Die Kita bleibt dicht, der Hausmüll bleibt liegen: Verdi erhöht mit Streiks den Druck. Hintergründe und eine Einordnung zum Arbeitskampf.
KVB, AWB und Co.Droht jetzt der größte Streik seit Jahrzehnten?
Seit vielen Tagen streiken die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst, und das gleich in sechs Bundesländern. Gleich drei Tage am Stück wollen zum Beispiel die Tarifbeschäftigten der Kölner Abfallwirtschaftsbetriebe (AWB) diese Woche streiken. In einer Pressemitteilung von Montagmorgen kündigt die Gewerkschaft Verdi an, dass die AWB-Beschäftigten von Donnerstag bis einschließlich Samstag ihre Arbeit niederlegen werden.
Bereits in der vergangenen Woche streikte die KVB, und auch viele Kindergärten waren zu. Eltern, Bahnfahrer und andere Kölner reagieren teils gelassen, zunehmend aber verärgert über die Ausstände. Insgesamt geht es um mehr als 2,5 Millionen Beschäftigte, 2,4 Millionen bei den Kommunen, 150.000 beim Bund.
Ein Überblick über Streiks im Öffentlichen Dienst und die Frage, ob nun ein noch größerer Arbeitskampf droht.
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Was fordert Verdi?
Die Forderungen der Dienstleistungsgewerkschaft sind beachtlich. 10,5 Prozent mehr Geld für alle lautet die zentrale Forderung, mindestens aber 500 Euro im Monat. Azubis, Studenten und Praktikanten sollen 200 Euro mehr bekommen. Als Laufzeit sind zwölf Monate vorgesehen.
„Die Sicherung der Einkommen durch einen Inflationsausgleich, insbesondere für die Beschäftigten mit mittleren und eher niedrigen Einkommen, steht für uns im Zentrum der Tarifrunde“, sagt Verdi-Vorsitzender Frank Werneke.
Was bieten die Arbeitgeber?
Überraschend früh hat die Arbeitgeberseite am 23. Februar, also in einer sehr frühen Verhandlungsrunde, ein erstes Angebot vorgelegt. Es umfasse eine lineare Erhöhung der Löhne um drei Prozent in diesem und von weiteren zwei Prozent im kommenden Jahr. Außerdem soll es steuer- und abgabenfreie Einmalzahlungen in Höhe von 2500 Euro geben – verteilt über zwei Jahre. „Dieses Angebot ist Ausdruck des Respekts“, sagte Faeser.
Laut Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände bewege man sich mit dem Angebot bereits an der „Grenze des Machbaren“. Es ergebe sich allein aus dem Inflationsausgleichsgeld und der Entgelterhöhung beispielsweise für einen Müllwerker ein Plus von etwas mehr als zwölf Prozent, sagte der Vorstandsvorsitzende Wolf-Rüdiger Michel. Die Gewerkschaften lehnten das Angebot umgehend ab.
Wer darf in Deutschland streiken?
In Deutschland dürfen nur Arbeitskämpfe von den Tarifparteien geführt werden, das heißt einerseits Arbeitgebern und ihren Verbänden, andererseits Gewerkschaften. Wegen der Teilnahme an einem von der Gewerkschaft ausgerufenen Streik darf der Arbeitgeber seinem Beschäftigten nicht kündigen. Gleichzeitig muss er aber auch keinen Lohn zahlen. Arbeitnehmer, die in der Gewerkschaft organisiert sind, erhalten daher als Ausgleich Geld aus der Streikkasse der Gewerkschaft.
Auch streikende Nichtmitglieder dürfen wegen der Teilnahme am Arbeitskampf nicht gekündigt werden. Sogenannte wilde Streiks aber werden grundsätzlich anders behandelt. Wenn also nur die Beschäftigten eines einzelnen Betriebes oder der Betriebsrat zum Streik aufruft, dann ist das rechtswidrig und kann zur fristlosen Kündigung des Streikenden führen. Seite den späten 1960er Jahren hat es in Deutschland aber keine größeren „wilden Streiks“ mehr gegeben.
Was ist mit politischen Streiks?
Politische Streiks sind in der Bundesrepublik Deutschland anders als in anderen europäischen Ländern verboten. Allerdings nur ein bisschen, könnte man sagen. Denn verfassungswidrig sind sie nicht. Das „Verbot“ wird aus einem Urteil von 1952 abgeleitet.
Aber als die Regierung Kohl 1996 die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall kürzen wollte, gab es „Proteste während der Arbeitszeit“, ebenso gegen die Rente ab 67 im Jahr 2007. Rechtliche Folgen hatten diese Streiks nicht. Und die Aktionen von Fridays for Future, auch am vorigen Freitag gemeinsam mit Verdi, werden von den Teilnehmenden ja als „Klimastreik“ bezeichnet.
Wann waren zuletzt große Streiks?
Auch wenn gefühlt dauernd jemand im Öffentlichen Dienst streikt, liegen die großen flächendeckenden Streiks lange zurück. 1974 war der erste große Arbeitskonflikt im Öffentlichen Dienst. Es ging um elf Prozent mehr Lohn, der Streik dauerte drei volle Tage. 1992 wurde elf Tage gestreikt, was ein großes Loch in die Streikkasse riss. Der letzte große Streik war 2006, dort ging es weniger um Geld als vielmehr um die Abwendung längerer Wochenarbeitszeiten.
Wie ändern sich die Streiks?
Lange, flächendeckende Streiks belasten stark die Streikkassen der Gewerkschaften, die ihre Mitglieder ja für den entfallenen Lohn entschädigen müssen. Daher sind Streiks heute eher nadelstichartig. In jeder Region ein bisschen und gut verteilt über alle vertretenen Branchen: Kitas, Bahnen, Müllabfuhr. „Verdi versucht, möglichst viele Berufsgruppen mal in den Streik einzubinden und nutzt diesen so zunehmend zur Mitgliedergewinnung“, sagt Hagen Lesch, Leiter Tarifpolitik beim arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft.
Außerdem werden heute die empfindlichen Bereiche stärker bestreikt, anstatt in der Fläche alles lahmzulegen. Auch das hat aus Gewerkschaftssicht Kosten- und Mobilisierungsgründe. Bislang hat Verdi auch nur zu Warnstreiks aufgerufen, und nicht zur Urabstimmung über einen Streik. Allerdings merkt Lesch an, dass Warnstreiks vor einigen Jahren nur Arbeitsniederlegungen von wenigen Stunden waren, heute aber über Tage gingen. „Der Übergang vom Warnstreik zum Streik ist fließend geworden“, so Lesch.
Stehen wir vor einem großen Streik?
„Ausschließen lässt sich das nicht“, sagt IW-Experte Lesch. Allerdings liege die letzte Urabstimmung im Öffentlichen Dienst 23 Jahre zurück. Bevor es aber zum Streik kam, einigten sich die Parteien in letzter Minute. Was das Arbeitskampfrisiko erhöhe seien die „exorbitant hohen Forderungen“, so Lesch.