Leverkusens historischer Erfolg fußt auf einem homogenen und starken Kollektiv, das von fünf Häuptlingen geleitet wird.
Von Strippenzieher bis FußballgenieDas sind die fünf Titelgaranten für Bayer 04 Leverkusen
Der Strippenzieher
Fernando Carro: Der Vorsitzende der Geschäftsführung stieß 2018 zur Werkself, wurde zunächst mitunter belächelt, weil er auch öffentlichkeitswirksam sehr forsch Ziele und geplante Umsetzungen formulierte. Der emotionale Spanier traf aber in seinen knapp sechs Jahren bei der Werkself vor allem sehr viele richtige Entscheidungen, die letztendlich in dieser ersten Meisterschaft der Klubgeschichte mündeten. In allen Abteilungen führte der 59-Jährige Modernisierungen und personelle Wechsel durch. Die wohl wichtigste Stellschraube liegt aber natürlich im sportlichen Bereich. Die Ablösung von Sportdirektor Jonas Boldt durch Simon Rolfes markierte er selbst als seine wichtigste Entscheidung. Immer wieder verwies der Ex-Bertelsmann-Vorstand darauf, dass die Geschichte Bayer Leverkusen noch eine Meisterschaft schulde. Im Partyrausch am Sonntag schrie er zu den Fans: „Habe ich es euch nicht gesagt?“
Carro gilt als empathischer Leader, der aber keineswegs vor unangenehmen Weichenstellungen zurückschreckt – im Gegenteil. „Ich treffe sehr gerne Entscheidungen“, sagt er. Auf die Frage, ob die Mannschaft jetzt das Triple holen könne, antwortete der Geschäftsführer: „Ja, definitiv. Wir wollen nicht aufhören heute, es wird weitergehen.“ Er sehe „die Gier der Mannschaft, die Gier des Trainers. Wir sind auf alles vorbereitet. Alle im Verein sind extrem ehrgeizig“. Carro hat maßgeblich dazu beigetragen, diesen Ehrgeiz im Klub zu etablieren. Immer wieder verwies er auch auf die gute Beziehung zu Rudi Völler, der ihm sehr dabei geholfen habe, die Eigenheiten des Fußballgeschäfts zu verstehen.
Der Baumeister
Simon Rolfes: Als Geschäftsführer trägt der ehemalige Nationalspieler die Hauptverantwortung für den sportlichen Bereich bei Bayer 04. In enger Abstimmung mit dem Gesellschafterausschuss um Werner Wenning und dem Vorsitzenden der Geschäftsführung, Fernando Carro, holte er im Oktober 2022 Trainer Xabi Alonso zum Klub. Zusammen mit den beiden Spaniern bastelte Rolfes schließlich den Meisterkader. Es gelang ihm im vergangenen Sommer, auf jeder Position den Wunschspieler zu verpflichten. Vor allem vier Akteure schlugen voll ein: Granit Xhaka, Alejandro Grimaldo, Jonas Hofmann und Victor Boniface. Es ist ein überragendes Transfer-Zeugnis. Schon in den Jahren zuvor überzeugten viele Zugänge. Rolfes' wohl wichtigster Transfer: Florian Wirtz vom 1. FC Köln 2020 über den Rhein gelotst zu haben.
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Der 42-Jährige bekannte am Montag: „Allzu lange habe ich nicht geschlafen.“ Im Bauch der Arena hatte Rolfes am Vortag die eine oder andere Träne verdrückt, war sichtlich stolz und ergriffen von der Leistung seines Vereins, für den er von 2005 bis 2015 selbst die Schuhe geschnürt hatte. Rolfes hätte nun sicher die Möglichkeit, international bei einem anderen Klub Karriere zu machen, er setzte aber bereits Ende 2023 ein Zeichen, verlängerte seinen Vertrag bis 2028. Er will mit Leverkusen langfristig Erfolg haben, dem großen FC Bayern dauerhaft Paroli bieten. Er verspricht: „Wir haben auf jeden Fall eine Mannschaft, die auch in der nächsten Saison in der Spitzengruppe der Bundesliga konkurrenzfähig ist.“
Das Fußballgenie
Xabi Alonso: Dass Fans schon vor der feststehenden Meisterschaft Straßenschilder mit Xabi-Alonso-Allee überklebten, sagt alles über den Status des Spaniers in Leverkusen aus. Wenn er den Klub in mittelfristiger Zukunft verlassen wird, geht er als Stadtikone. Dem Mann, der als aktiver Fußballer bereits alles gewann, was es zu gewinnen gibt, gelang es, Bayer 04 innerhalb von etwas mehr als 18 Monaten vom Abstiegskandidaten zur besten Mannschaft Deutschlands zu verwandeln – und das bei seiner ersten Station als Trainer im Profifußball. Mit seiner freundlichen Ausstrahlung, seiner Fußballkenntnis, seinem Teamgedanken und seinem vorgelebten Arbeitswillen brachte er den gesamten Kader hinter sich. Unisono loben ihn die Spieler für seine Hingabe, betonen, dass sie jeder seiner Ideen bedingungslos folgen würden.
Im Moment des größten Erfolgs vergaß Alonso nicht, Leverkusener Trainergrößen der Vergangenheit miteinzubeziehen: „Ich möchte diesen Titel mit vielen Trainern teilen, die vor mir hier waren, mit Christoph Daum, Klaus Toppmöller oder Roger Schmidt.“ Mal wieder ein Beleg dafür, dass er ein Mensch mit Anstand und Klasse ist. Alonso könnte sich seinen Arbeitgeber in der kommenden Saison aussuchen, der FC Bayern wollte ihn unbedingt überzeugen, nach München zurückzukehren. Doch Alonso hat noch viel vor mit Leverkusen, schwor Bayer 04 die Treue für die kommende Saison. Und er will diese Spielzeit nicht nur mit einem Titel beenden: „Wir wollen mehr“, brüllte er den Fans am Sonntag entgegen.
Der Anführer
Granit Xhaka: Es ist fast unfair, einen der Zugänge des vergangenen Sommers herauszuheben. Doch bei Xhaka kommt man nicht umhin, ihn als den Königstransfer zu bezeichnen. Für im heutigen Profifußball lächerlich anmutende knapp 15 Millionen Euro gelang es Leverkusen, vom FC Arsenal einen Anführer zu verpflichten, der mit Geld fast nicht aufzuwiegen ist. Das erste Zeichen setzte Xhaka bevor er auch nur einmal das Bayer-Trikot getragen hatte. Vier Tage früher als geplant stieg er im Juli ins Training ein. Seine Erklärung: „Es ist wichtig für mich, schnell alle hier kennenzulernen. Und ich wollte damit auch den Leuten zeigen, dass ich nicht hierhin gekommen bin, um Spaß zu haben. Der Trainer hat mir die Rolle gegeben, diese Mannschaft mit meiner Erfahrung mitzuziehen – und das ist mir sehr wichtig.“
Dieser Rolle wurde der Kapitän der Schweizer Nationalmannschaft mehr als gerecht. Der 31-Jährige ging auf und neben dem Platz voran. Hatte er mal nicht den Ball am Fuß und behielt unter höchstem Gegnerdruck die Ruhe oder spielte einen seiner Traumpässe hinter die gegnerische Abwehrkette, dann dirigierte er lautstark und mit viel Gestik seine Teamkameraden um ihn herum. Einen längeren verlängerten Arm des Trainers gibt es nicht. Was Xhaka mit Arsenal ganz knapp verpasste, gelang ihm nun in Leverkusen: die erste Meisterschaft in einer großen Liga.
Der Ausnahmespieler
Florian Wirtz: Sportgeschäftsführer Simon Rolfes erkannte den 20-Jährigen nach dem Titelgewinn gar nicht wieder: „Als wir mit den Fans gefeiert haben, da hat er mehr gesungen und geredet als manchmal in der Kabine.“ Ansonsten lässt Wirtz nämlich lieber seine Füße sprechen – so wie beim Meisterstück gegen Bremen. Erst zur Halbzeit eingewechselt, brachte er die Aufführung mit einem lupenreinen Hattrick zum verdient glorreichen Ende. Wirtz ist zusammen mit Jamal Musiala vom FC Bayern München die deutsche Fußballzukunft. Es hat in der Historie wenige Spieler mit solch feinem Füßchen und gleichzeitig solch großem Ehrgeiz gegeben. Mit Bayer 04 wuchs auch Florian Wirtz zum Spitzenspieler in einer Spitzenmannschaft. Die Anhänger feierten den Unterschiedsspieler in einer Mannschaft voller Weltklasse-Akteure am Sonntag als „Fußballgott“.
Wirtz könnte nun für mehr als 100 Millionen Euro wechseln und sich einen der schillerndsten Klubs Europas aussuchen. Doch sein Vater und Berater Hans Wirtz hatte Anfang März im „Kölner Stadt-Anzeiger“ gesagt: „Florian hat Vertrag bis 2027 in Leverkusen. Das wird auch grob die Zeitspanne sein, die er noch in Leverkusen verbringen wird. Man sollte die nächsten beiden Jahre abwarten, dann werden wir sehen, wohin der Weg führt.“ Die Bayer-Fans dürfen ihrem „Fußballgott“ also noch ein bisschen beim Kicken im Bayer-Trikot in der Königsklasse zuschauen.