Aus dem Wald in eine Kölner WohnungEx-Obdachloser erzählt von seinem neuen Leben
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Köln – Andreas Budweg ist fest entschlossen, seiner Erfolgsgeschichte weitere Kapitel hinzuzufügen. „Ich will, ich kann, ich werde“, sagt er mit der Überzeugung eines Mannes, der in den vergangenen Monaten gemerkt hat, dass er aus eigener Kraft sein Leben rundum positiv verändern kann. Budweg hat in einem Wald bei Marsdorf gelebt, bevor er in eine Wohnung zog.
Kurze Rückblende: Budweg war im Mai des vergangenen Jahres der erste Housing-First-Mieter in Köln. Seitdem lebt er in der ersten Wohnung, die die Initiative „Housing first“ gekauft hat. Er hat es nicht weit bis zum Helmholtzplatz. „Housing First“ bietet Menschen ohne Wohnung eine ebensolche.
Käufer ist der Vringstreff-Verein aus der Südstadt. „Der Housing-First-Fonds hat uns begleitet“, sagt Jutta Eggeling, Geschäftsführerin des Vringstreffs, einer Begegnungsstätte für Menschen mit und ohne Wohnung im Schatten der Severinskirche. Der Fonds wurde gegründet vom Paritätischen NRW und dem Verein „Asphalt/Fifty Fifty“ aus Düsseldorf. „Der Fonds versetzt Organisationen der Wohnungslosenhilfe aus ganz Nordrhein-Westfalen in die Lage, den in Deutschland noch wenig verbreiteten, aber sehr vielversprechenden Housing-First-Ansatz selbst umzusetzen“, heißt es in einer Erklärung der Verantwortlichen.
Geld hat der Fonds auch. Und da kommt Köln ins Spiel. Namentlich der Maler Gerhard Richter, der in Köln lebt. Er hat dem Verein „Fifty Fifty“ einige Werke gespendet. Der Gesamtwert wird auf 1,2 Millionen Euro taxiert. Mit den Mitteln des Fonds werden die Finanzierungsgrundlagen zum Kauf von Wohnungen geschaffen.
„Es hat sich seit meinem Einzug alles sehr, sehr gut entwickelt“, berichtet Budweg, der vor seinem Einzug längere Zeit in einem Zweimann-Zelt irgendwo in einem Waldgebiet bei Marsdorf gelebt hat. Gesundheitlich gehe es ihm deutlich besser. Eine Zahnsanierung hat er in Angriff genommen.
Zehn Kilo mehr nach einem Jahr in eigener Wohnung
Aber nicht alles hat sich zu seiner Zufriedenheit verändert. „Ich habe einen Wohlstandsbauch bekommen. Zehn Kilo habe ich seit dem Einzug zugelegt.“ Das soll sich ändern. Budweg geht jetzt jeden Morgen laufen. Beruflich sind die Weichen gestellt. „Ich fange in Kürze eine IHK-Ausbildung als Lagerist an. Im Home-Schooling am Rechner.“ Budweg hat Internet.
Das war allerdings nicht ganz einfach. „Der Anbieter hat meine Schufa-Auskunft bekommen und gesagt, dass ich 200 Euro Kaution zahlen muss. Die hat man als Hartz-IV-Empfänger natürlich nicht.“ Dabei ist er dringend auf das Netz angewiesen. Nicht nur wegen der Ausbildung am Rechner. Auch den Kontakt zu Ämtern wie dem Jobcenter hält er digital. „Man kann ja nicht zu den Internet-Hot-Spots gehen. Büroarbeit am Handy auf einem Spielplatz ist schwierig.“
Nahrungsmittel aus dem Food-Sharing-Schrank
Seine Sachbearbeiterin lobt Budweg in den höchsten Tönen. „Die ist wirklich super. Wir verstehen uns echt gut.“ Hin und wieder trifft er auch seinen „Berater“ aus dem Vringstreff. Mit dem spricht er über Förderanträge und andere rechtliche Fragen. „Für mein Alltagsleben brauche ich Kai nicht.“Budweg kocht gern. Lebensmittel besorgt er sich in einem Food-Sharing-Schrank in der Nähe. „Unfassbar, wie viele Lebensmittel die Leute wegwerfen.“
Ex-Wohnungsloser hilft Kölner Obdachlosen
Bei einem Getränke-Lieferdienst hat er im erlaubten Rahmen ein bisschen was dazu verdient. Es sei in Corona-Zeiten nicht so einfach, den Tag zu strukturieren, da unter der Pandemie auch bei ihm die sozialen Beziehungen leiden. Budweg hat wieder Kontakt zu seiner Mutter, die er drei Jahre nicht gesehen hatte: „Die wohnt in München und hat mich vor kurzem in meiner neuen Wohnung besucht.“ Budweg engagiert sich in der Obdachlosenhilfe, verteilt Essen auf dem Breslauer Platz. Und er ist, als es sehr kalt war, mit Wohnungslosen durch die Stadt gelaufen. „Ich kenne ja einige Plätze, an denen es etwas wärmer ist.“
Housing First
Das innovative Modellprojekt zur langfristigen Bekämpfung von Obdachlosigkeit stammt aus den USA und ist eine Alternative zum herkömmlichen System von Notunterkünften und vorübergehender Unterbringung. Inzwischen ist Housing First in Städten wie Berlin, Düsseldorf, Münster, Stuttgart und Hamburg etabliert.
Betroffene werden unbefristet und mit einem eigenen Mietvertrag in Wohnungen untergebracht und professionell betreut. Der Vorteil: Sie müssen sich nicht für unabhängige, dauerhafte Wohnungen qualifizieren - indem sie vorher verschiedene Unterbringungsformen durchlaufen haben , sondern können direkt und bedingungslos in eigene Wohnungen einziehen.
Das Konzept basiert darauf, dass Betroffene erst eine stabile Unterkunft, ein Zuhause brauchen, bevor sie andere Angelegenheiten und Probleme angehen können, um ihr Leben wieder in geregelte Bahnen zu lenken.
Housing First in NRW: Erstmals wurde das Konzept in NRW vom „fiftyfifty/Asphalt e.V.“ in Düsseldorf umgesetzt - mit inzwischen 60 Wohnungen. Gemeinsam mit dem Paritätischen Wohlfahrtsverband NRW hat der Verein zwischenzeitlich einen Fonds eingerichtet, der Organisationen der Wohnungslosenhilfe aus ganz NRW in die Lage versetzt, den Housing-First-Ansatz selbst umzusetzen.
Aber nicht nur Budwegs Leben hat ein Upgrade erhalten. Der „Krümelkaffee“, wie er beim ersten Besuch das lösliche Produkt aus Zeltzeiten nannte, gehört der Vergangenheit an. Er hat jetzt eine 1A-Espressomaschine. „Umsonst.“ Umsonst? „Ja, bei Ebay-geschenkt. Da habe ich fast alles bekommen. Das Sofa, die Bilder an der Wand, die große Uhr. Unglaublich, was es da alles gibt.“
Dank der Internetverbindung hat Budweg auch alte Freundschaften neu geknüpft. „Einer meiner ältesten Bekannten war Punker wie ich. Er leitet heute das Housing-First-Projekt in Saarbrücken.“www.vringstreff.de