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Kölner Fondsmanager sieht Risiken und Chancen„Das Auf und Ab der Kurse wird zunehmen“

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Geld Symbolbild

Herr Leisten, die Welt ist im Untergangsmodus, auch die Wirtschaft. Und die Börsen feiern täglich neue Rekorde. Wie wollen Sie das den privaten Anlegern und Sparern verkaufen, oder sagen wir, erklären?Alexander Leisten: Das ist ein echtes Phänomen. Wir sehen täglich neue Rekorde an der Börse. Dieses Phänomen erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Das muss man tiefer analysieren, und doch hat der Anstieg gute Gründe. Was wir im März 2020 gesehen haben war ein exogener Schock. Für die Menschen durch die Pandemie, aber auch für die Märkte. Wir sahen auch an den Börsen kurzzeitig Minusstände von 30 Prozent und mehr.

Ungewöhnlich ist für Betrachter aber, wie schnell sich die Börsen mehr als erholt haben.

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Alexander Leisten ist Deutschland-Chef von Fidelity.

Dafür gibt es Gründe aus meiner Sicht. Es war die erste globale Wirtschaftskrise, bei der die digitale Revolution schon zum Tragen gekommen ist. Zwar gab es 2008 auch schon Internet und Smartphones. Aber die Entwicklung war von der heutigen noch weit entfernt. Genauer betrachtet, ist die wirtschaftliche Entwicklung ja geteilt. Der vorwiegend analoge Teil der Wirtschaft hat in der Tat keine oder kaum Erholung gesehen. Denken Sie an Handel, Tourismus oder die Luftfahrtbranche. Aber andere haben das mehr als wettgemacht, etwa der Onlinehandel, Postanbieter, Paketdienste, alle, die uns die Krise erträglich gemacht haben. Und natürlich die Anbieter von Software von Videokonferenzen. Von unseren 10.000 Mitarbeitern bei Fidelity arbeiten 8000 im Homeoffice, ohne die digitale Technik wäre das gar nicht möglich.

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Alexander Leisten (geb. 1966) ist Leiter des Deutschlandgeschäfts von Fidelity International. So verantwortet er das gesamte Geschäft der internationalen, inhabergeführten Fondsgesellschaft in Deutschland. Dies umfasst auch die Fondsplattform FFB.

Vor seinem Wechsel zu Fidelity war er bei Sal. Oppenheim tätig, wo er 1994 seine Berufslaufbahn startete. Alexander Leisten besitzt einen Abschluss als Diplom-Kaufmann der Universität Köln.

Aber diese Rekordstände erschließen sich dennoch nur schwer.

Das ist Psychologie. Für die Börsen ist die Bewältigung der Krise in Sichtweite. Die Märkte antizipieren immer die Lage in der nahen und mittleren Zukunft.

Ist es eine Folge der lockeren Geldpolitik?

Meine erste Finanzmarktkrise erlebte ich beruflich im Jahr 1987 als Lehrling bei Sal. Oppenheim in Köln. Damals wurde die Krise bewältigt, weil die Notenbanken Liquidität in die Märkte gepumpt haben. Sie wurden mit Geld geflutet. Und genau das machen die Notenbanken in der Corona-Krise auch.

1987 und 2008 konnte die EZB aber die Zinsen senken. Dieses Instrument fehlt heute, der Leitzins ist auf null oder darunter.

Die Zentralbanken kaufen Anleihen nach dem Motto „What ever it takes“. Das hat den gleichen Effekt wie früher eine Senkung des Zinses. Haben die Unternehmen Liquidität, bleibt die Wirtschaft am Laufen und die Firmen investieren, Menschen bleiben in Lohn und Brot. Das Rad dreht sich weiter.

Aber defacto entspricht das Ankaufen von Unternehmensanleihen durch die EZB dem Anwerfen der Notenpresse. Sehen wir bald eine gewaltige Inflation?

In der Tat gibt es eine Inflationsgefahr. Allein der Nachholeffekt, wenn die Menschen endlich wieder reisen und Essengehen können, wird die Preise treiben. Und auch die Anbieter werden versuchen, sich Einnahmeausfälle über höhere Preise zurückzuholen. Ein Indiz dafür ist auch, dass die Aktien steigen und die Immobilienpreise auch. Aus Sorge vor Inflation stecken die Anleger ihr Geld in Häuser und Wertpapiere, das treibt die Preise. Zudem machen die niedrigen Zinsen in andere Anlageklassen wie Staatsanleihen deutlich unattraktiver.

Wann ist Schluss mit der Rallye an der Börse?

Das hängt einzig und allein davon ab, ob die Prognosen zur globalen Wirtschaftsentwicklung, die heute zu steigenden Kursen führen, in der Zukunft auch eintreffen. Wichtig ist, ob die Realwirtschaft den heutigen Bewertungen der Börsianer auch folgt. Klar ist aber, die Volatilität, das Auf und Ab der Kurse in kurzer Zeit wird zunehmen. Mittelfristig sind Rückschläge von fünf bis zehn Prozent denkbar. Aber das ist auch nichts Ungewöhnliches. Daraus ergeben sich wiederum auch Chancen, bei niedrigen Kursen einzusteigen.

Die Deutschen gelten als Aktienmuffel. Aber ist ihre Skepsis nicht berechtigt, angesichts der Informationsasymmetrie? Die institutionellen Anleger sind doch viel besser informiert als Otto-Normal-Sparer.

Danke für diese Steilvorlage (lacht). Dafür genau gibt es ja uns. Unsere globalen Unternehmensanalysen, die wir vor Ort durchführen, sind ein wesentlicher Teil unserer Existenzberechtigung. Durch uns können unsere Kunden, die Käufer unserer Fonds, an unserem Wissensvorsprung partizipieren. Wir können einzelne Titel analysieren und dann für den Kunden die richtige Risikomischung zusammenstellen.

Das kann ich als Sparer aber auch selbst. ETF sind Fonds, die ganz schlicht einen Aktienindex abbilden. Sie kommen ohne Fondsmanager aus und kosten fast keine Gebühren, Ihre Fonds aber schon.

Durch unsere aufwendigen Analysen können wir zu den Kursgewinnen mit Ihren ETFs aber Zusatzerträge rausholen. Das ist ohne aktives Management von Experten nicht möglich. Natürlich hängt das von der Prognosegüte unserer Fondsmanager ab. Aber ein Beispiel. Im Dax, den Sie vielleicht mit Ihrem ETF abdecken, sind nur Großkonzerne. Wir haben aber auch die Expertise, kleinere Unternehmen zu beobachten, die aktuell unterbewertet sind, und so mehr rausholen als Sie mit Ihrem ETF.

Sie sprachen gerade von Digitalisierung und einem großen Schub. Müssen Sie und Ihre Fondsmanager nicht ernsthaft fürchten, bald von Künstlicher Intelligenz abgelöst zu werden. Computer können heute autonom ein Flugzeug fliegen. Warum sollten sie nicht ein Aktiendepot managen können?

Das glaube ich nicht. Je mehr Rechner an den Märkten operieren, desto mehr Opportunitäten gibt es. Rechner haben kein Gespür für Stimmungen. Rechner basieren auf Mathematik. Das Problem ist: Die Berechnungen dieser Computer basieren ausschließlich auf der Vergangenheit, sie sind rückwärtsgewandt. Da ist die aktuelle Pandemie doch das beste Beispiel, die konnte kein Computer der Welt vorausberechnen, oder besser, deren Folgen einkalkulieren. Und sie darauf zu programmieren, das wäre schwer vorstellbar. Eine solche Pandemie hat es wohl seit der Spanischen Grippe nicht mehr gegeben. Es waren echte Menschen, die erkannt haben, welche konkreten Auswirkungen die Krise auf die verschiedenen Branchen der Wirtschaft hat und wie man als Anleger am besten damit umgeht.

Sie waren schon im Geschäft als es die letzte große Finanzkrise 2008/2009 gab. Welche Parallelen ziehen Sie?

Die Finanzkrise 2008 war kein exogener Schock, sondern genau das Gegenteil: ein endogenes Phänomen. Die Krise kam ja aus der Finanz- und Bankenbranche selbst. Damals fehlte jegliches Risikobewusstsein. Finanzakteure haben unkalkulierbare Risiken auf andere abgewälzt. Insofern kann man das nicht miteinander vergleichen.

Jetzt die wichtigste Frage für unsere Leser: Wo steht der Dax am Jahresende?

Ich wage keine Prognosen für einen Zeitraum länger als drei Monate. Aber wenn Sie schon so fragen: Einen Stand von 15.500 Punkten würde ich dem Dax schon zutrauen. Dafür sprechen drei Argumente: Erstens ist die Nachfrage nach Aktien weiter ungebrochen hoch. Zweitens werden wir Mitte des Jahres weltweit eine Auswirkung der Impfungen sehen. Und Drittens sind die Zinsen im historischen Vergleich weiter extrem niedrig.

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Apropos Zinsen. Wann werden die wieder steigen?

Leichte Tendenzen für einen Anstieg haben wir ja bereits gesehen. Aber einen echten Anstieg sehe ich nicht kommen in kürzerer Zeit. Ein Anstieg wäre bei mehr Inflation zwar normal. Aber die Regierungen haben wegen der Pandemie enorme Schulden aufgenommen. Sie haben absolut kein Interesse an höheren Zinsen. Sie werden trotz aller Unabhängigkeit versuchen, die Zentralbanken in diese Richtung zu beeinflussen.