Der Flugplatz Merzbrück in Würselen bei Aachen soll zum Forschungszentrum für klimaneutrale Luftfahrt werden.
Millionen für neue ForschungsfabrikElektroflieger aus dem Rheinischen Revier
So also sieht der Ort aus, an dem die Luftfahrt revolutioniert werden soll. Hinter dem Mini-Tower lagern ein paar ausgediente Windradflügel, um die Ecke liegt das Vereinsheim der Aachener Flipperfreunde, im Warteraum kämpft der Getränkeautomat gegen die Spätsommerhitze an.
Ein paar Meter neben dem Tower des Flugplatzes Merzbrück parken drei unscheinbare Kleinflugzeuge, von denen Peter Müller aus der Luftverkehrsabteilung des NRW-Verkehrsministeriums sagt, sie seien die Speerspitze des Elektro-Fliegens in Deutschland. Zwei gehören der Fachhochschule Aachen, das dritte einer Essener Flugschule zur Pilotenausbildung.
Müller muss es wissen. Der Fluglehrer hat am Donnerstagmorgen eine der Maschinen von Essen nach Merzbrück geflogen, mit einer Zwischenlandung in Mönchengladbach, wo sie über Nacht noch einmal aufgeladen werden musste.
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Neuer Aeropark entsteht in drei Etappen
Jetzt wartet er mit etlichen Vertretern aus Wissenschaft und Forschung in der Mittagshitze auf NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur. Mit der Grünen-Politikerin an Bord des Zweisitzers wird Müller zu einem kurzen Rundflug übers Rheinische Revier und Aachen aufbrechen.
Dafür seien die drei Maschinen eigentlich gar nicht gedacht, sagt Müller. Sie dienten einzig und allein dem Zweck, an einem Flugplatz das Starten und Landen mit Elektroantrieb zu üben, um Piloten mit diesen neuen Fluggeräten vertraut zu machen. Flugplatz-Hopping sei nicht ihre Stärke, schließlich handele es sich nur um herkömmliche Verbrenner-Maschinen, die auf Batteriebetrieb umgerüstet wurden.
Müller selbst verfügt über 50 Stunden Elektroflug-Erfahrung. Damit zählt er schon zu den alten Hasen.
Nun ist die Wirtschaftsministerin nicht mal eben nach Merzbrück gekommen, um sich einen Kindheitstraum zu erfüllen. Sie habe eigentlich Pilotin werden wollen, „aber mein Augenlicht hat das leider nicht zugelassen“, sagt sie, quetscht sich neben Müller in den acht Meter langen Zweisitzer, um sich mit der Kraft von 22 Kilowattstunden, verteilt auf zwei Akkus, auf den kurzen Rundflug übers Rheinische Revier zu begeben.
In der Tasche hat sie einen Förderbescheid über 8,38 Millionen Euro aus den Strukturstärkungsmitteln des Landes, die den Kohleausstieg abfedern und aus dem Flugplatz Merzbrück einen Forschungsflugplatz machen sollen. Rund um den Platz soll in drei Etappen das „Production Launch Center Aviation“ entstehen, eine Forschungsfabrik, die sich in der ersten Stufe mit der Entwicklung von Bauteilen für Elektroflugzeuge von Batteriegehäusen bis zu Rotorblättern beschäftigt.
Geforscht wird an verschiedenen Antriebssystemen
Man werde, sagt Andre Schievenbusch, geschäftsführender Vorstand des Forschungsinstituts Access, sich auch mit elektrischen und hybridelektrischen Antrieben befassen. Auch die Forschungsthemen Wasserstoff und Brennstoffzellen seien Teil des Projekts des Aeroparks 1. „Wir haben in der Region mit der Fachhochschule und der RWTH Aachen, dem Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und unserer eigenen Einrichtung eine gesamte Wissenschaftslandschaft zur Verfügung“, sagt Schievenbusch, während die Ministerin nach der bangen Rückfrage an den Piloten, ob er die Batterien auch vollgeladen habe, in die Luft geht. Die mehr als acht Millionen Euro seien nur der Anfang. „Das ist nur einer von mehreren Förderbescheiden, die wir im Herbst erwarten.“
Dem Aeropark 1 solle möglichst schnell ein zweiter zum Bau von Prototypen bis zur Serienreife folgen, die idealerweise im Aeropark 3 in naher Zukunft dann von Unternehmen in einem Industriepark gefertigt werden können, erklärt Schievenbusch. „Am Ende sollen hier in der Region neue und zukunftsfähige Arbeitsplätze entstehen. Das ist unser Ziel und keine Vision mehr. Wir arbeiten längst mit der Luftfahrindustrie zusammen. Es geht um neue Antriebe, neue Konzepte für die klimaneutrale Luftfahrt.“
Und das mitten in der Provinz. Dabei hatte das Land schon ganz andere Pläne. Auf den Tag genau vor drei Jahren empfing der damalige NRW-Verkehrsminister und heutige Ministerpräsident Hendrik Wüst im Düsseldorfer Stadttor die Geschäftsführung des Start-up-Unternehmens Lilium aus dem bayrischen Weßling, deren Botschaft so verlockend klang.
Am liebsten schon ab 2025 werde man von den NRW-Flughäfen mit dem fünfsitzigen Lilium-Jet voll elektrisch nach einem vertikalen Start zum Taxipreis durchs bevölkerungsreichste Bundesland fliegen, so der damalige Betriebsleiter Remo Gerber mitten in der Corona-Pandemie im Beisein der Flughafenchefs von Düsseldorf und Köln/Bonn.
„Die waren zu ambitioniert“, sagt Peter Müller, nachdem er die Wirtschaftsministerin nach einer sanften Landung auf den Boden von Merzbrück zurückgeholt hat. „Andere Unternehmen wie Holocopter in Baden-Württemberg haben zunächst ein Fluggerät zu Testzwecken entwickelt. Klappt die Flugsicherung, können wir überhaupt von großen Verkehrsflughäfen wegfliegen, die Passagiere ein paar Kilometer weiter absetzen und wieder zurückfliegen? Das sind die Herausforderungen.“ Ob Lilium mit 800 Mitarbeitenden trotz der Verluste noch den Durchbruch schaffe, sei die große Frage. „Wenn ihnen das gelingt, werden sie ganz vorne liegen.“
Falls nicht, gibt es ja immer noch den Forschungsflugplatz Merzbrück in Würselen bei Aachen, von dem Mona Neubaur sagt, dass er dazu beitragen könne „die Luftfahrt von morgen klimaneutral zu gestalten“.