Marco Buschmann verspürt trotz der jüngsten FDP-Wahlniederlagen Rückenwind für seine Partei. Im Interview spricht er über die Positionen zu Klimaschutz, Quote und Einwanderung.
Interview mit Justizminister Marco Buschmann„Der Kern der FDP ist Bescheidenheit“
Herr Buschmann, Sie sind nicht nur Justizminister, Sie komponieren auch. Wie würden Sie die Ampel-Koalition vertonen, eher mit Mozarts gefälligen Symphonien oder mit Schönbergs atonaler Zwölftonmusik?
Marco Buschmann: Zur Koalition passt Bach, der Meister der Fuge. Die Fuge ist die Paradeform des musikalischen Kontrapunkts. Drei sehr unterschiedliche Parteien bilden die Koalition. Daher lässt sich gut von einer gewissen politischen Kontrapunktik sprechen. Dabei gelingt es uns immer wieder, mutige Entscheidungen zu treffen, Dissonanzen also aufzulösen. Das haben wir in den vergangenen anderthalb Jahren oft gezeigt. Politische Dissonanzen sind notwendige Begleitgeräusche des Fortschritts.
Das Begleitgeräusch des FDP-Parteitags werden die Proteste der Klimaschützer von der Letzten Generation sein.
Alles zum Thema Letzte Generation
- Gruppe von Klimaaktivisten Letzte Generation legt Namen ab
- Wegen Sitzblockaden im März 2023 Erster Klimaaktivist der Letzten Generation tritt Haftstrafe an
- Revision gescheitert Kölner Gericht bestätigt Strafen für Aktivisten der „Letzten Generation“
- Über 20 Aktionen Prozess gegen 21-jährigen Klima-Aktivist in Essen beginnt
- Solarenergie-Expertin im Interview „Man muss den Menschen durch den Dschungel helfen“
- Geldstrafe statt acht Monate Haft Kölner Aktivistin der „Letzten Generation“ ist nach Urteil erleichtert
- Protest Letzte Generation legt Betrieb an mehreren Flughäfen lahm – Auch Köln-Bonn betroffen
Das schockt mich nicht. Die Letzte Generation hat überzogene, aggressive Vorstellungen von der Durchsetzung ihrer Ziele. Mit Straftaten wirbt man nicht für Klimaschutz. In Deutschland werden Sie kaum einen Demokraten finden, der sagt, dass er oder sie sich mit dieser Bewegung identifizieren würde. Letztlich schadet die Letzte Generation mit ihrem Vorgehen ihrem Anliegen.
Gerade sind mehrere Aktivisten und Aktivistinnen zu Haftstrafen ohne Bewährung verurteilt worden. Ist das angemessen – oder womöglich sogar vorbildhaft?
Wir leben in einem Rechtsstaat. Da gelten die gleichen Regeln für alle. Wenn wir akzeptieren würden, dass sich ein Teil der Gesellschaft unter Berufung auf ein höheres Ziel nicht an das Recht gebunden fühlt, würden das sicher immer mehr Gruppen für sich in Anspruch nehmen. Was jetzt die Klimakleber tun, probieren dann möglicherweise als nächstes die Reichsbürger oder radikale Abtreibungsgegner. Vor 100 Jahren, in den 1920er und 1930er Jahren, gab es in Berlin straßenschlachtartige Zustände, weil sich Menschen am linken und rechten politischen Rand selbst ermächtigt fühlten, sich über die Rechtsordnung zu stellen und die eigenen Vorstellungen mit der Faust durchzusetzen. Das darf sich nicht wiederholen. Aufgabe des Staates ist es, das Strafrecht durchzusetzen – und dort, wo es schuldangemessen ist, auch mit Freiheitsstrafen.
Die Klimaaktivisten argumentieren mit dem Klimawandel, den sie als Beschädigung elementarer Grundrechte wie dem Recht auf Leben verstehen.
Kein Industrieland setzt sich so engagiert für den Klimaschutz ein wie Deutschland. Es ist schlicht wahrheitswidrig zu behaupten, Deutschland tue nichts. Die FDP achtet darauf, dass dabei auch Innovationen und Fortschritt ihren Nutzen einbringen können. Viele Wege können ans Ziel führen. Viele technische Lösungen werden nötig sein, um das Ziel der Klimaneutralität zu erreichen. Welche am besten geeignet sind, sollten möglichst Markt und Wettbewerb entscheiden.
Markt und Wettbewerb haben der FDP in den letzten fünf Landtagswahlen Niederlagen eingebracht. Wie sehr beunruhigt Sie das?
In den letzten Wochen und Monaten ist der Zuspruch zur FDP gestiegen, wir verspüren mehr Rückenwind. Das liegt daran, dass wir zu den großen Fragen, die in der Politik verhandelt werden, Beiträge leisten, die von Technologieoffenheit, Marktwirtschaft und Rechtstaatlichkeit geprägt sind.
Zufriedenheit mit sich selbst - ist das die Botschaft des Bundesparteitages?
Wir haben viel Gutes bewirkt. Selbstzufriedenheit und Selbstgefälligkeit jedoch sind der politischen Philosophie des Liberalismus fremd. Vielmehr ist umgekehrt der Kern der FDP eine große Bescheidenheit: Die Politik soll bescheiden bleiben, statt Mikromanagement im Alltag der Menschen zu betreiben. Der Staat soll bescheiden bleiben und sich nicht finanziell ruinieren. Behörden sollen bescheiden bleiben und die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger respektieren.
Die Liberalen Frauen beantragen auf dem Parteitag eine Satzungsänderung zur Einführung einer Frauenquote: 50 Prozent im Präsidium und im Vorstand, eine Doppelspitze für Parteivorsitz und Generalsekretärs-Posten sowie ein Drittel der aussichtsreichen Listenplätze für Frauen. Unterstützen Sie das?
Vorbilder eignen sich besser als fixe Quoten. Erfolgreiche Wahlkämpferinnen und Fachpolitikerinnen sind der beste Weg. In die nächste Europawahl werden wir zum Beispiel wohl wieder mit einer Spitzenkandidatin ziehen.
Nämlich mit Marie-Agnes Strack-Zimmermann, der derzeitigen Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses. Manchem in der FDP wird das recht sein, sie ist ja manchmal unbequem.
Unbequem würde sie sicher als großes Kompliment verstehen. Denn Marie-Agnes Strack-Zimmermann ist eine der selbstbewusstesten Kolleginnen, die ich kenne. Sie scheut keinen Konflikt, wenn ihr etwas ein wichtiges Anliegen ist.
Ex-Innenminister Gerhart Baum fordert, den umstrittenen Vize-FDP-Chef Wolfgang Kubicki auf dem Parteitag durch eine jüngere Frau zu ersetzen. Hat er recht?
Wolfgang Kubicki ist ein erfolgreicher FDP-Politiker. Er ist ein leidenschaftlicher Kämpfer für seine Überzeugungen und ein erfolgreicher Wahlkämpfer für die FDP. Dass er wieder antritt, ist sein gutes Recht. Wer Wettbewerb sehen möchte, sollte jemand Konkretes vorschlagen oder selbst antreten.
Was würden Sie sagen, wenn Herr Kubicki statt Gesundheitsminister Karl Lauterbach Sie als „Spacken“ bezeichnete?
Menschen, die leidenschaftlich kämpfen, schießen auch mal übers Ziel hinaus. Die Frage ist, ob wir uns deshalb keine Menschen mehr mit Leidenschaft in der Politik leisten wollen. Diese Frage würde ich mit Nein beantworten. Und Wolfgang Kubicki hat sich öffentlich entschuldigt, wenn er festgestellt hat, dass etwas Gesagtes nicht in Ordnung war. Diese Größe hat nicht jeder im politischen Geschäft.
Ein anderes Thema: Sie planen ein Gesetz gegen digitale Gewalt, mit dem Accountsperren und die Herausgabe von IP-Adressen erleichtert werden sollen. Bei den Sperren muss allerdings ein Richter zustimmen und der Accountinhaber informiert werden. Der kann sich dann schnell neue Accounts zulegen.
Wir wollen die Opfer digitaler Gewalt in ihren Rechten stärken. Wer im Netz gemobbt, beleidigt oder verleumdet wird, muss sich wehren können. Aber eine Accountsperre ist ein empfindlicher Grundrechtseingriff. Da müssen wir strikt Verhältnismäßigkeit wahren. Wenn Accountsperren im großen Stil umgangen werden, werden wir das schnell merken. Im Übrigen: In den sozialen Netzwerken ist die Anzahl der Follower eine wichtige Währung. Wer einen neuen Account anlegt, hat nicht die gleiche Reichweite wie unter dem alten Account. Auch deshalb können Accountsperren sehr effektiv sein.
Der Richterbund fordert zusätzliche Richter und Richterinnen für die erwartete Mehrarbeit.
Der Richterbund fordert seit einer gewissen Zeit bei jeder Gesetzesinitiative, die ich auf den Weg bringe, mehr Personal. Er will erreichen, dass der Bund in die Finanzierung des Justizpersonals einsteigt. Diese Aufgabe weist das Grundgesetz aber den Ländern zu.
Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz sieht eigentlich vor, dass Anbieter digitaler Plattformen strafbare Hassäußerungen an das Bundeskriminalamt melden. Warum funktioniert das nicht?
Die fragliche Regelung ist ein Vorhaben der letzten Bundesregierung gewesen. Unternehmen sind erfolgreich dagegen vor Gericht gezogen. Das ist auch ihr gutes Recht. Wir kümmern uns aber darum, dass die geltenden und von den Gerichten nicht beanstandeten Regeln durchgesetzt werden. Nehmen Sie den Fall Twitter, eine der mächtigsten Plattformen der Welt. Die zuständige Behörde, das Bundesamt für Justiz, hat ein Bußgeldverfahren gegen Twitter eingeleitet, weil wir Hinweise darauf haben, dass dort die Verpflichtungen aus dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz systematisch nicht befolgt werden. Vor dem Gesetz sind eben alle gleich.
Wird ein Bußgeld Twitter überhaupt tangieren?
Ein Verstoß gegen das Netzwerkdurchsetzungsgesetz kann mit bis zu 50 Millionen Euro Bußgeld geahndet werden. Das ist auch für ein Unternehmen wie Twitter kein Pappenstiel. Die Erfahrung zeigt, dass Unternehmen durchaus auf die konsequente Durchsetzung von Recht reagieren. Auch Telegram haben wir dazu gebracht, eine ganze Reihe extremistischer Kanäle in Deutschland zu sperren – obwohl das Unternehmen im Ausland sitzt und viele erwartet hatten, dass es sich über unsere Forderungen lustig machen würde. Es lohnt sich, bei der Durchsetzung des Rechts konsequent zu sein und auch mal ungewöhnliche Wege zu beschreiten.
Was bedeutet es in diesem Zusammenhang, dass Firmeneigner Elon Musk in den Rechtspopulismus abgedriftet ist?
Die politischen Ansichten des Unternehmenseigners sind für das Bußgeldverfahren irrelevant.
Verkehrsminister Volker Wissing hat sich vor ein paar Monaten mit Elon Musk getroffen. Ist das der richtige Umgang für einen Liberalen?
Musk ist eine der prägenden Persönlichkeiten der Digitalwirtschaft. Es muss im Interesse des deutschen Digitalministers sein zu wissen, was Musk über die technologische Entwicklung der kommenden Jahre denkt. Es wäre geradezu fahrlässig, das zu ignorieren.
Die Koalition will die Einbürgerung erleichtern. Es gibt allerdings noch Debatten, wer profitieren soll. Wann erfolgt die Einigung mit Innenministerin Nancy Faeser?
Ich bin optimistisch, dass wir schon bald eine gute Lösung vorlegen werden. Zwei Dinge sind dabei für mich zentral. Erstens: Der Zugang zur Staatsbürgerschaft soll für diejenigen leichter werden, die hier von eigener Hände Arbeit leben. Wer das nicht tut, wird es schwieriger haben. Zweitens: Ich bin dafür, dass wir noch stärker verfahrensrechtlich sicherstellen, dass wir niemanden in Deutschland einbürgern, der wegen einer antisemitischen, rassistischen oder sonstigen menschenverachtenden Straftat verurteilt worden ist.
Unklar ist, wie groß die Gruppe der über 67-Jährigen sein wird, die einen Einbürgerungsanspruch ohne Deutschkenntnisse hat.
Wir streben eine echte Gastarbeiterregelung an: Es gibt Gruppen von Menschen, die vor langer Zeit eingewandert sind, über Jahrzehnte fleißig waren, hart gearbeitet, Steuern und Sozialversicherungsbeiträge gezahlt und damit unser Land voran gebracht haben, für die es aber keine Angebote zum Spracherwerb gab. Hier ist eine Erleichterung bei den deutschen Sprachkenntnissen vorgesehen, aber für diese Erleichterung wird es nicht reichen, einfach nur alt zu sein. Man muss schon über vieles Jahre etwas geleistet haben.
Die Union sagt, Sie verscherbeln den deutschen Pass.
Das Gegenteil ist richtig. Die Union hat über viele Jahre nicht akzeptieren wollen, dass Deutschland faktisch ein Einwanderungsland ist. Sie hat über Jahre ignoriert, dass wir eine gezielte Anwerbestrategie für qualifizierte Fachkräfte brauchen. Außer Lippenbekenntnissen kam da nichts. Und deshalb ist das eine der vielen, vielen Baustellen, die die Vorgängerregierungen hinterlassen haben und die die Fortschrittskoalition jetzt lösen muss. (rnd)