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Rom e.V. wird 30 Jahre alt„Manchmal waren wir etwas wahnsinnig“

Lesezeit 6 Minuten

Kinder aus Roma- und Nicht-Roma-Familien beim Weltromatag 2015

Köln-Innenstadt – Es war ein Flashmob, der bei vielen der Beteiligten Erinnerungen geweckt hat. In dieser Woche übergaben zwei Dutzend Mitglieder des Rom e.V. Vertretern der Stadt, Bürgermeisterin Elfi Scho-Antwerpes, Dompropst Gerd Bachner und der Antoniter-Gemeinde an der Schildergasse Gedenksteine mit der Aufschrift „Wir sind auch Köln“. Stadt, Politik und Kirchen seien in der Vergangenheit Wegbegleiter des Vereins gewesen, sagte der Schriftsteller Ruzdija Sejdovic vom Rom e.V. Oft hätten sie die Roma unterstützt. „Es gab aber auch manche Kämpfe, die auszufechten waren.“

Ein Ringen um die Anerkennung von Roma führte überhaupt erst dazu, dass sich der Verein Rom e.V. vor 30 Jahren gründete. Im Winter 1986/1987 waren 1000 Roma nach Köln gekommen. Sie waren Flüchtlinge aus den Balkan-Staaten, die zunächst in Italien gelebt hatten, durch gezielte Razzien aber dort vertrieben wurden und nach Monaten unter anderem in Köln strandeten. „Es war in diesem Winter besonders kalt, bis zu minus 20 Grad Celsius“, erinnert sich die zweite Vorsitzende, Doris Schmitz. Die Menschen lebten und übernachteten in Wohnwagen, Autos, Wellblechhütten und Behausungen, die schnell aus Kartons und anderen Materialien zusammengebaut worden waren.

Dompropst Gerd Bachner nimmt einen Gedenkstein vom Rom e.V. entgegen.

Hilfe von der Stadt gab es nicht. „Die Verwaltung hatte versucht, das Problem zu ignorieren“, so Schmitz. Stattdessen nahmen Kölner Bürger, darunter der spätere alternative Ehrenbürger Kurt Holl und Pfarrerin Renate Graffmann Kontakt zu den Familien auf. Mit dabei waren auch zahlreiche Studenten der Universität zu Köln. Es gab Beratung und Hilfe, die Bürger forderten zudem ein Bleiberecht für die Roma. Die Stadt reagierte schließlich und brachte einige der Roma in Unterkünften am Dellbrücker Mauspfad, an der Brühler Landstraße und in Fühlingen unter.

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Forderungen nach einem Bleiberecht

Aus der Initiative wurde 1988 ein Verein. Die ersten Jahre des Rom e.V. waren geprägt von den Kämpfen gegen rassistische Übergriffe gegen Roma und von weiteren Forderungen nach einem Bleiberecht. Mitglieder des Vereins gingen 1988 in die Kölner Oper und machten dort auf die Lage der Roma in Köln aufmerksam. 1992 besetzten sie das EL-De-Haus. Um drei Roma-Familien vor einer Abschiebung zu schützen, besetzten im gleichen Jahr Mitglieder des Rom e.V. kurzerhand auch die Antoniter-Kirche – zunächst gegen den Willen der Gemeinde. Später gewährten Pfarrer Kurt-Werner Pick und der Kirchenkreis Köln-Mitte Kirchenasyl. Es waren prägnante Aktionen, die dem Verein aber nicht nur Sympathie einbrachten. Immerhin räumte der Rat der Stadt im Jahr 1990 insgesamt 200 Roma ein Bleiberecht ein. „Es war aber nicht genug, viele andere Familien mussten gehen“, so Schmitz.

Der Gedenkstein

Unterdessen hatte sich die weltpolitische Lage dramatisch verändert. Mit dem Zusammenbruch der damaligen Sowjetunion und auch Jugoslawiens wurden die Lage der Roma auf dem Balkan immer angespannter. Paramilitärs marodierten ungehemmt, richteten besonders unter Minderheiten Pogrome an, erläutert Sejdovic. In den Fokus gerieten dabei immer wieder auch die Roma. Mit den Balkan-Kriegen, die Slowenien (1991), Kroatien (1991 bis 1995), Bosnien (1992 bis 1995) und den Kosovo (1999) erfassten, gelangten mehr und mehr Flüchtlinge nach Köln.

Bettelmarsch von Köln nach Düsseldorf

Schon 1990 kam es in Köln zu einer spektakulären Aktion. Mit einem dreitägigen „Bettelmarsch“ in die NRW-Landeshauptstadt Düsseldorf wollten Hunderte Roma ihrer Forderung nach einem Bleiberecht Nachdruck verleihen. Viele von ihnen waren damals nur geduldet, mussten aber jederzeit damit rechen, in ihre unruhigen Heimatländer abgeschoben zu werden.

Zuvor hatten sie den Kölner Dom besetzt, die Stadt hatte die Menschen anschließend in einem Verwaltungsgebäude untergebracht. Der damalige Landesinnenminister Herbert Schnoor (SPD) stellte zwar ein Bleiberecht in Aussicht, aber Sozialminister Hermann Heinemann (SPD) und SPD-Fraktionschef Friedhelm Farthmann legten sich quer.

Kinder beim Rom e.V.

Die Landesregierung tüftelte einen anderen Plan aus. In Mazedonien ließ sie Dutzende Häuser für die Roma bauen und die Menschen auf Kosten der öffentlichen Hand ausfliegen. Sie mussten allerdings versichern, nicht erneut nach Deutschland einzureisen. Das Ganze endete nach Schmitz’ Ansicht in einem Desaster. Die Häuser seien „mitten im Nirgendwo“ errichtet worden – ohne entsprechende Infrastruktur, ohne Jobs und Ausbildungsstellen. Und ohne Einbindung der Nachbarn in das Projekt. Diese waren offenbar wenig erfreut von den neuen Bewohnern – und hätten einige der Häuser angezündet, so Schmitz.

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Zurück in Köln: Auch in der Rheinstadt verschärfte sich der Ton gegenüber den Roma: Schon in den 1990er Jahren und in einer zweiten Welle ab 2002 machte der Begriff der „Klaukids“ die Runde. Jugendliche Roma wurden bezichtigt, vor dem Hauptbahnhof Passanten zu bestehlen. Mitglieder des Rom e.V. knüpften 2003 Kontakte in die Bahnhofsszene und holten die Kinder und Jugendlichen von der Straße. Die Idee dazu war einfach und bestechend – der Rom e.V. errichtete 2004 eine Ganztagsschule für die Mädchen und Jungen, in der sie fit gemacht wurden für die Regelschulen. Das Projekt Amaro Kher war geboren und wurde in der Folge auch von „wir helfen“ unterstützt.

2006 sollte es eine Kindertagesstätte hinzukommen. Als das Land NRW eine Zusage gab, musste der Verein die Einrichtung binnen weniger Wochen eröffnen. Andernfalls wären die Fördergelder verloren gewesen, erinnert sich Elisabeth Klesse vom Rom e.V. Dass das klappen würde, hätte sie damals selbst nicht gedacht. „Manchmal waren wir etwas wahnsinnig.“ Die Schule Amaro Kher wurde auch von einem Beschluss des Rats als Modellprojekt gestützt.

Wenig Arbeit, viel Armut

Die Probleme der Familien, um die sich der Verein kümmert, sind über die Jahre hinweg ähnlich. Viele sind schlecht untergebracht. Manche leben als Flüchtlinge in Wohnheimen oder Notunterkünften. Viele der Menschen haben keinen oder nur einen schlecht bezahlten Job. Manche Eltern können ihre Kinder in der Schule nur schlecht unterstützen, weil sie selbst ohne gute Schulbildung sind. Manche sind Analphabeten, andere sprechen kaum deutsch. Armut ist unter Roma-Familien nicht selten.

Der Rom e.V. hat außer Amaro Kher weitere Projekte aufgelegt, die besonders Kinder und Jugendliche fördern. Zu den bekanntesten gehören Amen Ushta, in dessen Rahmen Betreuer des Rom e.V. Kinder vor allem aus Roma-Familien in Schulen unterstützen. Das Projekt Angle Dikhas hat sich zum Ziel gesetzt, Jugendliche aus rumänischen und bulgarischen Zuwanderfamilien – darunter viele mit Roma-Hintergrund – zu fördern. Gestärkt werden sollen sie im Übergangsbereich von Schule und Ausbildung.

Jenseits der pädagogischen Angebote hat der Verein auch zahlreiche kulturelle Aktivitäten entfaltet. Nachdem es schon in den 1990er Jahren eine eigene Zeitschrift gegeben hatte, publiziert der Rom e.V. seit 2004 das Magazin „Nevipe“ (Nachrichten). Zudem hat der Rom e.V. ein Archiv und eine Bibliothek zur Geschichte und Kultur der europäischen Roma aufgebaut, die zumindest bundesweit als vorbildlich gilt. Das Dokumentationszentrum gilt als wichtige Quelle für Journalisten und Studenten. Im vorigen Jahr wurden hier historische Postkarten, die über Roma in den vergangenen Jahrzehnten im Umlauf gebracht wurden, in einem Projekt mit der Universität Köln gesammelt und katalogisiert.

Viel Anerkennung für Arbeit des Rom e.V.

Beim Flashmob gab es viel Anerkennung für die Arbeit des Rom e.V. Der Verein sei ein Garant dafür, dass Roma und Nicht-Roma gut miteinander in Köln auskämen, lobte Dompropst Bachner. Das Thema Rassismus, das den Rom e.V. über Jahre bewegt, sei heute wieder aktueller denn je, sagte Bürgermeisterin Scho-Antwerpes. „Wir müssen uns alle querstellen, wenn es um Rassismus geht.“ Der Rom e.V. lobte die aktuelle Politik besonders für einen Beschluss aus dem Jahr 2016: Damals hatte der Rat dafür gestimmt, dass über viele Jahre in Köln lebende Roma eine realistische Perspektive auf ein Bleiberecht erhalten. Denn viele der Familien werden seit Jahren nur geduldet. Mitunter müssen die Menschen alle drei Monate zum Ausländeramt gehen, um dort zu erfahren, ob sie in Köln bleiben dürfen oder nicht.