Tobias Krull sprang in Wolfsbrug als Zuschauer für einen verletzten Schiedsrichter ein und erlebte den FC im Abstiegskampf hautnah.
Fan sprang als vierter Offizieller einTobias Krull: „Die Kölner Bank war ein bisschen heiß“
Eigentlich wollte sich Tobias Krull die Bundesliga-Partie zwischen Köln und Wolfsburg nur als Zuschauer anschauen. Doch nach einem unglücklichen Befreiungsschlag von FC-Spieler Max Finkgräfe, der aus kurzer Distanz mitten im Gesicht von Schiedsrichter-Assistent Thorben Siewer landete, nahm der Nachmittag für den 32-jährigen Krull einen anderen verlauf.
Der Stadionsprecher fragte über die Lautsprecher nach jemandem mit Schiedsrichter-Schein im Publikum, um dem Schiedsrichter-Team nach dem Ausfall von Siewer auszuhelfen. Kurzerhand meldete sich Tobias Krull, bekam schnell eine kurze Einweisung für seine Aufgaben an der Seitenlinie und stand wenige Minuten später bereits im Schiedsrichter-Anzug an der Seitenlinie.
Mit dem RND sprach Krull über seinen aufregenden Nachmittag in der Volkswagen Arena und erklärte, wie dieser für ihn abgelaufen war.
Alles zum Thema Fußball-Bundesliga
- Basketball Rheinstars Köln kassieren gegen Erfurt erste Saisonniederlage
- Frauenfußball Kölns Trainer Daniel Weber ist nach Derby-Niederlage gegen Bayer 04 Leverkusen wütend
- 0:0 gegen Stuttgart Die Bayer-Profis in der Einzelkritik – Note 4 für Florian Wirtz
- American Football Kölner Ronpires siegen im Finale der Zweiten Bundesliga gegen Reutlingen
- Hockey Tom Grambusch bringt Siegermentalität zurück zu Rot-Weiss Köln
- Waldkicker Niederkasseler Jugendkicker sind aktuell nachhaltigstes Fußballteam in Deutschland
- BayerVolleys Leverkusen erwartet in Hamburg enges Duell gegen einen großen Gegner
Gestern saßen Sie beim Spiel zwischen dem VfL Wolfsburg und dem 1. FC Köln als Zuschauer im Stadion. Aber nicht lange.
Tobias Krull: Ich saß in Reihe fünf hinter der Trainerbank des VfL Wolfsburg, direkt an der Treppe. Ich musste nur fünf Stufen runtergehen, der Weg war kurz für mich.
Als über die Stadionmikrofone ein Schiedsrichter gesucht wurde, sollen Sie zu Ihrer Begleitung gesagt haben: Zum Glück habe ich einen Schirischein.
Als der Linienrichter den Ball gegen Kopf gekriegt hat und umgefallen ist, habe ich das bereits aus Spaß gesagt: Mach dir keinen Kopf, zur Not mache ich das, falls es hier sonst nicht weitergeht. Ohne dass ich wissen konnte, dass sie ein paar Minuten später tatsächlich jemanden ausrufen lassen würden. Da habe ich gedacht: Jetzt kann ich auch runtergehen.
Sie sind dann kurzerhand über die Bande gesprungen?
Ich bin runter ans Geländer, da stand der Schiri wenige Meter entfernt und hat suchend in die Menge geguckt. Da habe ich den Finger gehoben und gesagt: Ich könnte das machen, wenn ihr wollt. Sonst gehe ich wieder hoch. Er hat gesagt: Dann komm runter!
Unglaublich.
Von da an hatte ich gar keine Zeit mehr nachzudenken, weil das unterbrochene Spiel ruckzuck weitergehen sollte. In einer Minute habe ich die Sachen vom vierten Offiziellen angezogen, er ist in die Klamotten vom Linienrichter gesprungen. Sie haben mir ein Headset ans Ohr gedrückt und mir gezeigt, wo ich auf den Knopf drücken muss, um die anderen drei Schiedsrichter zu hören. Dann habe ich noch einen Stift und Notizzettel bekommen, um Wechsel und Karten aufzuschreiben. Und dann ging es ohne großes Briefing raus. Das Spiel musste weitergehen.
Im Amateursport, wo Sie unterwegs sind, gibt es keine vierten Offiziellen. Haben Sie sich also alles vom Fernsehen abgeguckt?
Genau. Ins kalte Wasser zu springen ist meistens das Beste.
Was waren die ersten Aufgaben, als Sie reingekommen sind?
Glücklicherweise war erst mal nicht viel los. Die Hauptaufgabe war es, die Nachspielzeit zu kommunizieren, indem man die Tafel hochhält. Und ein bisschen rechts und links nach den Trainerbänken gucken, beruhigen, solche Geschichten. In der Halbzeitpause gab es zum Glück Anweisungen, zum Beispiel, wie man Wechsel ankündigt.
Tobias Krull: „Die Kölner Bank war ein bisschen heiß, die sind im Abstiegskampf“
In der zweiten Halbzeit war deutlich mehr Betrieb vor den Bänken. Was war für Sie am herausforderndsten?
Mein Headset hatte einen Wackelkontakt. Ich musste also immer mit der Hand an den Tasten rumdrehen, damit ich die anderen Schiedsrichter wieder gehört habe. Die Kölner Bank war ein bisschen heiß, die sind im Abstiegskampf und haben zwischenzeitlich jede Entscheidung kommentiert.
Dann gab es noch ein vermeintliches Handspiel, der VAR-Keller musste eingreifen. Die Kölner waren aufgebracht.
Da konnte ich auch nicht mehr sagen, als dass es gerade gecheckt wurde und dass es eben kein Handspiel ist: Ihr könnt jetzt meckern, so lange wie ihr wollt, aber mehr geht nicht von unserer Seite aus.
Klingt nach keiner angenehmen Aufgabe.
Das ging schon, ich hatte keine Berührungsängste, weil ich selber in der Jugend beim VfL Wolfsburg gespielt habe. Acht Jahre lang, bis zur Regionalliga mit der zweiten Mannschaft. Da gab es mehrere Trainingseinheiten bei den Profis, damals noch unter Felix Magath. Deshalb gab es kein Hemmnis, mit den Profis zu sprechen.
Hatten Sie das Gefühl, dass Rücksicht auf Sie genommen wurde?
Vermutlich hätten sie, wenn da ein gelernter vierter Assistent gestanden hätte, öfter auf den eingewirkt.
Tobias Krull: „Das kann ich auf meiner Liste abhaken“
Hat sich mit dem gestrigen Einsatz – mit etwas Verspätung – ein Traum erfüllt? Selbst mal auf dem Rasen in einer Bundesliga-Arena zu stehen?
Das kann man so sagen. Als Spieler habe ich leider keinen Bundesliga-Einsatz gehabt. Deshalb musste ich das eben etliche Jahre später als Schiedsrichter nachholen. Insofern schließt sich ein Kreis, das kann ich auf meiner Liste abhaken.
Hätten Sie sich auch den Job des Linienrichters zugetraut?
Das wäre der nächste Schritt gewesen. So blöd das klingt, ein weiterer Schiedsrichter verletzt sich, dann muss ich als Linienrichter ran. Das ist natürlich eine ganz andere Nummer. Aber zur Not wäre das gegangen.
Üblicherweise pfeifen Sie in der Kreis- oder Landesliga.
Auch mal in der A-Jugend, das ist wirklich gemischt, da wo einer gebraucht wird. Ich mache zehn, zwölf Spiele im Jahr, je nachdem, wie es zeitlich passt.
Hauptberuflich arbeiten Sie in einem Gifhorner Autohaus. Da muss man auch gut reden und sich präsentieren können. Hat Ihnen das geholfen?
Definitiv. Grundsätzlich würde ich behaupten, dass ich gut sprechen und mich unterhalten kann. Das ist einfach mein Naturell, das hilft bei so einem Einsatz.
Tobias Krull: „Danach haben wir ein Bier getrunken“
Nach dem Spiel, so war es zu hören, saßen Sie noch mit den Schiedsrichtern bei einem Bier zusammen.
In der Schiedsrichterkabine war ich gute zwei Stunden. Da muss zum Beispiel der Spielbericht ausgefüllt werden, das macht man zusammen, danach haben wir ein Bier getrunken. Dann bin ich noch mal hoch zu den Tribünen und habe noch mal zwei, drei Kaltgetränke getrunken. Die hatte ich mir, glaube ich, dann auch verdient.
Etwas schelmisch wurde auch schon die Frage nach der Vergütung gestellt. Die vierten Offiziellen bekommen für jeden Einsatz eine Aufwandsentschädigung von 1000 Euro.
Wie das genau abläuft, weiß ich nicht. Da muss ich mich nächste Woche drum kümmern.
Verdient hätten Sie es ja.
Stimmt, würde ich auch sagen. Ich habe meinen Job gemacht.
Herr Krull, können Sie in Zukunft noch ruhig im Stadion sitzen – oder wird Sie von nun an das Gefühl begleiten: Wenn etwas passieren sollte, stehe ich bereit.
Da die Wahrscheinlichkeit so gering ist, vermute ich, dass es nicht noch mal vorkommen wird. Aber wenn, wäre ich direkt dabei. Mit meiner Bundesliga-Erfahrung von einem Spiel wäre ich natürlich absolut der richtige Mann.