Köln – Die Saison lief zwar noch, doch in Köln war bereits der Sommer ausgebrochen. Die Cafés waren gut besetzt, es wurde flaniert – und beim FC überlegte man, wie die Mannschaft für die neue Saison aussehen sollte, obwohl die alte noch lief. Max Kruse hielt sich in diesen Junitagen in der Stadt auf, die „Bild“-Zeitung veröffentlichte ein Foto des Offensivspielers, wie er in Badelatschen durch Köln schlenderte. „Was macht Kruse in Köln?“, fragte das Blatt und bekam doch keine Antwort. Mit dem 1. FC Köln hatte Kruse jedenfalls nicht gesprochen, das teilte Manager Horst Heldt umgehend mit. Überraschend kam das nicht, der FC stand zwar unmittelbar vor der Rettung. Doch über neue Spieler wurde da noch nicht verhandelt.
Zufällige Begegnung
Dennoch gab es einen etwas kuriosen Kontakt. Denn während einem seiner Spaziergänge passierte Kruse ein Café, in dem Markus Gisdol saß, der Cheftrainer des 1. FC Köln. Der war verblüfft, Kruse zu sehen – zumal der sich für einen Tag im Sommer in bemerkenswerter Form präsentierte. Der erklärte Nutella-Liebhaber neigt dazu, rasch zuzunehmen, wenn er ein paar Tage Pause hat. Und Kruse hatte frei, weil er sich per einseitiger Kündigung wegen ausstehender Gehaltszahlungen von Fenerbahce Istanbul getrennt hatte. Die Türken hatten Kruse anschließend mit dem Gang vors Sportgericht gedroht. Die rechtliche Situation des Spielers war damit ungeklärt, es lag wohl auch daran, dass Kruse wenig Auskunft zu seiner nahen Zukunft geben konnte, als Markus Gisdol ihn herbeirief. Einen Plan habe er nicht, man müsse mal sehen. Aber man dürfte sich schon melden bei ihm – so in etwa soll Kruse darauf hingewiesen haben, dass er noch nichts hatte für die neue Saison.
Die Kölner hatten damals in der Offensive eine Baustelle ausgemacht. Anthony Modeste hatte sich nur bedingt als zuverlässiger Torschütze erwiesen. Mark Uth wollte zwar beim FC bleiben, allerdings hatte Schalke 04 hinterlegt, den Spieler definitiv einzuplanen. Jhon Córdoba trug sich eindeutig mit Abschiedsgedanken. Köln würde absehbar Schwierigkeiten haben, Tore zu erzielen. Und Max Kruse ist ein Spieler, der Gegnern wehtun kann. Im Fußball kann man ein klares Chancenplus und sehr viel Ballbesitz haben und dennoch verlieren. Mit Max Kruse im Team vermindert sich das Risiko solcher Verläufe drastisch. „Max Kruse ist ein klasse Spieler, der bei jeder Mannschaft den Unterschied machen kann“, sagte Markus Gisdol nun. Und tatsächlich beschäftigten sich die Kölner mit dem Angreifer, jedoch hielt sie die ungeklärte Vertragssituation davon ab, sich ernsthaft um Kruse zu bemühen. Gerade angesichts der Erfahrungen nach Anthony Modestes Rückkehr aus China habe man beschlossen, kein Risiko einzugehen.
Spektakuläre Episoden
Sportlich wäre man das Wagnis Kruse wohl eingegangen. Zwar gilt er als Spieler, der immer wieder in spektakuläre Episoden verwickelt ist und für Aufregung sorgt. Jedoch nicht bei sich selbst oder der eigenen Mannschaft. Eher seitens seiner immer wieder begeisterten Anhängerschaft. Einmal landete Kruse in den Schlagzeilen, weil er nach einer Taxifahrt durch Berlin 75 000 Euro Bargeld vermisste. Der leidenschaftliche Pokerspieler hatte das Geld wohl beim Kartenspiel gewonnen. Im März 2016 strich ihn Joachim Löw aus der Nationalmannschaft, da war Kruse nachts auf der Tanzfläche eines Berliner Clubs von einer Frau abgelichtet worden, mit der er sich daraufhin einen heftigen Disput geliefert hatte. Später stellte sich heraus, dass Kruse mit einer Reporterin der „Bild“-Zeitung gestritten hatte, weshalb die Episode einer unerwartet großen Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden war. „Wir brauchen Spieler, die fokussiert und konzentriert und sich auch ihrer Vorbildrolle bewusst sind“, sagte Löw damals. Doch selbst wenn sich Kruses Eskapaden zu Zeiten und an Orten zutrugen, die für Fußballprofis nicht unbedingt passend scheinen – der Spieler absolviert das alles alkoholfrei, was wiederum für ihn spricht.
Schwierigkeiten mit der Konzentration hat Kruse ebenfalls nicht, die ist im Gegenteil ziemlich sensationell, nicht nur beim Pokerspielen: Sein 4:0 beim Berliner 5:0 gegen Bielefeld vor der Länderspielpause bedeutete einen Bundesliga-Rekord: 16 von 16 Strafstößen hat er nun verwandelt; eine Quote von 100 Prozent bei einer derart hohen Gesamtzahl hatte zuvor nur Hans-Joachim Abel geschafft, der zwischen 1978 und 1982 für Bochum und Schalke 16 von 16 Erstliga-Elfmetern versenkt hatte.
Lücke im Bremer Spiel
Am Sonntag (18 Uhr) trifft Kruse mit Union Berlin im Rhein-Energie-Stadion auf den 1. FC Köln. In sieben Einsätzen hat er bereits wieder drei Tore und fünf Vorlagen gesammelt. Vor seinem Engagement in Istanbul hatte er für Werder Bremen in drei Spielzeiten 32 Tore in 84 Bundesligaspielen erzielt und 25 vorbereitet. Dass Bremen nach Kruses Abschied in der vergangenen Saison abstürzte und sich erst in der Relegation vor dem Abstieg rettete, war kein Zufall. Auf dem Platz hat er ein bemerkenswertes Gespür für das richtige Umfeld zur richtigen Zeit, er nannte sich selbst einmal eine „schwimmende Neuneinhalb“, und tatsächlich ist er weder Mittelstürmer noch Regisseur, sondern oft beides im gleichen Spiel. Die Kölner, die in dieser Saison bislang weniger als halb so viele Tore geschossen haben wie Union, könnten Kruse gut brauchen. Obwohl der immer noch zuverlässig für Querelen sorgt.
Ärger mit der Polizei
Zuletzt wurde er in einer Dreißiger-Zone geblitzt, da fühlte er sich verladen, denn die Kontrolle fand seines Erachtens nach zu nah am Verkehrsschild statt, das auf die Geschwindigkeitsbegrenzung hinwies. Er veröffentlichte ein Bild des Blitzers mit der Unterschrift „Schweine“. Die Kontrolle, da machte er aus seinen Empfindungen einmal mehr kein Geheimnis, sei „schon stark asozial“.