Weg von Kohle und Erdgas - hin zu Wasserstoff und Grünstrom: Wie die Stahlindustrie klimaneutral werden kann, diskutierten Fachleute und Politiker am Montag in Duisburg.
Krisen-GipfelWarnung vor Ende der deutschen Stahl-Industrie
Klare Antworten und neue Strategien sind vom ersten nationalen Stahlgipfel in Duisburg nicht erwarten. Es sei denn, man fragt die Stahlarbeiter, die am Montag vor der Mercatorhalle erneut lautstark um ihre Arbeitsplätze kämpfen. „Wir erwarten von der Landesregierung und Bundesregierung eine industriepolitische Strategie, die uns Planungssicherheit bringt“, sagt Ünsal Baser (37), Gewerkschaftssekretär der IG Metall Duisburg-Dinslaken und Mitglied der SPD-Ratsfraktion in Duisburg. „Wir sind bereit, den Weg in eine bessere und grünere Zukunft zu gehen. Wir brauchen eine klare Fahrlinie.“
Wie die aussehen muss, ist aus Sicht der 27.000 Menschen, die allein in Duisburg in der Stahlindustrie beschäftigt sind, eindeutig: Industriestrompreise runter, weil sie im Weltmaßstab einen klaren Wettbewerbsnachteil darstellen, und Einfuhrbeschränkungen für Billigstahl aus China. Und wenn das alles nicht reicht, um die Jobs zu retten, muss man aus Sicht der IG Metall den einst verworfenen Plan einer Deutschen Stahl AG wieder aufgreifen.
Bei der Planung des ersten Stahlgipfels durch das NRW-Wirtschaftsministerium, die Wirtschaftsvereinigung Stahl und die IG Metall, gingen alle voller Optimismus davon aus, dass alle Fragen der grünen Transformation dieser Schlüsselindustrie im Mittelpunkt des Treffens stehen werden.
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Rauswurf des Stahlchefs Bernhard Osburg
Doch nach den Chaoswochen bei Thyssenkrupp, dessen Höhepunkt der Rauswurf des Stahlchefs Bernhard Osburg war, der als Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl den Gipfel als Heimspiel mitten im Ruhrgebiet vorangetrieben hatte, und der Krise der Autoindustrie, stehen auf einmal völlig neue Probleme im Raum.
Die Lage ist finster, nicht nur in Duisburg. Erst am Donnerstag vergangener Woche blockierten wütende Stahlkocher die Zufahrten zur Aufsichtsratssitzung des Konzerns, dessen Aktienkurs immer tiefer in den Keller rauscht. Am Montag in der Mercatorhalle steht angesichts dieser multiplen Krisen auch ungeschrieben auf der Tagesordnung, ob sich Deutschland eine eigene Stahlproduktion überhaupt noch leisten kann oder in Zukunft besser Roheisen importieren sollte.
Die Antwort der schwarz-grünen Landesregierung dazu ist eindeutig. Die Transformation muss gelingen, sie ist existenziell für das Industrieland Nordrhein-Westfalen und deshalb nicht verhandelbar. Darin sind sich Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) und seine Wirtschafts- und Klimaministerin Mona Neubaur (Grüne) einig.
Trotz sinkender Preise, trotz Autokrise, trotz Absatzrückgang, denn – so zynisch das klingen mag – auch die Folgen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine auf Dauer nicht ausgleichen können. Trotz der ungeklärten Frage, woher die Abnehmer für grünen Stahl kommen sollen, wo neue Märkte sind, wie man sich vor Billigstahl schützen kann und wieviel Stahl in Deutschland produziert werden muss, um in Krisenzeiten möglichst unabhängig von den internationalen Märkten zu bleiben.
Die Rohstahlproduktion in Deutschland hat sich in diesem Jahr zwar wieder leicht erholt, aber von einem sehr niedrigen Ausgangsniveau. Die Wirtschaftsvereinigung Stahl vermeldet bis Juli 2024 einen Anstieg um 4,7 Prozent. 2023 erzeugten die Betriebe in Deutschland 35,4 Millionen Tonnen. Elf Jahre zuvor waren es noch 44,3 Millionen Tonnen.
Die schwache Konjunktur macht nicht nur Thyssenkrupp in Duisburg zu schaffen, sie trifft die gesamte Branche, in der 80.000 Beschäftigte tätig sind. Auch Vorzeigekonzerne wie die Salzgitter AG müssen sparen.
Aber bleiben wir in Duisburg, wo die Chaostage wegen des Stahlgipfels wohl nur eine kurze Unterbrechung erfahren haben. Einen neues Vorstandsteam für die Stahlsparte gibt es immer noch nicht.
Größte Einzelförderung der deutschen Geschichte
Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Vor nicht einmal einem Jahr, im Oktober 2023, feierte Thyssenkrupp Steel zusammen mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und seiner NRW-Amtskollegin Neubaur auf dem Baufeld bei Thyssenkrupp Steel im Walsumer Südhafen den Förderbescheid von zwei Milliarden Euro, die größte Einzelförderung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, und gab damit den Startschuss für ein Projekt, mit dem Thyssenkrupp Steel den Einstieg in die klimaneutrale Stahlproduktion schaffen will. 700 Millionen Euro trägt das Land NRW dazu bei.
Der Konzern, so Ex-Stahlchef Osburg damals, werde nach eigenen Angaben auch eine Milliarde Euro investieren. Viel Geld, das auch in eine Direktreduktionsanlage zur Produktion von grünem Wasserstoff fließen soll.
Das alles steht aus Sicht der Verantwortlichen bei Thyssenkrupp Steel, wo nicht einmal klar ist, wer dort derzeit das Sagen hat, offensichtlich auf der Kippe. Wenige Tage vor dem Stahlgipfel sät Siegfried Russwurm, Chef des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) und Aufsichtsratsvorsitzender bei Thyssenkrupp, Zweifel, ob die grüne Transformation überhaupt noch Sinn mache.
Mona Neubaur hat darauf in der Mercatorhalle eine klare Antwort. „Bis zu zwei Milliarden Euro Förderung sind kein Blankoscheck. Das ist die Verpflichtung zu einer gemeinsamen Verantwortung.“ Politik und Unternehmen müssten gemeinsam zeigen, „dass es gelingen kann, über Klimaneutralität neue Wertschöpfung für Deutschland in Europa zu heben. Dafür brauchen wir die strukturell besten Bedingungen für eine hochmoderne Industrie.“ Die Bundesrepublik müsse den Anspruch, bei einer auf grünem Wasserstoff basierenden Grundstoffindustrie eine Vorreiterrolle einzunehmen. „Das gilt auch für die Chemieindustrie.“
Dabei sei die Frage der Energiepreise von entscheidender Bedeutung. „Wir brauchen die Unterstützung der Bundesregierung dafür, dass Netzentgelte und Strompreise für die energieintensive Industrie bezahlbar bleiben.“ Darin besteht Einigkeit mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), doch in der Berliner Ampelkoalition konnte er sich mit der Forderung nicht durchsetzen.
Grüner Wasserstoff braucht Infrastruktur
Dass jetzt ausgerechnet der Aufsichtsratsvorsitzende von Thyssenkrupp den Weg zu einer grünen Stahlproduktion in Deutschland bezweifelt, dürfte Habecks Position nicht stärken.
„Wenn wir auf die Entwicklung der Stahlindustrie in Europa schauen, wissen wir, dass 2040 oder 2050 mit Stahl aus klassischer Hochofenproduktion in Europa kein Geld mehr verdient werden kann“, sagt der Bundeswirtschaftsminister. Grüner Stahl müsse auch in Europa produziert werden. Wenn Europa sich nur noch auf Importe verlasse, „werden wir in zentralen Bereichen von Daseinsvorsorge, Sicherheit und Infrastruktur abhängig von ausländischen Importen. Das darf nicht sein. Das Bekenntnis zum Stahlstandort Deutschland ist ein Bekenntnis zur Widerstandsfähigkeit Europas.“
Habeck schlägt vor, bei der Stahlnachfrage der öffentlichen Hand von der Bahn über den Hoch- und den Brückenbau bis zur Bundeswehr über das Vergaberecht den Standort Deutschland zu stärken. Die Investitionen in die grüne Stahllinie müssten mit einer sicheren Abnahme gekoppelt werden. Beim Ausbau der Infrastruktur von Strom- und Wasserstoffnetzen, von Bahntrassen und Straßen müsse man die Kosten „zumindest um den Preisanstieg bremsen“. Das Vergaberecht müsse so geändert werden, dass bei kritischen Produkten Quoten für Stahl „made in Europe“ und „in Germany“ eingeführt werden können.
Auch deshalb wird der grüne Bundestagsabgeordnete Felix Banaszak wird mit einer Kritik an BDI-Chef Russwurm deutlicher, als es Habeck und Stahlgipfel-Gastgeberin Neubaur sein kann: „Das grenzt an Wahnsinn. Stahltransformation und Wasserstoffhochlauf stehen in gegenseitiger Abhängigkeit: Thyssenkrupp, Salzgitter & Co brauchen den grünen Wasserstoff. Aber umgekehrt wird niemand ausreichend Elektrolyseure oder Infrastruktur bauen, wenn die Stahlindustrie als Ankerabnehmer ausfällt. Mit seinen Äußerungen gefährdet der Chef-Industrievertreter auch viele anderen Branchen, die zukünftig auf Wasserstoff angewiesen sind. Herr Russwurm sollte dringend klarmachen, dass er da missverstanden worden ist - und zu seinem Wort und seiner Verantwortung steht.“
Der Staat schießt nicht bloß Steuergelder in die Transformation beim Branchenprimus Thyssenkrupp zu. Weitere Gelder fließen an die Salzgitter AG (eine Milliarde), die Stahl-Holding-Saar (2,6 Milliarden) und Arcelor Mittal (1,3 Milliarden).
Investitionen, die aus Sicht der Teilnehmer des nationalen Stahlgipfels mit Blick auf „andere Regionen der Erde“ außer Frage stehen, sagt Neubaur. „Wir wollen auf das Spielfeld, wir wollen Spielmacher sein und zeigen, dass die Transformation gelingen kann. Wir wollen nicht am Rand sitzen und zuschauen, was die anderen tun.“