AboAbonnieren

StudieKlimaneutrale Chemie bis 2024 möglich

Lesezeit 4 Minuten
Luftbildaufnahme Evonik-Standort Wesseling

Luftbildaufnahme Evonik-Standort Wesseling

Die Chemie-Industrie des Rheinlands möchte klimaneutral werden. Dafür fordert sie aber politische Unterstützung und deutlich mehr Toleranz der Bevölkerung beim Infrastrukturausbau.

Die NRW-Industrie steckt aktuell in einer strukturellen Krise. Viele Firmen wie Ford oder Thyssenkrupp müssen aktuell sogar Stellen abbauen. Dennoch steht sie vor der Herausforderung, sich gegen den Klimawandel zu stemmen und gleichzeitig wettbewerbsfähig zu bleiben.

Die chemische Industrie im Rheinland hat nach eigenen Angaben das Potenzial, bis 2045 vollständig treibhausgasneutral zu werden. Dazu bedürfe es einer Kombination aus Erneuerbaren Energien, alternativen Ressourcen und einer optimierten Infrastruktur für die Chemieregion. Das zeigt eine neue Studie der Brancheninitiative Chem-Cologne, die dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegt. Die Studie beleuchtet verschiedene Szenarien und Technologien für eine Transformation beleuchtet, die zu einer klimaneutral produzierenden Chemie-Industrie im Rheinland führt.

Rheinische Chemie im Fokus

In der Studie des Analyseinstituts „Carbon Minds“ wurden fünf Szenarien untersucht, mit denen die Treibhausgasneutralität in der Chemieregion Rheinland bis zum Jahr 2045 erreicht werden kann. Je nach Szenario ergeben sich demnach für die chemische Industrie im Rheinland bis 2045 Betriebskosten (laufende Kosten wie Löhne, Vorleistungen, Abgaben) von insgesamt neun bis 21 Milliarden Euro pro Jahr und Investitionskosten (Bau von Produktions-, Entsorgungs- und Recyclinganlagen sowie Werksinfrastruktur) von 22 bis 39 Milliarden Euro.

Alles zum Thema Mona Neubaur

„Damit die daraus resultierenden Kosten für die Transformation auch in Zukunft in einem wettbewerbsfähigen Rahmen bleiben, benötigen die Unternehmen eine ausreichende Verfügbarkeit von Technologien und Ressourcen, um handlungsfähig zu sein“, heißt es von den Studienautoren. Darüber hinaus sei es wichtig, dass „die Verbraucher den Wert einer treibhausgasneutralen Produktion erkennen und die Politik faire Wettbewerbsbedingungen im globalen Umfeld ermöglicht“.

Die Wettbewerbsfähigkeit darf bei der Transformation nicht leiden
Christoph Kappenhaben, Vorstandsvorsitzender Initiative Chem-Cologne

„Die Unternehmen der Chemieregion Rheinland gehen den Weg zur Klimaneutralität 2045 konsequent weiter. Denn beispielsweise der Ausbau der Kreislaufwirtschaft bietet langfristig große Chancen, hier wollen wir Innovationsführer bleiben“, sagt Christoph Kappenhagen, Vorstandsvorsitzender von Chem-Cologne. Er ist hauptberuflich Geschäftsführer von Yncoris. Das Unternehmen hieß früher Infraserv und betreibt unter anderem den Chemiepark Knapsack in Hürth und hat fast 1200 Mitarbeiter.

Angesichts der Herausforderungen, die die Studie für die Zukunft skizziere, werde dies aber nur gelingen, wenn die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen heute nicht darunter leide. „Deshalb appelliere ich an die Politik: Unterstützen Sie die Unternehmen der chemischen Industrie auf dem Weg zur Klimaneutralität und schaffen Sie schnellstmöglich bessere industriepolitische Rahmenbedingungen wie niedrigere Energiekosten, weniger Bürokratie und stärkere Investitionsanreize. Denn wir wollen den Weg weitergehen, stehen aktuell aber vor großen Herausforderungen“, so Kappenhagen.

Durch Recycling können laut der Studie in der Region jährlich 2,2 bis 3,5 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente eingespart und die Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen reduziert werden. Weitere Ergebnisse: Auf dem Weg zur Treibhausgasneutralität benötigt die chemische Industrie im Rheinland jährlich bis zu 35 Terawattstunden klimaneutralen Strom und bis zu 77 Terawattstunden Wasserstoff.

Wir setzen uns entschlossen für den zügigen Ausbau der Erneuerbaren ein

Hinzu kommen biogene Rohstoffe, Wertstoffkreisläufe und ein umfassender Ausbau der Energie- und CO2-Netze. Unter biogen versteht man in der Chemie Stoffe, die nicht durch chemische Syntheseverfahren hergestellt wurden. Die bestehenden Verbundstandorte in der Region ermöglichen laut Studie zudem durch Energierückgewinnung und Wärmeintegration erhebliche Einsparungen beim Energiebedarf - bis zu 45 Prozent bis 2045. Zusätzliche Technologien wie industrielle Wärmepumpen und Elektrifizierung böten weitere Einsparpotenziale von bis zu 29 Prozent, heißt es weiter.

„Die Chemieindustrie im Rheinland zeigt mit der Studie von Chem-Cologne deutlich, dass Klimaschutz und Wettbewerbsfähigkeit Hand in Hand gehen können“, sagt Mona Neubaur (Grüne), Wirtschaftsministerin von NRW. Die Studie wird ihr am Freitag im Ministerium in Düsseldorf überreicht. „Unsere Studie zeigt: Die Chemieindustrie im Rheinland kann ein Motor für Klimaschutz und Wohlstand sein - wenn Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zusammenarbeiten“, ergänzt Arndt Selbach, Leiter des Wesselinger Chemieparks von Evonik.

„Als Landesregierung setzen wir uns entschlossen für den zügigen Ausbau der Erneuerbaren Energien, eine leistungsfähige Wasserstoffinfrastruktur und den Ausbau der Kreislaufwirtschaft ein“, so Neubaur weiter. Die rund 260 Unternehmen der chemischen Industrie im Rheinland haben rund 70.000 Beschäftigte, die mehr als ein Fünftel des Gesamtumsatzes der deutschen chemischen Industrie erwirtschaften.