Seit November liegt das Förderprogramm für den Strukturwandel im Rheinischen Revier auf Eis.
11,8 von 14,8 Milliarden Euro verplantNRW überprüft alle Förderprojekte fürs Braunkohlerevier
Feierlich soll es werden. Am 30. Mai werden die Landesregierung, die Kommunen und alle am Strukturwandel beteiligten Institutionen im Rheinischen Revier in Mönchengladbach den Reviervertrag 2.0 unterzeichnen. Und sich damit darauf einschwören, bis 2030 den vorgezogenen Kohleausstieg, die Transformation des Reviers zur ersten klimaneutralen Region Europas „in einem klar organisierten und vor allem gemeinschaftlichen Vorgehen“ anzupacken.
Das haben sie im April 2021 zwar schon einmal getan, doch damals ging es noch um das Kohle-Aus im Jahr 2038, der Ausstiegspfad erschien weniger beschwerlich. Was seither geschah, stimmt wenig optimistisch. Die Kommunen fühlen sich übergangen, protestieren gegen die ihrer Auffassung nach einseitigen Vergaben der milliardenschweren Fördermittel.
Alle Förderprojekte kommen noch einmal auf den Prüfstand
Im November 2022 stoppt die schwarz-grüne Landesregierung alle Förderprojekte des Programms „Revier gestalten“ und kündigt einen Kassensturz an. Das Ergebnis: Von den 14,8 Milliarden Euro, die Nordrhein-Westfalen an Strukturhilfen für die Transformation des Rheinischen Reviers zu einer klimaneutralen Industrieregion zur Verfügung stehen, sind 11,8 Milliarden längst verplant, teilt das von der Grünen-Politikerin Mona Neubaur geführte Wirtschaftsministerium auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ mit. Dafür sei die schwarz-gelbe Vorgängerregierung verantwortlich.
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Aus diesen Mitteln seien bisher 139 Projekte mit einem Wert von 1,38 Milliarden Euro bewilligt worden. Seit dem Regierungswechsel in NRW seien lediglich Vorhaben „mit einem Volumen von insgesamt rund 200 Millionen Euro bewilligt worden“.
Doch wohin ist das Geld geflossen? Und was kann Mona Neubaur von den Mittelzusagen ihres Amtsvorgängers Andreas Pinkwart (FDP) noch zurückholen? Wieviel finanzieller Spielraum könnten sich daraus ergeben?
Genaue Zahlen liegen bisher nicht vor. Die Landesregierung bereite „aktuell eine Inventur der bereits ausgewählten Projekte vor“, so das Wirtschaftsministerium. Nach der Sommerpause soll feststehen, von welchen man sich verabschieden muss.
Innovativer Radnabenmotor könnte in Düren entwickelt werden
„Wir haben weder bei der Landes- noch bei der Bundesregierung das Gefühl, dass es nach der Entscheidung, den Kohleausstieg auf 2030 vorzuziehen, zu einer Beschleunigung des Strukturwandels gekommen ist“, kritisiert Manfred Maresch, Revierwende-Büroleiter des DGB in Bedburg. Es gehe nicht allein um die 7500 Arbeitsplätze in der Braunkohle, sondern darum, die bestehenden Unternehmen in der Region auf dem Weg der Dekarbonisierung und Digitalisierung zu begleiten. Um Jobs zu retten und neue zu schaffen.
Ein Beispiel ist der Automobilzulieferer Neapco in Düren mit 700 Jobs, in dessen Werk der Streetscooter und wohl auch dessen Nachfolger gebaut wird. Das würde weitere 300 Arbeitsplätze schaffen. Zusätzliche 200 neue Jobs hängen an der Frage, ob ein innovativer Radnabenmotor ebenfalls aus Düren kommen wird. „Von den 14,8 Milliarden Euro wird kein einziger Cent nach Düren fließen, weil das beihilferechtlich nach EU-Recht gar nicht möglich ist“, sagt Maresch. „Wir müssen endlich daran arbeiten, dass solche Unternehmen diese Transformation auch überleben. Wir haben schon wieder ein Jahr verloren. Wir müssen dringend einen Transformationsfonds schaffen. Da ist die Landesregierung völlig blank.“
Glashütte hofft auf Hilfe bei Umstellung auf grünen Wasserstoff
Noch dramatischer sei die Lage bei den energieintensiven Industrien. Beim Glas-Hersteller Saint Gobain, der in Herzogenrath die modernste Autoglasproduktion Europas aufgebaut hat, werde das Forschungsprojekt zur Umstellung der Produktion von Gas auf grünen Wasserstoff als Modellprojekt wahrscheinlich gefördert. „Wenn es aber darum geht, einen Windpark zu bauen, damit sie den grünen Wasserstoff auch herstellen können, fliegen sie aus der Förderung.“ Die Entscheidung, wie die neue Glasfaser produziert werden soll, müsse aber 2025 getroffen werden. „Mit fossilen Energieträgern bestimmt nicht. Im Zweifel machen die ihre Hütte zu“, so Maresch.
Wirtschaftsministerium will auf Wettbewerbsverfahren verzichten
Der Revierwende-Beauftragte des DGB steht mit seiner Kritik nicht allein. Auch Frank Rock, CDU-Landrat des Rhein-Erft-Kreises und Vorsitzender der Gesellschafterversammlung der Zukunftsagentur Rheinisches Revier (ZRR) räumt ein, dass bei der Schaffung neuer Arbeitsplätze und Wertschöpfungsketten „bisher viel versprochen wird, aber leider zu wenig passiert“.
Das Wirtschaftsministerium verspricht Besserung. Man werde sicherstellen, dass die zukünftigen Förderaufrufe auf die Bedarfe der Region zugeschnitten sind. „Wir beschleunigen und vereinfachen“, heißt es. In Zukunft soll es keine Wettbewerbsverfahren mehr geben. Gemeinsam mit der ZRR und den Interessenverbänden im Umfeld des Tagebaus will die Landesregierung noch vor der Sommerpause drei Werkstätten organisieren, um gemeinsam förderungswürdige Projekte zu suchen.
70 Millionen Euro für Wildwasserpark, Hockeystadion und neue Reitanlage
Zweifel an der Zielgenauigkeit können hingegen beim Blick in die Projektliste schon aufkommen. Der Aufsichtsrat des ZRR hat im März entschieden, 70 Millionen Euro für den Bau eines Wildwasserparks in Dormagen, die Modernisierung des größten Hockeystadions Europas im Nordpark und die Entwicklung des Aachener Sportparks in der Soers „zu einem Leuchtturm des modernen Sports im Rheinischen Revier“ freizugeben. Einschließlich einer für Bundesliga-Volleyball tauglichen Multifunktionshalle und einer neuen Reitsporthalle mit angrenzendem Turnierplatz. Alle Anlagen sollen „im Rahmen eines smarten Konzepts für die Gesellschaft geöffnet werden“. Weitere 40 Millionen sollen in die Sportstättenförderung der Nachbarkommunen fließen.
„Das“, kritisiert Maresch, „hat mit der Schaffung von Arbeitsplätzen und Wertschöpfung gar nichts zu tun. Genau dafür sind die Strukturmittel aber erstritten worden. Und nicht um hübsche Projekte zu finanzieren, die Sache der Kommunen, des Landes und des Bundes sind und noch nicht einmal dem Breitensport dienen.“