Der Terror der Hamas und der Krieg in Nahost treiben derzeit nicht nur Tausende Menschen mit Palästina-Flaggen und teils islamistischen Parolen auf die Straße. Der Konflikt spaltet auch das linke Milieu. Wie unter dem Brennglas zeigt sich das derzeit bei Fridays for Future.
Eine zerrissene BewegungNahost-Konflikt spaltet Fridays for Future
Die Worte kommen dem jungen Mann in der neongelben Streikweste der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi leicht von den Lippen. Es sind Worte wie „Genozid an den Palästinenserinnen und Palästinensern“. Es sind Worte wie „israelisches Apartheidsregime“. Ja, er sei Gewerkschaftsmitglied, sagt der Mann mit dem lockigem Haar und dem Palästinensertuch um den Hals. Und er gehe auch gegen die offiziellen Statements der Gewerkschaft auf die Straße.
Verdi-Chef Frank Werneke hatte bereits zwei Tage nach dem schrecklichen 7. Oktober gesagt: „Wir sind zutiefst entsetzt über die abscheulichen terroristischen Angriffe der Hamas auf Israel mit den vielen Toten, Verletzten und gewaltsam verschleppten Menschen.“ Der israelischen Partnergewerkschaft versicherte er: „Wir stehen solidarisch an eurer Seite.“
„Keine Nachhilfe von Habeck“
Der junge Mann in der Streikweste aber steht mit rund hundert anderen vor der Mensa der Freien Universität in Berlin-Dahlem. Sie skandieren „Free, free Palestine“ und „Von Dahlem bis nach Gaza – yallah Intifada“. Vom Hamas-Terror distanziert sich eine Rednerin nur widerwillig: Man brauche keine „Nachhilfe von Robert Habeck“, seine Aussagen seien „rassistisch“.
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Zwei weitere Teilnehmende, die sich als Ordner der Veranstaltung zu erkennen geben, tragen Streikwesten des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Der teilt später mit: „Das sind nicht unsere Leute. Wir distanzieren uns vom Terror der Hamas.“
Fridays for Future kurz vor existenzieller Krise
Der Hamas-Terror und der Krieg in Gaza bringen nicht nur jedes Wochenende Tausende meist junge Männer aus den migrantischen Vierteln der Großstädte mit Palästina-Flaggen und teils islamistischen Parolen auf die Straße. Der Nahostkonflikt spaltet auch das linke und akademische Milieu, er spaltet Universitäten und treibt die internationale Klimabewegung Fridays for Future (FFF) kurz vor der nächsten internationalen Klimakonferenz in eine existenzielle Krise.
Die Massaker vom 7. Oktober haben nicht nur in Nahost einen neuen Krieg aufflammen lassen, sie haben auch in den linken Gruppen des Westens einen jahrzehntelangen Konflikt neu angeheizt, der um die Schlagworte „Kolonialismus“ und „Imperialismus“ auf der einen Seite und „Solidarität mit Israel“ und „Lehren aus dem Holocaust“ auf der anderen Seite steht. An den Eliteuniversitäten der US-Ostküste zitieren Studierendengruppen Frantz Fanon, den Vordenker der Entkolonialisierung: „Wir revoltieren, weil wir nicht länger atmen können.“ Israel gilt in diesen Kreisen als Kolonialmacht und verantwortlich für jeden Widerstand – auch wenn dazu das Abschlachten von Wehrlosen gehört.
Friedensbewegungen schauten über Menschenrechtsverletzungen hinweg
In Sichtweite der Palästina-Demo in Dahlem steht ein Dutzend Gegendemonstrierender mit Israel-Fahnen. Sie verteilen einen eng bedruckten Zettel, an dessen Ende fett gedruckt der Satz „Lang lebe Israel – Am Yisrael Chai!“ steht. Eine junge Frau hält einen Stapel dieser Zettel in der Hand. Sie weist auf die „Yallah Intifada“-Rufenden und sagt: „Die da drüben verstehen nur Dualismus.“ Weiß – schwarz, Unterdrücker – Unterdrückte, Israel – Palästina.
In der Linken, ob deutsch- oder englischsprachig, hat das jahrzehntelange Tradition. Das Palästinensertuch, die Kufiya, war schon vor 50 Jahren nicht nur ein Accessoire, sondern ein Bekenntnis.
Ein Bekenntnis, das zumindest einäugig machte, sagt der Politikwissenschaftler Claus Leggewie jetzt im Deutschlandfunk. In der Ablehnung des „westlichen Imperialismus“ schauten die orthodoxe Linke und auch die Friedensbewegung über die Menschenrechtsverletzungen autoritärer Regime wie der früheren Sowjetunion und dem heutigen Putin-Russland hinweg. Auch China, der Iran und sogar die Hamas können so auf der Seite des „Guten“ stehen.
Politikwissenschaftler spricht von „oberflächlicher Zurkenntnisnahme“
So posiert Fridays-for-Future-Ikone Greta Thunberg seit Wochen mit „Free Gaza“- und „Free Palestine“-Schildern und findet kein Wort für die israelischen Opfer. Leggewie nennt das eine „völlig oberflächliche Zurkenntnisnahme der Lage. Man ist nicht in der Lage, zu differenzieren, und muss sich auf eine Seite schlagen, glaubt man. Dass das Greta Thunberg tut, ist natürlich eine Katastrophe.“ Leggewie warnt: „Hier kommen Elemente durch, die nicht in ein linkes, liberales Weltbild hineinpassen.“ Man könne nur hoffen, dass „im antiimperialistischen Lager eine Selbstkritik losgeht, welche Stereotypen, die bis in den tiefen Antisemitismus hineingehen, man da bedient“.
Geradezu beispielhaft dafür ist ein Post auf dem internationalen Instagram-Konto der FFF-Bewegung. Dort war unter anderem zu lesen: „Wie westliche Medien Sie durch Gehirnwäsche dazu bringen, sich auf die Seite Israels zu stellen.“ Medien würden unter anderem verheimlichen, dass die islamistische Hamas und ihre Attacken auf Israel verwurzelt seien „in 75 Jahren Unterdrückung und ethnischen Säuberungen der Palästinenser“. Der Beitrag ist mittlerweile nicht mehr online einsehbar.
Recherchen der „Jüdischen Allgemeinen“ zeigten bereits im August, dass FFF International von einer kleinen Gruppe quasi gekapert worden war. Eine Kontrolle der Bewegung über ihre Accounts und ihre Linie gab und gibt es anscheinend so gut wie nicht. Die deutsche FFF-Vorkämpferin Luisa Neubauer zeigt sich von ihrer engen Weggefährtin Greta „enttäuscht“, sagte sie in einem langen Interview mit der „Zeit“. Neubauer fügte hinzu: „Es ist offensichtlich, dass gerade einiges zerbricht. Das ist nicht nur politisch problematisch, sondern auch persönlich schmerzhaft.“
Distanz zum internationalen FFF
Vier Wochen vor der weltweiten Klimakonferenz, die ausgerechnet im Golfstaat Dubai stattfindet, ist die deutsche FFF-Gruppe jetzt auf Distanz zum weltweiten Netzwerk gegangen. Man habe „Prozesse, die international ablaufen, von unserer Seite aus pausiert“, sagt Neubauer. „Es ist nicht ganz unkompliziert, sich formal zu trennen, weil es ja keine formalen Strukturen gibt. Wir fangen entsprechend von vorne an und überprüfen erst mal, ob es aktuell ein geteiltes Wertefundament gibt, mit dem man noch arbeiten kann.“
Dass es in der Sicht auf den Nahost-Konflikt Differenzen gab, habe sich in der Vergangenheit immer wieder abgezeichnet, räumt Neubauer ein. Man habe das Thema zur Seite geschoben, um für die Klimathemen miteinander arbeiten zu können. Ob das nicht blauäugig war, müssen sich die Aktivistinnen und Aktivisten jetzt fragen lassen. Schließlich hat auch Neubauer immer von der „Klimagerechtigkeitsbewegung“ gesprochen und auf die besondere Verletzlichkeit des globalen Südens in einer Klimakatastrophe hingewiesen.
Nicht weit zum Antisemitismus
Dass es für viele Gruppen von dort nicht weit ist zu einem vulgären Antikolonialismus, der im Falle Israels ins Antisemitische kippen kann, hätte schon früher eine Warnung sein müssen. Nun ist die Marke Fridays for Future schwer beschädigt. Wer nach Dubai fährt und was dort passiert, ist zurzeit unklar.
Neubauer versucht sich in Schadensbegrenzung: „Als Bewegung in
Deutschland haben wir uns auf die Definition der Internationalen Allianz zum Holocaustgedenken verständigt, daran orientieren wir uns erfolgreich“, sagt sie der „Zeit“. „Ich persönlich finde es befremdlich, dass manche das Leid der palästinensischen Menschen selbstverständlich in seinem historischen Kontext sehen, während der historische Kontext des jüdischen Leids immer wieder ausgeblendet wird.“
Doch nicht nur international ist die Klimabewegung in der Nahostfrage gespalten. Aus Luisa Neubauers Heimatstadt Hamburg kommt die 22-jährige Elisa Bas. Die junge eloquente Lehramtsstudentin mit Kopftuch bezeichnete sich in den sozialen Netzwerken als FFF-Sprecherin. Sie warf dem Präsidenten des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, vor, „Pogromstimmung“ gegen Palästinenser zu schüren. Israel verübe einen „Genozid“ an der Zivilbevölkerung in Gaza.
Bis heute schweigt FFF zu diesen Sätzen. Auf RND-Anfrage hieß es: „Wir werden uns aktuell vorerst nicht mehr zu Positionen von Einzelpersonen äußern.“ Auch Bas reagierte auf eine Anfrage nicht. Dem linken, palästinafreundlichen Portal „Freiheitsliebe“ sagte sie: „Intern, auch in meiner eigenen Ortsgruppe FFF Hamburg, überwog leider eine unsolidarische Haltung. Es fielen sehr bevormundende Aussagen, die den Wunsch durchklingen ließen, dass ich lieber verstummen sollte, wenn ich schon nicht bereit wäre, mich zu entschuldigen.“ Bei FFF Deutschland handele es sich um einen „mehrheitlich weißen, bürgerlich geprägten Raum, in dem Euro-Zentrismus dominiert und es an Kritiken am imperialen Status quo mangelt“.
Breitseite gegen Neubauer
Das ist nicht nur eine massive Breitseite gegen Luisa Neubauer und ihre engsten Mitstreiterinnen, sondern zeigt exemplarisch auch den neuesten Versuch der Pro-Palästina-Linken, die Kritik an der mangelnden Distanz vom Hamas-Terror als „rassistisch“ hinzustellen. Der Terrorismusexperte Peter Neumann sieht hier ein Einfallstor für dschihadistische Hassprediger – bei deutschen Muslimen jeder politischen Einstellung. Auf X (früher Twitter) führt er seine Befürchtungen aus, wie diese Leute argumentieren könnten. Sie könnten sagen: „Die Deutschen hassen nicht nur die Palästinenser, sie hassen dich, weil du Muslim bist. Du musst entscheiden: Bist du Muslim oder bist du Deutscher? Beides geht nicht. Und wenn du Muslim bist, musst du für deine Leute kämpfen. So funktioniert Radikalisierung.“
Am Donnerstag wird Luisa Neubauer mit Hamburgs Erstem Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD), dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Philipp Stricharz und der evangelischen Bischöfin Kirsten Fehrs im Hamburger Universitätsviertel an der offiziellen Gedenkveranstaltung zum 85. Jahrestag der Pogromnacht teilnehmen.
Elisa Bas wiederum sollte laut Ankündigung am Dienstagabend in Berlin auf einer Veranstaltung mit dem Titel „Wie können wir Solidarität mit den Palästinenser*innen aufbauen?“ sprechen – gemeinsam mit einem Aktivisten des trotzkistischen Netzwerks Marx 21, das die Hamas als „Speerspitze des palästinensischen Widerstands“ darstellt.
Zerrissener als Fridays for Future kann eine Bewegung zurzeit nicht sein.