- Christiane Martin tritt als Spitzenkandidatin der Kölner Grünen bei der Kommunalwahl am 13. September an – und hat viele Ziele.
- Eines davon sei es, die CDU von der Verkehrswende zu überzeugen.
- Im Interview spricht die 53-Jährige über eine Stadtbahn auf der Inneren Kanalstraße, fehlende Schulen und die Mentalität der Kölner, die nicht immer hilfreich ist.
Frau Martin, seit 2003 sind Sie Mitglied der Grünen und nun Spitzenkandidatin für die Kommunalwahl. Warum haben Sie sich für diese Partei entscheiden?
Dafür gab es kein Schlüsselerlebnis, wie etwa bei Leuten, die nach Fukushima eingetreten sind. Ich bin politisch sozialisiert aufgewachsen und Umweltthemen waren mir schon immer wichtig. Mein Naturinteresse und die Liebe zur Natur haben immer automatisch zum Klima- und Umweltschutz geführt, daher wäre ich auch nie in eine andere Partei eingetreten.
Haben Sie irgendwann einmal gedacht, dass sich die Grünen dabei nicht in die für Sie richtige Richtung entwickeln?
Es gibt nie eine 100-prozentige Übereinstimmung. Der Trugschluss ist, dass man denkt, als Mitglied einer Partei auch zu 100 Prozent hinter allen Themen stehen zu müssen. Solange es 90 Prozent Übereinstimmung mit der Richtung der Partei gibt, ist das für mich in Ordnung.
Was wollen Sie in Köln verändern?
Wir müssen endlich von einem „wir wollen“ zu einem „wir machen“ kommen. Wir müssen mutiger sein, dürfen nicht so viele Schranken im Kopf haben, müssen Dinge einfach mal diskutieren, und wenn sie gut sind, dann auch machen. Wie beim Pop-up-Biergarten an der Vogelsanger Straße (Hier lesen Sie mehr). Das war ein Meisterstück, eine Kombination aus politischem Willen, schnellem Verwaltungshandeln und Engagement der Bürger. Es ist genial, wenn man es so schafft.
Pop-up-Biergarten kann Köln, Pop-up-Bike-Lanes aber nicht...
Einen Pop-up-Biergarten schlecht zu reden oder nicht zu machen, nur weil wir bisher keine Pop-up-Bike-Lanes hatten, wäre falsch (Hier lesen Sie mehr). Aber ich bin auch ein echter Fan dieser Bike-Lanes und habe mich schon geärgert, dass wir das nicht geschafft haben.
Zur Person
Christiane Martin (53) lebt mit ihrem Ehemann in Ehrenfeld, hat drei erwachsene Töchter und vier Enkelkinder. Als Diplom-Geographin arbeitet sie als Freie Texterin, Redakteurin und Journalistin. Seit 2009 ist sie Fraktionsvorsitzende der Grünen in der Bezirksvertretung Ehrenfeld. (kle)
Woran hat es gelegen?
In Berlin gibt es sehr viele Pop-up-Bike-Lanes und dort war es maßgeblich ein Mitarbeiter der Verwaltung, der das umgesetzt hat. Er hat gesagt, es brauche dafür lediglich politischen Willen und entschlossenes Verwaltungshandeln. Das ist es, was uns hier gefehlt hat. Es mag sein, dass es coronabedingt war, weil zuletzt politische Willensäußerungen nicht ganz so leicht waren. Der Krisenstab hatte alles in der Hand und die Ausschüsse haben nicht getagt. Ich will dafür niemanden verantwortlich machen. Aber es hätte eben entweder auf politischer oder auf Verwaltungsseite Menschen gebraucht, die sagen, wir machen es jetzt – und die gab es offensichtlich nicht.
Sie sind sicherlich nicht Spitzenkandidatin geworden, um sich in der Fraktion hinten einzureihen. Wie wichtig ist es Ihnen, neue Fraktionschefin zu werden?
Ich werde meinen Hut in den Ring werfen. Nach der Wahl wird sich die Fraktion konstituieren, und ich werde als Fraktionsvorsitzende antreten. Aber natürlich entscheidet die Fraktion.
War es richtig, dass die Grünen auf einen eigenen Oberbürgermeister-Kandidaten verzichtet haben und stattdessen Henriette Reker zum zweiten Mal unterstützen?
Ich finde es richtig, weil Henriette Reker das, was sie begonnen hat, auch fortsetzen soll. Sie braucht mindestens eine zweite Amtszeit, um die Dinge zu Ende zu bringen. Eine Verwaltungsreform macht man nicht mal so einfach in fünf Jahren und das wussten wir auch von Anfang an. Natürlich muss man gucken, was in den vergangenen Jahren passiert ist, ob man zufrieden war. Wenn nicht, wäre es konsequent gewesen, jemand anderen zu nehmen. Aber ich bewerte die Arbeit als gut, und wir haben natürlich mit ihr über unsere Kernthemen gesprochen – das passt.
Frau Reker wird auch von der CDU unterstützt. Wie gut können CDU und Grüne überhaupt zusammenarbeiten, wenn man in allen wichtigen Klima- und Verkehrsfragen unterschiedlicher Ansicht ist?
Rund 10.000 Menschen haben an der Verkehrsumfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ teilgenommen und 76 Prozent davon wollen, dass Köln Vorreiter für die Verkehrswende wird. Daran kommt auch die CDU nicht vorbei. Deswegen bin ich optimistisch. Aber natürlich gibt es Unterschiede. Das hat auch etwas mit den Lebenswirklichkeiten zu tun, die wir verkörpern. Zur Plakatenthüllung von Henriette Reker zum Beispiel sind wir Grünen alle zusammen mit dem Fahrrad gefahren, die CDU kam mit Autos. Und beim Thema Geißbockheim-Ausbau stimmte es zwischen uns einfach grundsätzlich nicht, das war ein erklärter Dissens (hier lesen Sie mehr). Aber bei der Verkehrswende müssen wir die CDU jetzt eben überzeugen. Denn dass sich unser Mobilitätsverhalten ändern muss, ist ja offensichtlich.
Was ist Ihnen in Bezug auf die Verkehrswende wichtig?
Wir sollten hier größer denken. Natürlich ist der Öffentliche Personen-Nahverkehr zu teuer, natürlich sind ein 365-Euro-Ticket oder ein kostenloser Nahverkehr gute Ideen. Und auch Taktverdichtungen sind wichtig. Aber das reicht nicht. Man muss den ÖPNV ausbauen und das heißt auch, dass man neue Linien schaffen muss. Klar, eine Straßenbahn auf der Inneren Kanalstraße ist eine ambitionierte Idee, das werden wir nicht übermorgen und vielleicht auch nicht in fünf Jahren schaffen. Aber wir werden es eben nie haben, wenn keiner darüber spricht.
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Neben einem hohen Bedarf an mehr Wohnungen, braucht Köln auch neue Schulen. Dafür müssten aber mehr Flächen versiegelt werden...
Ja, aber Schulen müssen wir bauen. 800 abgelehnte Kinder an Gesamtschulen jedes Jahr, das geht nicht. Dass in einem reichen Deutschland und auch in einer Stadt wie Köln junge Familien erst keine Hebamme finden, dann keinen Kita-Platz bekommen und später ihr Kind nicht auf die Schulform ihrer Wahl schicken können – das ist ein echter Missstand. Wir müssen neue Schulen bauen, die Frage ist nur wie.
Inwiefern?
Die Helios-Schule in Ehrenfeld wird zum Beispiel als große Schule auf engem Raum realisiert. Die Turnhalle wird in die Tiefe gelegt, auf den Dächern entstehen die Außenbereiche für Kita und Grundschule. Das kostet Geld, aber ich finde, dass es Geld ist, das wir für solche Lösungen ausgeben sollten. Eine weitere Möglichkeit ist, an anderen Stellen Flächen zu entsiegeln. Wenn man etwa die Vogelsanger Straße in dem Bereich, in dem jetzt temporär der Biergarten ist, dauerhaft sperren würde, könnte man dort den Asphalt wegnehmen und eine Wiese anlegen. Dann wäre der Grüngürtel dort nicht mehr von der Straße zerschnitten und man hätte einen Ausgleich für eine Schule, die man an anderer Stelle baut.
Wie stellen Sie sich Köln in fünf Jahren vor?
Die Ehrenstraße ist definitiv autofrei und das Projekt Ring-frei vollständig. Das ist für mich das mindeste. Dafür gibt es längst Beschlüsse und es ist nicht nachvollziehbar, warum die bisher nicht umgesetzt sind. Generell muss der öffentliche Raum gerechter aufgeteilt werden. Der motorisierte Individualverkehr darf keinen Vorrang mehr haben und wir müssen Platz für die Menschen schaffen – für die Fußgänger und Radfahrer.
Wie stehen Sie zu Tempo 30?
In der Innenstadt innerhalb der Ringe ist das für mich selbstverständlich. Das ist ja auch eine der Vorgaben der Deutschen Umwelthilfe, um Fahrverbote zu vermeiden. Aber wir brauchen auch reduzierte Geschwindigkeiten in den anderen Veedeln.
Woran liegt es, dass Beschlüsse nicht umgesetzt werden und man in Köln oftmals nicht den Anspruch hat, wirklich weiterzukommen?
Das ist mit Sicherheit auch Teil der Mentalität, die wir alle so lieben. Einfach mal alle Fünfe gerade sein zu lassen. Das ist natürlich sympathisch und entspannend. Aber die Umstände zwingen uns mittlerweile zum Handeln. Es geht nicht nur darum, die Stadt schön zu machen. Es geht auch darum, sie so zu erhalten, dass wir hier noch leben wollen. Irgendwann ersticken wir. Zum Beispiel sind die Bäume im Stadtwald zu 50 Prozent krank, weil sie zu wenig Wasser haben. Aber ohne Bäume gibt es keine Luft zum Atmen. Köln muss jetzt endlich über diese Mentalität hinwegkommen und ein bisschen in Fahrt kommen.