Am Sonntag tritt der 1. FC Köln gegen den SC Freiburg an. Wir schauen uns den Gegner genauer an.
Der Freiburger Fußball-Lehrer Christian Streich bleibt mit allen Konsequenzen er selbst.
Er verweigert das Auftreten in sozialen Medien und private Werbe-Deals. Ein Porträt.
Köln – Der beliebteste Trainer der Fußball-Bundesliga macht nach den Gesetzen der modernen Selbstvermarktung alles falsch. Christian Streich ist nicht bereit, auch nur eine Silbe seines hochalemannischen Dialekts für eine größere Verständlichkeit über das Südbadische hinaus preiszugeben. Er weigert sich, seine Leistung angemessen in Geld zu verwandeln. Streich wirbt nicht für Konsumgüter, boykottiert soziale Medien, tritt nicht in Unterhaltungsshows auf, empfängt keine Kamerateams für Geschichten aus seinem Zuhause.
Und er schafft es ganz selten, in extremen Momenten seines Berufes die Fassung zu bewahren. Mit bewegten Bildern der Entgeisterung, die ihn während und nach den Fußballspielen seines SC Freiburg regelmäßig befällt, könnte man Abende füllen.
„Er hatte schon damals dieses 360-Grad-Auftreten“
Andreas Rettig nennt diese Eigenschaft des Fußball-Lehrers, der am Sonntag mit seinem SC Freiburg beim 1. FC Köln antritt, „das Unbedingte“. 1998, als er seinen Job als Manager in Freiburg begann, hat der Rheinländer den Metzgerssohn aus dem Markgräflerland kennengelernt. Streich, Anfang 30, war bereits drei Jahre lang Trainer der Freiburger U 19.
Er hatte damals schon dieses, ich möchte mal schmunzelnd sagen: 360-Grad-Auftreten“, sagt Rettig und meint damit den inneren Zwang des Trainers, sich um alles zu kümmern, was ihm seiner Mannschaft begegnet. „Er hat gleichzeitig mit dem Schiedsrichtern, Eltern des gegnerischen Teams und seinen Spielern gesprochen. Es war schon der Christian Streich, den wir heute kennen. Er ist während des Spiels einfach ein anderer Mensch, sehr impulsiv und direkt.“
Es sollte noch lange dauern, bis Streich sich getraute, mit seiner Art vor ein größeres Publikum zu treten. 16 Jahre lang, von 1995 bis 2011, ist er Trainer der Freiburger A-Junioren geblieben, ein in dieser Position atemberaubend langer Zeitraum. Er ist mit den Jungs aus dem Breisgau Deutscher Meister geworden und dreimal DFB-Pokal-Sieger, hat sie reihenweise zu Profis ausgebildet, und das alles im direkten Wettstreit mit den Giganten der Branche. Er hätte seine geliebte Lehrtätigkeit an jungen Menschen wohl niemals aufgegeben, wenn ihn der Verein in der Mitte der Saison 2011/2012 nicht angefleht hätte, im Existenzkampf der Bundesliga die Profimannschaft zu übernehmen, deren Assistenztrainer er zu dem Zeitpunkt sechs Monate lang war.
Wegbegleiter berichten, dass es Christian Streich unglaublich schwer fiel, seinem Verein den Gefallen zu tun. Ihm war klar, dass er zu vielem fähig sein würde, aber niemals dazu, seine Persönlichkeit den scheinbaren Erfordernissen des Profi-Fußballs anzupassen, der auch Unverbindlichkeit, Glätte und Geschäftsmäßigkeit verlangt. Aber schließlich siegte auch hier das Unbedingte. Streich wurde gebraucht. Und er hatte sein Team der Vertrauten um sich, das ihn erdet und festhält, wenn das nötig ist.
Vor knapp zwei Wochen hat Christian Streich im „Aktuellen Sportstudio“ die Arbeit in dieser verschworenen Gemeinschaft als wichtigsten Faktor für seinen Erfolg benannt. „Da weiß jeder, was der andere denkt“, erklärte er. Mit Leuten wie Jochen Saier (Sportvorstand), Klemens Hartenbach (Sportdirektor) und seinem Assistenten Lars Voßler arbeitet er schon seit mehr als 15 Jahren zusammen. Hier ist er allenfalls Erster unter Gleichen, wie er in Freiburg vor allem Freiburger ist. Die Geschichten vom regelmäßigen Besuch seiner Stammkneipe, der Fahrt zum Arbeitsplatz mit dem Fahrrad, der Bereitschaft, sich um die Lebensumstände seiner Spieler zu kümmern, sind Legende.
Aber für all das würden sich viel weniger Menschen interessieren, wenn Christian Streich nicht ein so guter Fußball-Trainer wäre. Es ist kaum angemessen zu vermitteln, welche Leistung er in acht Jahren als Cheftrainer beim SC Freiburg vollbracht hat. Abgesehen vom Abstieg 2015, der mit dem direkten Wiederaufstieg repariert wurde, hat es Streich geschafft, den Klub mit vergleichsweise geringen Mitteln dauerhaft in der Bundesliga zu halten. In dieser Saison wird sein Team wohl nicht einmal in die Nähe der Todeszone am Tabellenende geraten. Wie wenig selbstverständlich das ist, können Fahrstuhlvereine mit den Möglichkeiten eines 1. FC Köln genau beurteilen.
Nicht zu erschütternde Glaubwürdigkeit
Dieser Erfolg verleiht der Glaubwürdigkeit des Trainers Christian Streich einen Halt, der in der Öffentlichkeit nicht zu erschüttern ist. Streich ist es nicht nur gestattet, praktisch zu jedem gesellschaftspolitischen Thema auf seine Art Stellung zu nehmen, es wird von ihm erwartet. Und so berichtet er in seinem südbadischen Idiom nicht ohne Lust von den Selbstzweifeln als Trainer, dem Druck, der auf ihm lastet („Ich hasse es“), seinem Wunsch nach einer menschlicheren Welt, legt sich mit der AfD an und rät seinen Spielern bei einer ganz gewöhnlichen Spieltag-Pressekonferenz, statt teurer Autos glückliche Hähnchen zu kaufen, auch wenn er weiß, dass sie im Winter nach Dubai fliegen und Videos aus dem Restaurant posten, in dem Fußballer gern goldbeschichtete Steaks essen.
So wird aus allem, was einem kein Imageberater im Jahr 2020 raten würde, der Sieg des Unbedingten mit der Botschaft: Hier bin ich - ein Mensch und Fußballtrainer - und kann nicht anders.