In unserer Nachruf-Reihe erinnern wir an besondere Menschen.
Die Sängerin Eva Tamassy gehörte viele Jahre zum Ensemble der Kölner Oper.
Sie war auf laszive Rollen wie die „Carmen“ spezialiert. Doch Freunde schätzten vor allem ihre Hilfsbereitschaft.
Köln – Eva Tamassy war eine Gestalt von auffallender Schönheit, eine Erscheinung wie aus einem Hollywoodfilm, die in einem unscheinbaren Mehrfamilienhaus in Bayenthal wohnte und sich aus Vergleichen und Überhöhungen nichts machte. Eitel und uneitel zugleich, ärgerte sie sich über scharfzüngige Kritiker, die nur das Haar in der Suppe suchten, und lachte im nächsten Moment darüber – weil ja doch alles und jeder eitel war.
Von 1970 bis 1995 gehörte Eva Tamassy als Mezzosopranistin und Altistin dem Ensemble der Oper Köln an. Oft sang sie die Rollen der lasziven bis mondänen Vollweiber – von Bizets Carmen bis Dalila in Saint-Saëns Oper „Samson et Dalila“ und der Erdgöttin Erda in Wagners „Ring der Nibelungen“. Als „Bundes-Carmen“ und „Sophia Loren der Opern-Bühne“ galt die gebürtige Budapesterin in den Besetzungsbüros der Spielstätten.
Die Blicke zog sie auch auf sich, wenn sie mir ihrer Hündin Trixi mit wallendem Mantel durch die Severinstraße flanierte: Schuhe mit Absätzen trug sie noch im hohen Alter und gegen den Rat von Wohlmeinenden, die toupierten Haare leuchteten zu Bühnenzeiten rot, später weiß.
In den Opernpremieren, zu denen sie als Ehrengast noch zweieinhalb Wochen vor ihrem Tod mit kindlicher Freude ging, fiel ein anderer auf: ein knallbunt gekleideter Herr, so zuverlässig zugegen wie sie, der „wohl das Leben mit der Bühne verwechselt“, wie ihre Nachbarin und Opernfreundin Elfi Frese mutmaßte. „Das mache ich wohl auch manchmal“, versetzte Tamassy mit ihrer warmen Altstimme. „Dabei stimmte das gar nicht“, sagt Elfi Frese. „Eva hat nie jemandem von sich aus erzählt, was sie beruflich gemacht hat. Und hatte auch nie ein Problem damit, nicht mehr auf der Bühne zu stehen. Im Gegenteil: Sie hat den Übergang mit großer Souveränität vollzogen.“
So offen sie sich in ihre Opern-Rollen hineinbegab, so unvoreingenommen versuchte Eva Tamassy, das Leben zu nehmen. „An Kritik oder gar Schmäh beteiligte sie sich nicht, das wäre ihr zu billig gewesen“, erinnert sich Georg Kehren, Chefdramaturg der Oper Köln. „Eva hat immer Würde und Grandezza ausgestrahlt, zu negativen Gefühlen oder Kategorisierungen hätte sie sich nie hinreißen lassen.“
Was die Außenwelt nicht daran hinderte, sie als Femme fatale, Diva oder Verführerin zu kategorisieren. Fluch war das, weil die Männer in den Besetzungsbüros ihr imposantes Äußeres in ihre (niederen) Einstellungsüberlegungen einbezogen, und Segen, weil es die Karriere erleichterte, ihr viele Rollen eintrug, die sie singen wollte.
Intellektuelle Verführerin in jungen Jahren
In jungen Jahren stimmte das Klischee der intellektuellen Verführerin auch außerhalb der Bühne mitunter. Ihr Eros forderte den Exzess geradezu heraus. Später konvertierte Eva Tamassy zum Vegetarismus und zog Hunde mit langem, weichem Fell den widerborstigen Männern vor. Sie engagierte sich für den Schutz von Tieren, ging regelmäßig in die Kirche und sorgte sich um die menschengemachte Zerstörung der Schöpfung, die sie nicht begreifen konnte. Generell schien ihr das, was sie fühlte, verlässlicher zu sein als das, was sie wusste.Nach Köln kam Eva Tamassy im Frühherbst ihrer Karriere.
Nach ihrem Gesangsstudium sang sie schon 1951 an der Budapester Nationaloper eine Herzensbrecherin in Verdis „Rigoletto“, Ende der 50er Jahre reiste sie unter abenteuerlichen Umständen aus Ungarn aus, um zunächst in Wiesbaden, dann in Bern und Mannheim feste Engagements anzunehmen – und regelmäßig an den großen Opernhäusern Europas von Rom bis Wien, Paris bis Lissabon zu gastieren. Champagner und Männer-Chichi inklusive.
Drei gescheiterte Ehen
„Ich habe drei gescheiterte Ehen hinter mir: Was soll ich mich darüber aufregen, was andere Leute machen?!“, soll sie gesagt haben, als sie gefragt wurde, warum sie sich nie kritisch oder gar boshaft über andere äußere. Wenn es unter Freundinnen um Männer ging, machte sie eine wegwerfende Handbewegung und schlug vor, das Thema zu wechseln. „Verheiratet war Eva vor allem mit der Bühne“, sagt Andrea Andonian, Mezzosopranistin, die oft mit ihr auf der Bühne stand. „Und mit ihren Hunden, die sie manchmal auch mit zur Probe brachte.“
Andonian erinnert sich an eine „liebevolle Frau, die an den Geburtstag jedes Ensemblemitglieds gedacht hat“. Als ein junger Mann aus der Dramaturgie an Aids erkrankte, half Tamassy bei der Pflege, kochte und wusch für ihn. Mit einer Frau aus ihrem Haus, die ihre Erinnerungen nicht mehr kontrollieren konnte, traf sie sich beinahe täglich, um mit ihr Französisch zu sprechen – das konnte die Nachbarin nämlich noch vorzüglich.
Odeon-Kino und Café Mauel
Nach ihrer Rente war Eva Tamassy oft in den romanischen Kölner Kirchen, im Odeon-Kino oder mit ihrer Hündin Trixi am Rhein anzutreffen. Schon für den morgendlichen Kaffee zog es sie hinaus ins Café Mauel in der Goltsteinstraße, um ein bisschen zu plaudern. „Sie war das Gegenteil von häuslich“, sagt Elfi Frese, die oft für ihre Nachbarin kochte und die Grande Dame nach einer Überschwemmung in Bademantel und Gummistiefeln auf dem Balkon stehend erlebte. („Ein Bild für die Götter!“)
Ein Foto von sich hätte sie in diesem Moment nicht zugelassen. Schminke, Schuhe und Frisur waren ihr so wichtig wie Selbstironie, Demut und Anteilnahme. Bei den so genannten Suppen-Gesprächen in der Kartäuserkirche gesellte sie sich zu einem Argentinier, der einsam in einer Ecke saß, und redete mit ihm auf Italienisch.
„Eva war ungewöhnlich empathisch“, sagt Sonja Schlegel, die das Programm „Herbstgold“ der Kirche organisiert und Tamassy kennenlernte, als die auf der Straße neben Schlegels Hündin Luna stehen blieb – der ihrer seinerzeit verstorbenen Hündin Trixi ähnlich sah. „Wir haben dann schnell vereinbart, dass sie für Luna eine Tagesmutter sein kann, das hat ihr über den Verlust ihrer Hündin hinweggeholfen“, sagt Schlegel. Immer da war Eva Tamassy auch für ihre depressive Freundin Edith Gabry-Kertész, deren Mann István Chefdirigent der Oper Köln war und bei einem Israel-Gastspiel 1973 auf tragische Weise ertrank. István Kertész hatte Tamassy noch aus Budapester Zeiten gekannt und nach Köln gelotst.
Sie ging nie zu Beerdigungen
Zum eigenen Tod hatte sie ein entspanntes Verhältnis. Sie glaubte an die Kraft des Gebets und das ewige Leben. Ihre Asche sollte ins Meer gestreut werden, von der Seebestattung sollte aber niemand wissen. Der Tod von Anderen viel ihr schwerer. Nie ging sie auf Beerdigungen oder Friedhöfe. Sogar, als ihre beste Freundin Edith starb, blieb Tamassy der Trauerfeier fern. „Das war auch eine Stärke: zu wissen, was zu viel für sie gewesen wäre“, sagt Elfi Frese.
Es ist fast ein bisschen unheimlich, zu hören, was für ein wunderbarer Mensch Eva Tamassy gewesen sein muss. Als „Frau mit christlicher Demut und einer ungeheuren Kraft“, beschreibt sie Georg Kehren. „Sie hatte ein tieferes Sensorium für die Zusammenhänge zwischen Himmel und Erde. Ihre Kraft ist nach ihrem Tod besonders stark spürbar. Nicht nur mich hat sie dauerhaft gestärkt.“