Leverkusen. – Herr Carro, Sie haben ohne viel Aufhebens Ihren Vertrag als Vorsitzender der Geschäftsführung bei Bayer 04 um weitere drei Jahre verlängert. Welche Ziele haben Sie schon erreicht, welche wollen Sie noch erreichen?
Fernando Carro: Im Fußball kommt es in erster Linie immer auf Ergebnisse an. Und dass dies meistens kurzfristig bewertet wird, das gehört dazu. Aber als Unternehmen wollen wir mittelfristig auch in allen anderen Bereichen besser werden. Es ist wichtig, dass ein Klub wie Bayer 04 mit Entwicklungen Schritt hält. Ein Kernbereich, an dem wir arbeiten, ist das Leistungszentrum. Hier hat Simon Rolfes (Sportdirektor, d. Red.) mit Thomas Eichin (Leiter Leistungszentrum, d. Red.) bereits einiges auf den Weg gebracht. Der Umbau der Nachwuchsarbeit ist ein solch langfristig angelegtes Projekt. Nachhaltige Entwicklung und Veränderung brauchen Zeit. Auch sie zahlen auf den Erfolg der Organisation ein. Unmittelbarer Erfolgsfaktor ist natürlich der eher kurzfristige, sportliche Erfolg, daran werden wir gemessen. Das ist mir zu 100 Prozent bewusst. Wir wollen mit den Ressourcen, die wir haben, das Maximale herausholen.
Wie sind Ihre Pläne für die Zeit nach Rudi Völler, der seit Jahrzehnten das populärste Gesicht von Bayer 04 ist? Wird Simon Rolfes ihn beerben?
Die Besetzung der Geschäftsführer-Positionen ist eine Entscheidung, die der Gesellschafter-Ausschuss trifft und nicht ich als Geschäftsführer. Simon Rolfes leistet als Sportdirektor hervorragende Arbeit. Es ist kein Geheimnis, dass er die Fußstapfen von Rudi künftig ausfüllen soll – auf welcher Hierarchie-Ebene, das wird zu entscheiden sein. Was Rudi Völler angeht: Er wird immer ein Teil von Bayer 04 bleiben. Und er wäre mit seiner Erfahrung auch für die Zukunft ein exzellenter Ratgeber und Sparringpartner. Ich würde mich freuen, wenn wir ihn nicht ganz verlieren. Aber diese Entscheidung liegt nicht in meiner Hand.
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Am Donnerstag beginnt das Unternehmen Europa League mit dem Spiel gegen Ferencvaros Budapest. Haben Sie die spektakuläre 3:4-Niederlage gegen Borussia Dortmund schon verdaut?
Ich war nach dem Spiel und selbst zwei Tage danach immer noch sehr verärgert, auch, weil ich mit einigen Entscheidungen des Schiedsrichtergespanns nicht einverstanden war. Aber natürlich haben auch wir selbst Fehler gemacht. Ich bin einfach nach wie vor unglücklich, dass wir nach solch einem Spiel mit leeren Händen dastehen. Ein Lob für verlorene Spiele ist nicht das, was wir wollen. Da ist mir Kritik für gewonnene Spiele viel lieber. Aber jetzt geht der Blick nach vorne.
Sie werden viele Siege brauchen, um Ihre Ziele zu erreichen.
Ganz klar, das Ziel ist auch in dieser Saison mindestens Platz vier. Rudi Völler, Simon Rolfes und das Team um sie herum haben in der Transferphase hervorragende Arbeit geleistet. Jetzt haben wir einen hochwertigen Kader mit vielen hochveranlagten, aber auch noch entwicklungsfähigen Spielern. Wenn wir in der Lage sind, unsere Qualität auf dem Platz zu zeigen, aggressiv und griffig zu sein und als Mannschaft agieren, dann steht einer erfolgreichen Saison und Europareise nichts im Weg.
Ihre Transferbilanz ist, nach den halboffiziellen Zahlen, in den letzten beiden Jahren trotz der vielen Veränderungen positiv.
In unserem Geschäftsmodell brauchen wir, um unsere Ausgaben finanzieren zu können, langfristig immer Transferüberschüsse. Wir müssen Spieler entwickeln, Werte schaffen. Und wir können dann nicht das Geld, das wir durch Transfers einnehmen, eins zu eins ausgeben. Unser Gesellschafter erwartet von uns, dass wir uns selbst tragen. Damit das gelingt, brauchen wir ein perfektes Zusammenspiel von allen Einheiten: Scouts, Analysten, Kaderplaner, aber auch einem Trainer, der anderswo begehrte Spieler überzeugt, zu uns zu kommen. Das ist uns bislang meistens gut gelungen.
Wie bewerten Sie die Arbeit von Trainer Gerardo Seoane bis jetzt?
Die Verpflichtung von Gerardo Seoane war das Ergebnis eines langen Auswahlprozesses. Er vereinigt viele Stärken, die ein moderner Trainer aus meiner Sicht haben muss. Die Kombination aus Fußball-Fachwissen und Führungskompetenz ist enorm wichtig, inklusive starker kommunikativer Fähigkeiten. Es nützt ja nichts, wie er sechs Sprachen zu sprechen, wenn du sie nicht an den richtigen Stellen einsetzt. Wir sind überzeugt, dass wir mit ihm den richtigen Cheftrainer für eine langfristige und erfolgreiche Zusammenarbeit gefunden haben.
Welche Entscheidungen für den Erfolg kann ein Klubchef im Fußball überhaupt treffen? Im Prinzip können Sie doch nur Personalentscheidungen treffen und Erfolgskultur vorleben. Oder?
Fußball ist ein „people’s business“, im Fußball geht es immer um Menschen. Es entstehen ja keine Produkte, wie in Fabriken. Am Ende sind deshalb die richtigen Personalentscheidungen von höchster Bedeutung. Eine passende Trainerentscheidung ist ganz wichtig, eine Sportdirektorentscheidung auch. Sie akribisch vorzubereiten und Überzeugung daraus zu schüren, darauf kommt es an. Der überlegte und weitsichtige Einsatz der vorhandenen Ressourcen ist ebenfalls sehr wichtig. Wofür setzen wir unser Geld ein? Wofür geben wir mehr Geld aus und müssen an anderer Stelle vielleicht einsparen? Hier die richtige Strategie auszuarbeiten und gemeinsam zu vertreten, das ist eine entscheidende Basis für Erfolg.
Hier sind wir auch beim Thema 50+1 und der Investorenbegrenzung. Seit das Kartellamt die bestehenden Ausnahmeregelungen für die Werksklubs gerügt und eine Änderung angemahnt hat, herrscht Aufregung. Was droht Bayer 04? Haben sie schlaflose Nächte?
Nein. Auf keinen Fall. Dieses Thema macht mir keine Angst, es bereitet uns einfach viel Arbeit. Wir haben bis Ende September unsere Stellungnahme – gemeinsam mit Wolfsburg und Hoffenheim – abzugeben. Ich habe das Gefühl, dass es der Einschätzung des Kartellamtes teilweise an Tiefe und damit letztlich auch an Argumenten fehlt. Ich halte sehr viel vom Bundeskartellamt und wir respektieren dessen Hoheit. Aber ich glaube: Wenn sie die Chance haben, sich noch einmal intensiver mit der Materie zu befassen, werden sie möglicherweise zu anderen Erkenntnissen kommen. Wir sehen es als unsere Aufgabe an, das Kartellamt mit Fakten und Argumenten davon zu überzeugen.
Werden Sie auch mit Ihrer Geschichte argumentieren?
Für mich ist Bayer 04 ein Traditionsklub. Ganz klar. So sehen wir uns. Bayer 04 hat eine beinahe 120 Jahre alte Geschichte, ist entstanden aus den Arbeitern im Bayer-Werk, nach dem Krieg aufgestiegen in die alte Regionalliga West, seit 40 Jahren fester Bestandteil der Bundesliga. Wenn das keine Tradition ist, obendrein auf höchstem Niveau, dann weiß ich es auch nicht.