vom Nähe-Distanz-Problem des nun Verurteilten gewusst. Dass er selber den damals in einer Gemeinde im Kölner Norden Eingesetzten mit sofortiger Wirkung 2013 beurlaubt und ein forensisches Gutachten in Auftrag gegeben hatte, weil ein 19-jähriger Teilnehmer einer gemeinsamen Freizeit sexuellen Übergriffen durch den Priester ausgesetzt war, ließ Puff unerwähnt.
Der ehemalige Vorgesetzte wurde von Kardinal Woelki inzwischen zu einer Geldstrafe verurteilt
Erst durch einen Bericht des WDR-Magazins „Westpol“ kam dies nun ans Licht. Die Szenerie damals war ganz ähnlich wie die neun Jahre später: Eine Radtour mit Jugendlichen aus der Gemeinde, der Priester radelt vorweg, um sich ein gemeinsames Zimmer mit einem Doppelbett für einen der Jungen und sich zu sichern. 2013 habe er neben dem ihm anvertrauten jungen Mann masturbiert, berichtet der WDR. 2022 missbrauchte der Geistliche, so steht es im schriftlichen Urteil des Amtsgerichts in Deggendorf, bei zwei privaten Radtouren in Bayern, mehrfach einen 15-Jährigen, der mit ihm im Bett schlief.
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2013 vertraute sich der verstörte 19-Jährige den Betreuern der Ferienfreizeit an, seine Eltern meldeten den Fall dem Bistum, das dem Priester zwar einen kanonischen Verweis erteilte und beurlaubte, aber erst neun Jahre später Anzeige bei der Staatsanwaltschaft erstattete. Das 2014 erstellte forensische Gutachten über ihn war eindeutig: Der Priester dürfe nicht mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, müsse eine Therapie machen. Das Erzbistum versetzte ihn nach Haan, wo er für die Seniorenarbeit zuständig war. 2018 dann die Versetzung nach Windeck.
Dem damaligen leitenden Pfarrer sei mitgeteilt worden, dass der Priester keinen Kontakt mit Kindern und Jugendlichen haben dürfe, Gottesdienste ausgenommen. Damit habe man sicherstellen wollen, dass der Kleriker den Auflagen entsprechend eingesetzt werde, so eine Sprecherin des Erzbistums auf Anfrage. Der Vorgesetzte, mittlerweile im Ruhestand und als Subsidiar in Bad Münstereifel tätig, missachtete dies jedoch. Er sei von Kardinal Woelki dafür mit einem kanonischen Verweis sanktioniert worden, teilte die Sprecherin mit. Außerdem sei eine Geldstrafe verhängt worden, die für die Auszahlung von Anerkennungsleistungen von Missbrauchsbetroffenen verwendet werde. Über die Höhe dieser Strafe ist nichts bekannt.
Im Missbrauchsgutachten wird dem Geistlichen Ungefährlichkeit attestiert
In das 800 Seiten starken Gutachten zum Umgang mit sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche in den Jahren 1975 bis 2018, das der Rechtsexperte Prof. Dr. Björn Gercke im Auftrag des Kölner Erzbistums anfertigte und am 18. März 2021 veröffentlichte, ist der Priester aufgenommen worden. Auf Seite 681, unter dem Aktenvorgang 174, ist beschrieben, was dem Geistlichen zur Last gelegt wird. Demnach wurde das Erzbistum im Oktober 2010 darüber informiert, dass er sich in einer Ferienfreizeit für Kinder im Alter zwischen zwölf und 16 Jahren Zutritt zu den Duschräumen verschafft und die nackten Jungen beobachtet habe.
Im November sei er zu diesen Vorwürfen gehört worden, es sei vereinbart worden, dass er sich einer Einzelsupervision unterziehen müsse. Im Dezember wurde entschieden, dass er nicht mehr in der Kinder- und Jugendarbeit tätig sein dürfe. Laut Gercke-Gutachten versuchte der Beschuldigte danach, als Privatperson an einer Ferienfreizeit teilzunehmen, was ihm jedoch untersagt wurde.
Nachdem sich der 19-Jährige im Juni 2013 an die Interventionsstelle des Erzbistums gewendet hatte, sei der Geistliche mit den Vorwürfen konfrontiert worden. Er habe eingestanden, im Rahmen eines privaten Ausfluges mit dem Jungen in einem Bett übernachtet zu haben, bestritt aber, dass es zu einem sexuellen Übergriff gekommen sei. Erneut wurde ihm jeglicher Kontakt zu Kinder- und Jugendlichen untersagt.
Das forensisch-psychiatrische Gutachten sei 2014 aber zu dem Ergebnis gekommen, dass dem Beschuldigten keine Störung der Sexualpräferenz attestiert werden könne. Werde er psychotherapeutisch betreut, sei ein weiterer Einsatz unter dem Gesichtspunkt einer Gefährlichkeitsprognose nicht zu beanstanden.
Nach Recherchen des WDR fehlt im Missbrauchsgutachten dann aber ein entscheidender Zusatz: Die Psychiater der Uniklinik Duisburg-Essen stuften den Mann offenbar nur als ungefährlich ein, wenn er nicht mit Kindern und Jugendlichen arbeite. Warum dieser Zusatz nicht aufgenommen wurde, lässt sich nicht mehr rekonstruieren.
„Das weitere Vorgehen ist nicht dokumentiert“, so schließt die Passage über den mittlerweile verurteilten Sexualstraftäter. Nach der Versetzung nach Windeck jedenfalls wurden weder er noch sein Vorgesetzter durch das Erzbistum kontrolliert. Dabei war es kein Geheimnis, dass sich der Priester in seiner neuen Gemeinde über die Auflagen hinwegsetzte. Er war aktiv in der Vorbereitung von Erstkommunionen und Firmungen, nahm an Ausflügen teil. Bei der Aussprache mit Ansgar Puff in Windeck-Dattenfeld berichtete ein Nachbar außerdem, Kinder und Jugendliche seien bei ihm auffallend häufig alleine Zuhause gewesen, er habe mit ihnen gegrillt und sei mit ihnen Fahrrad gefahren. 2021 gab es dann offenbar einen Hinweis an die Interventionsstelle des Erzbistums, dass der später missbrauchte Jugendliche bei dem Mann verdächtig oft ein und aus gehe.
Warum die Interventionsstelle nicht direkt nach dem Hinweis einschritt, beantwortete die Sprecherin des Erzbistums nicht. Sie verwies lediglich darauf, dass die „Vertraulichkeit gegenüber den Personen, welche sich an die unabhängigen Ansprechpersonen und die Stabsstelle Intervention wenden“, gewahrt werden müsse.
Erst wenn das Urteil rechtskräftig ist, wird die kirchenrechtliche Voruntersuchung aufgenommen
Von den Vorfällen bei der Radtour im Sommer 2022 erfuhr das Erzbistum erst im Dezember und informierte die Staatsanwaltschaft. Im Januar 2023 wurde dem Priester ein Aufenthaltsverbot für seinen bisherigen Seelsorgebereich erteilt. „Der Beschluss von 2010 wurde erweitert und ihm wurde ferner verboten, mit Kindern und Jugendlichen in Kontakt zu treten“, betont die Sprecherin, der bis auf Weiteres freigestellte Priester sei außerdem mit einem ortsunabhängigen Aufenthaltsverbot für alle Einrichtungen belegt worden, in denen sich Kinder und Jugendliche aufhalten.
Nach dem Urteil gegen den 66-Jährigen – eine Freiheitsstrafe von eineinhalb Jahren, die zur Bewährung ausgesetzt wurde – ging die Staatsanwaltschaft in Revision. Erst nach Abschluss des Verfahrens werde die kirchenrechtliche Voruntersuchung wieder aufgenommen, teilte die Sprecherin mit. Das Dikasterium für Glaubenslehre entscheide dann, ob ein kirchliches Strafverfahren eingeleitet werde, erläuterte sie den Ablauf des einem Disziplinarverfahren ähnlichen Vorgangs. Als höchste Strafe könne die Entlassung aus dem Klerikerstand stehen.