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Kiels Athletik-Trainer André Filipovic„Mich hat Corona richtig aus der Bahn geworfen“

Lesezeit 5 Minuten
SP-André Filipovic

André Filipovic war viele Jahre Co-Trainer bei Fortuna Köln, mittlerweile sorgt er bei Holstein Kiel für fitte Profis. 

KölnHerr Filipovic, Holstein Kiel befindet sich mitten in den wichtigsten Wochen seiner Vereinsgeschichte, Bundesliga-Aufstieg und Pokal-Finale sind greifbar. Wie ist die Stimmung im Klub?

Filipovic: Die Stimmung ist überragend. Wir haben zwei Riesen-Chancen. Du kannst trotz der ganzen Quarantänen aufsteigen. Und du kannst einen Titel holen, nach so einem unfassbaren Weg ins Halbfinale. Das merkt man im ganzen Verein, jeder will seinen Teil dazu beitragen.

Nach der zweiten Team-Quarantäne gab es in der Liga einen Sieg gegen Osnabrück und ein Unentschieden in Nürnberg. Sind Sie zufrieden?

Absolut. Wichtig ist, dass wir gute Spiele gemacht haben. Ein paar Fehler waren drin, da sieht man, dass die Automatismen noch etwas fehlen. Kräftemäßig war es absolut okay, darauf lässt sich aufbauen. Und in der Tabelle sind wir nur zwei Punkte hinter dem Hamburger SV und haben drei Spiele weniger absolviert.

Zur Person

André Filipovic (39), geboren in Mutlangen bei Stuttgart, ist seit 2019 Athletiktrainer bei Zweitligist Holstein Kiel und promovierter Sportwissenschaftler. Von 2010 bis 2018 war er – mit Unterbrechung – Co-Trainer bei Fortuna Köln. (ckr)

Welche Chancen rechnen Sie sich im Pokal-Halbfinale am Samstag in Dortmund (20.30 Uhr/ARD und Sky) aus?

Im Winter vor dem Zweitrunden-Spiel gegen die Bayern haben wir uns gedacht: Ja, nettes Spiel, nehmen wir mit, aber der Fokus liegt auf der Liga. Und jetzt sind wir im Halbfinale! Genauso gehen wir das in Dortmund an. Ole Werner, unserer Cheftrainer, hat es vor dem Bayern-Spiel perfekt moderiert: Wir haben eine winzig kleine Chance. Aber mit jeder Minute wird sie größer. Und genauso war es, wir sind mit jeder Minute stärker geworden und haben am Ende im Elfmeterschießen gewonnen. Und das nicht mal unverdient. Du hast immer eine Chance. Allerdings wird der BVB uns nicht unterschätzen, vielleicht haben die Bayern das gemacht. Dortmund weiß, dass sie siegen müssen, da geht es um alles. Das macht mir ein bisschen Angst (lacht). Andererseits würde uns da eine Überraschung natürlich noch viel mehr Rückenwind für die Liga geben.

Wie haben Sie als Athletiktrainer die Mannschaft während der Quarantäne-Phasen fit und bei Laune gehalten?

In der ersten Quarantäne war ich ja selbst krank. Da hat unser Fitnesstrainer Timm Sörensen die Fahrrad-Pläne an die Jungs verteilt. Die Spieler sind da locker durchgekommen. Sie dachten: Okay, wir machen das zehn Tage, dann sind wir wieder voll drin. Aber so war es dann ja nicht. Wir haben direkt zwei Spiele verloren und dann gab es die nächsten positiven Fälle. Die zweite Quarantäne war darum viel schlimmer. Du merkst, dass die Jungs unbedingt spielen wollen. Manchen reicht das Fitness-Programm einfach nicht, dann schickt man ihnen Extra-Übungen. Andere hatten Motivations-Probleme und wollten einfach nur telefonieren und brauchten jemanden zum Quatschen. Dann war ich für sie da.

Die seelischen Herausforderungen einer Quarantäne sind noch größer als die körperlichen?

Auf jeden Fall, gerade in der zweiten Quarantäne. Da weißt du, dass du mit Rückstand in der Tabelle und auch mit einem körperlichen und mentalen Rückstand zurückkommst. Das ist psychisch extrem anstrengend für die Jungs. Innerhalb von sechs Wochen waren sie vier Wochen quasi nur auf dem Fahrrad.

Ihre Spieler haben auch keine Pools mit Gegenstromanlage oder ein eigenes Fitnessstudio im Keller.

Nein, so weit sind wir nicht. Die Jungs haben sich Kurzhanteln besorgt und ein Fahrrad gestellt bekommen – aber ein Laufband oder sowas hat keiner. Als Athletiktrainer versuchst du, in dieser Zeit das Maximale aus den Möglichkeiten rauszuholen. Wenn ein Spieler einen 20 Meter langen Garten hat, dann bekommt er Sprint-Intervalle von mir. Und wenn jemand einen Zehn-Meter-Flur hat, dann gibt es Sprung-Übungen. Etwas Abwechslung ist wichtig. Eine Freundin von mir aus Köln hat zum Beispiel mal zwei Yoga-Einheiten mit den Jungs gemacht.

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Auch Sie waren mit Corona infiziert.

Mich hat es schon richtig aus der Bahn geworfen, da hätte ich gerne drauf verzichten können. Und wenn ich höre, dass es im Profi-Fußball quasi immer nur milde Verläufe gibt – das verstehe ich nicht und glaube es auch nicht so ganz. Ich habe mich im März angesteckt. Und ich merke das immer noch, wenn ich auf dem Platz bin und Läufe mache, beeinträchtigt es mich. Zum Glück muss ich nicht spielen. Ich finde es völlig falsch, das Thema bei Sportlern irgendwie kleinzureden.

Müsste man Athleten nicht mehr Zeit zur Regeneration lassen? Mittlerweile scheint es, als wäre bei einem Profifußballer eine Corona-Infektion so etwas wie ein leichter Muskelfaserriss. Zwei Wochen Pause, dann ist gut.

Ja, das stimmt. Mir geht es als Athletiktrainer darum, meine Spieler zu schützen. Ich muss ihnen klarmachen, dass Corona nicht irgendein lapidares Ding ist, was ich bekomme und es dann wieder schnell verschwindet. Wer weiß schon, wie deine Lunge in ein oder zwei Jahren aussieht nach einem mittelschweren Verlauf? Und das ist nun mal ihr Beruf, um den es geht. Es gibt auch bei der Wiedereingliederung ins Training keine Erfahrungswerte, wie viel genau man den Spielern zumuten kann. Man weiß einfach noch sehr wenig darüber. Und klar ist auch: Egal wie gut unser Hygiene-Konzept ist und wie sehr sich alle an die Maßnahmen halten – man kann sich nicht zu 100 Prozent schützen.

Am 12. Mai müssen Sie wieder in Isolation, die DFL hat für alle Bundesligisten ein zweiwöchiges Quarantäne-Trainingslager angeordnet.

Ja, dann sind wir entweder auf dem Trainingsplatz oder alleine auf dem Zimmer. So habe ich letztes Jahr schon meinen Geburtstag gefeiert, dieses Jahr wird das wieder so sein, alleine auf dem Zimmer. Aber mal im Ernst: Meinetwegen gehe ich vier Wochen alleine ins Hotel, wenn wir dadurch unsere Aufstiegschancen verbessern. Ich will nächste Saison in der Bundesliga gegen den 1. FC Köln spielen. Und so sehen die Jungs das auch: Wir machen alles Notwendige, um das Maximale aus der Saison herauszuholen.