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Dom-GeheimisseWie der Dom an ein Fenster von Gerhard Richter kam

Lesezeit 6 Minuten
Gerhard Richter Fenster Spiegelung

Die Spiegelung des bunten Gerhrad-Richter-Fensters auf den Innenmauern des Doms.

  1. Den Dom kennt jeder. Aber wie gut kennen sich die Kölnerinnen und Kölner wirklich aus in „ihrer“ Kathedrale?
  2. Jede Woche haben wir für Sie eine neue Geschichte vom Dom – erzählt von einer, für die er eine Art zweites Zuhause ist: Dombaumeisterin a.D. Barbara Schock-Werner.
  3. In dieser Folge verrät Schock-Werner, wie es zu Gerhard Richters Fenster im Dom kam. Sein Entwurf löste zunächst Fassungslosigkeit aus.

Köln – Für Gerhard-Richter-Fans ist der Dom längst ein Muss. Ein Richter-Museum, über das gerade in Köln diskutiert wird, ist die Kathedrale aber nicht – und soll es auch nicht sein. Doch gerade weil das „Richter-Fenster“ das Genie des Künstlers so einmalig erstrahlen lässt, wäre es umso schmerzhafter, wenn davon in Köln künftig nicht noch mehr zu sehen wäre. Womöglich fragen Sie sich ja, wie es denn eigentlich zum Richter-Fenster kam. Und sie werden es vielleicht nicht glauben, aber das kann ich fast bis auf die Minute genau datieren.

Am 12. Mai 2002 feierte der damalige Kölner Weihbischof Friedhelm Hofmann seinen 60. Geburtstag. In der Ulrepforte gab es einen Empfang, wie üblich so um 11 Uhr vormittags. Unter den Gästen war auch Gerhard Richter, der mit Hofmann befreundet ist. In dieser Situation, plaudernd, mit einem Sektglas in der Hand, fiel mein Blick auf Richter. Und da kam mir der Gedanke: Wenn es jemanden gibt, der für das Südquerhausfenster im Dom einen künstlerisch adäquaten Entwurf machen könnte, dann ist er es.

Gerhard Richter: „Ich kann das ja mal ausprobieren“

Ich bin also direkt zu ihm hin und habe ihn auf den Kopf zu gefragt, ob er nicht Lust hätte. In seiner typisch zurückhaltenden, fast scheuen Art sagte er spontan: „Ich kann das ja mal probieren. Aber, damit das gleich klar ist: Dafür werde ich kein Geld nehmen.“

Alles zum Thema Gerhard Richter

So sah die ehemalige Verglasung des Fensters aus.

Die Eingebung kam natürlich weniger plötzlich, als es im ersten Moment den Anschein hat. Seit Jahren hatte ich mich mit dem Auftrag beschäftigt, den mir das Domkapitel am Beginn meiner Amtszeit 1999 gegeben hatte: eine Neuverglasung für das Südquerhaus. Das ursprüngliche Fenster von 1863, ein Geschenk des preußischen Königs Wilhelms  I., war im Krieg zerstört worden. Es zeigte die Standfiguren dreier weltlicher Herrscher, unter ihnen Karl der Große, und dreier heiliger Erzbischöfe. Da die Entwürfe in Berlin gelegen hatten und dort verbrannt waren, war an eine Rekonstruktion nicht zu denken.

Viele Probleme bei einer Neugestaltung des Dom-Fensters

Für eine Neugestaltung stellten sich verschiedene Probleme: Wie sollten wir die Tradition stehender Figuren aufgreifen? Herrschergestalten waren gewiss kein Thema mehr für eine zeitgenössische Verglasung. So verfiel das Domkapitel auf die Idee, Märtyrer des 20. Jahrhunderts darzustellen. Nun sind die Karmelitin Edith Stein oder der polnische Pater Maximilian Kolbe allesamt Persönlichkeiten, von denen jeder wissen kann, wie sie aussahen. Riesenporträts in 30 Metern Höhe? Schwierig, wenn nicht unmöglich. Dazu hatten alle in Frage kommenden Märtyrer zu Lebzeiten Ordenstracht oder Priestergewand getragen. Schwarz auf Glas – ein denkbar unglückliches Ansinnen.

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Großformatige figürliche Glasmalerei auf hohem Niveau gab es in den vergangenen 30 Jahren eigentlich nicht mehr. Erst mit Künstlern wie Michael Triegel hat sich das seit kurzem wieder geändert. Irgendetwas hinpinseln lassen, das wollten wir damals auf keinen Fall. Tatsächlich mussten wir ja immer die monumentale Fläche von mehr als 100 Quadratmetern mitbedenken. Das ist übrigens der entscheidende Unterschied zu den figürlichen Fenstern von Markus Lüpertz in der Kirche Sankt Andreas. Hier ist der Betrachter relativ nah dran.

Fassungslosigkeit bei erstem Entwurf des Richter-Fensters

Sie sehen schon: Die Sache machte mir Kopfzerbrechen. Und dann kam der besagte Empfang. Nach Richters spontaner Bereitschaft versorgten wir ihn mit allen nötigen Informationen: Größe des Fensters, Farbigkeit der anderen Glasmalereien und so weiter. Und dann fing der Künstler an zu arbeiten.

Leserfrage

Haben auch Sie eine Frage zum Dom? Zuschriften an:

Kölner Stadt-Anzeiger,

z. Hd. Joachim Frank, Stichwort: Geheimnis Dom, Neven

DuMont Haus, 50590 Köln.

Oder per Mail: geheimnis-dom@dumont.de

Etwa ein halbes Jahr war vergangen, als er Hofmann und mich anrief und in sein Atelier einlud. Man sah: Er hatte figürlich begonnen, die ersten Skizzen lagen da noch. Aber das, erklärte er uns, gehe überhaupt nicht. Generell habe er nichts gegen figürlich gestaltete Fenster, aber nicht an dieser Stelle. Stattdessen präsentierte er uns einen ersten Entwurf mit farbigen Quadraten, der noch ganz anders aussah als die spätere Umsetzung.

Ich gebe zu: Hofmann und ich waren ein bisschen fassungslos. Irgendwie hatten wir uns ja doch etwas zum Thema „Märtyrer des 20. Jahrhunderts“ erwartet. Und meine Idee dazu war: Richter hat figürlich gearbeitet. Er hat ornamental gearbeitet, und er ist ein Farbsensibilist ersten Ranges. Der muss es können. Nun also etwas ganz anderes?

2006 stand die endgültige Version des Richter-Fensters

Wir waren nicht sofort überzeugt. Mit Richters Entwurf gingen wir in den Dom und diskutierten da weiter, dann noch einmal im Atelier, und schließlich hatte er uns davon überzeugt, dass es für ihn nur diese Lösung geben könne. Meine Aufgabe war es nun, das Domkapitel zu überzeugen, das auch noch zwei andere Fachleute zurate gezogen hatte, unter anderem den damaligen Direktor des Diözesanmuseums, Joachim Plotzek. Zum Glück, möchte ich sagen, waren die Experten einhellig Richters Ansicht: Figürlich funktioniert nicht. Also, befand das Domkapitel, solle Gerhard Richter seinen Entwurf doch mal weiterentwickeln, und dann werde man ja sehen.

18 verschiedene Entwürfe später, nach ungezählten Experimenten mit der Auswahl der Farben und ihrem Zusammenspiel, mit der Größe der Quadrate, mit der Art des Glases und der Technik zur Befestigung der einzelnen Scheiben war Richter dann 2006 zur endgültigen Version seines Fensters gelangt. Das Domkapitel stimmte zu. Dompropst Norbert Feldhoff plädierte dafür, die Finanzierung der Material- und Arbeitskosten von auf eine möglichst breite Basis zu stellen. Über zahlreiche Spenden kam die erforderliche Summe von 300 000 Euro zusammen.

Das Richter-Fenster im Südquerhaus in voller Pracht

Der Einbau war noch einmal ein besonders heikles Unterfangen: Die einzelnen Scheiben mussten wirklich ganz exakt waagerecht und lotrecht zueinander stehen. Schon das kleinste Kippeln aus der Rechtwinkligkeit wäre in der strengen Geometrie des umgebenden Maßwerks ja sofort aufgefallen. Richter hat sich darum nicht mehr persönlich gekümmert. Ich glaube, bei dem ihm eigenen Perfektionismus war es ganz schwierig für ihn, loszulassen und die gesamten technischen Abläufe der damit beauftragten Firma Wilhelm Derix (Taunusstein) zu überlassen.

Gerhard richter bei Enthüllung des Fensters erleichtert

Vor das zum Einbau aufgebaute Gerüst war eine Plane gespannt, durch die das neue Fenster ganz grünstichig wirkte. „Mein Gott, so hatten wir uns das doch nicht gedacht“, durchfuhr es mich. Bis zur Einweihung im Sommer 2007 war das Fenster dann mit einem großen schwarzen Vorhang verhüllt. Als er probeweise beiseite gezogen wurde, standen Gerhard Richter und ich gegenüber im Nordquerhaus.

Ich glaube, man hätte die Felsbrocken hören können, die in diesem Moment von gleich zwei Seelen fielen. Das Ganze, darf man nicht vergessen, war ein Risiko – für den Künstler wie für den Auftraggeber. Es hätte ja auch schiefgehen können. Ging es aber nicht. Es sah wunderbar aus. Ich gratulierte Richter zu seinem Mut, er mir zu meinem, und beide gemeinsam waren wir rundum glücklich.

Dass nicht alle unser Glücksgefühl teilten, ist bekannt. Kardinal Joachim Meisner war ein entschiedener Gegner von Richters Werk. Aber als einmal im Winter, zur Nachfeier von Meisners Geburtstag, zahlreiche Würdenträger im Dom versammelt waren und die Sonne so wunderbar durch die 11 500 Farbquadrate fiel, dass die geistlichen Herren einander erkennbar begeistert zunickten, da dachte ich: Vielleicht war das jetzt doch ein kleines Plazet von ganz oben.

Wenn die Sonne scheint, wirft das Fenster ein ebenso prachtvolles wie buntes Licht in den Dom.

Ich bin nach wie vor überzeugt von dem, was ich vor zwölf Jahren in der Festschrift „Gerhard Richter. Zufall, das Kölner Domfenster und 4900 Farben“ geschrieben habe: Die gläserne Farbwand mit ihrem betörenden Licht hat alles Ornament vertrieben und scheint alles zu enthalten, was über Spiritualität, Licht und Farbe je gesagt wurde. Alle Gedanken, alle Bilder, alle Heiligen sind in diesem Fenster vereint.