Marie-Christine Ostermann, Präsidentin des Verbands „Die Familienunternehmer“, reagiert den KStA-Gastbeitrag von Hendrik Wüst.
Gastbeitrag Marie-Christine OstermannHendrik Wüst lässt den Mittelstand in der Juli-Sonne verdorren
Vor wenigen Tagen hat NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) auf ksta.de für einen Industriestrompreis getrommelt und den Vorstoß von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hierzu gelobt. Von einem Politiker, der der Partei Ludwig Erhards angehört und die soziale Marktwirtschaft betont, hätten wir Familienunternehmer keinesfalls eine solche staatsinterventionistische Idee erwartet.
Der Industriestrompreis ist ein gravierender Eingriff in den Markt. Preisfestlegungen sind Mittel von Planwirtschaften und nur in existenziellen Krisen wie etwa der Gaskrise zu akzeptieren. Wüsts und Habecks Absicht, angeblich nur kurzfristig staatlich die Preise zu senken, wird nicht aufgehen: Beim jetzigen Tempo wird das Stromangebot nicht schnell genug ausgeweitet, um in wenigen Jahren billigeren Strom zu haben.
Strom in Deutschland: 40.000 produzierende Unternehmen mit teilweise schlechteren Bedingungen
Die riesigen Subventionen für einen Industriestrompreis wären immens teuer und kämen nur weniger als 2000 Unternehmen zu Gute. Es gibt aber rund 40.000 produzierende Unternehmen in Deutschland. Sie leiden unter den immer schlechteren Standortbedingungen. Sollen wirklich sie und ihre Arbeitnehmer über ihre Steuern den wenigen Begünstigten den Wettbewerbsvorteil finanzieren?
Alles zum Thema Hendrik Wüst
- Protest gegen „Kahlschlag“ Bringt Wüst den sozialen Frieden in NRW in Gefahr? Großdemo geplant
- „Es ist nicht jeden Tag alles Bombe“ Wüst übt zur Halbzeitbilanz von Schwarz-Grün Selbstkritik
- Nach Trumps Wahlsieg Wüst setzt in NRW weiter auf Schulterschluss mit transatlantischen Partnern
- Trump oder Harris Was die NRW-Wirtschaft durch die Wahl in den USA zu verlieren hat
- Terroranschlag, Verkehrswende und Strukturwandel Halbzeitbilanz von Schwarz-Grün – wie schlagen sich die Minister im Amt?
- Umbau von ARD und ZDF Schrumpfkur für Öffentlich-Rechtliche – Diese TV-Sender sind gefährdet
- „Kunst als verbindendes Element“ „Glow Up“-Konzert engagiert sich für Demokratie und Multikulturalität
Mit dem Industriestrompreis wird großen Stromkunden der Preis garantiert. Über die Beschaffung müssen sie sich keine Gedanken mehr machen, wodurch kein zusätzlicher Schub für den Ausbau der erneuerbaren Energien ausgelöst wird. Stattdessen könnte beispielsweise das marktwirtschaftliche Instrument der Power Purchase Agreements (PPAs) vorangetrieben werden, bei dem Stromkunden direkte Verträge mit den Produzenten von Erneuerbaren aushandeln.
Der Ausbau der Erneuerbaren wäre damit nicht mehr auf die EEG-Subvention angewiesen. Würde die Regierung alle zusätzlichen Steuern auf Strom streichen, wäre dies ein wichtiges Signal, dass der Umstieg in das elektrotechnische Zeitalter beschleunigt werden soll, statt dass der Staat sich ausgerechnet mit Steuern auf grünen Strom auch noch die Taschen vollmacht.
Das alleine reicht natürlich nicht, damit unser Strompreis mit dem anderer Industrieländer vergleichbar wird. Müsste er aber auch nicht, wenn endlich die anderen immensen Kostenblöcke für Unternehmen reduziert würden: Es braucht nach 20 Jahren immer nur steigender Steuern endlich eine große Unternehmenssteuerreform. Bei den galoppierenden Sozialversicherungsbeiträgen muss es zu einer Umkehr kommen, und statt abstruser Bürokratie brauchen wir auch hier schleunigst Entlastung.
Was Ministerpräsident Wüst bei der unüberlegten Übernahme der Forderung Habecks nach einem Industriestrompreis übersieht: Er subventioniert zwar die Grundstoffindustrie. Die noch wichtigere Wertschöpfungsstufe der weiterverarbeitenden Betriebe aber wird wegen der miserablen Standortbedingungen außerhalb Deutschlands investieren müssen oder sogar ganz abwandern. Auch der Mittelstand steht im knallharten Wettbewerb. Aber den lässt Wüst in der Juli-Sonne verdorren.
Wer auch den Mittelstand blühen sehen will, muss die strukturellen Probleme anpacken und lösen – weit über die Energiepolitik hinaus. Einen Subventionswettlauf mit den USA und China werden wir wohl oder übel verlieren. Wir können nur durch Innovationen vorn bleiben. Diese werden nicht durch die Subvention mit einem Industriestrompreis herausgekitzelt, sondern durch ein Umschalten unserer gesamten Wirtschaftspolitik auf Angebotspolitik. Mit dem Industriestrompreis fährt Wüst auf dem planwirtschaftlichen Gleis – es ist das Abstellgleis!
Marie-Christine Ostermann
Die Autorin ist seit April Präsidentin des Verbands „Die Familienunternehmer“. Ostermann ist Geschäftsführerin des Lebensmittelgroßhändlers Rullko. (jf)