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„Persönlich verunsichert”Was ein Kölner Arzt aus seiner Corona-Infektion gelernt hat

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Moritz Riepen hat sich vermutlich durch einen Patienten mit dem Coronavirus infiziert.

  1. Moritz Riepen (38) lebt in Köln und ist stellvertretender ärztlicher Leiter der Zentralambulanz im Klinikum Leverkusen. Am 19. März wurde er positiv auf das Corona-Virus getestet. Vermutlich hatte er sich bei einem Patienten angesteckt.
  2. Zwei Wochen lang befand er sich in Quarantäne mit zwei Kindern, seiner Frau und einem Aupair-Mädchen in Quarantäne, die ebenfalls infiziert waren.
  3. Wir haben ihn zu Anfang seiner Erkrankung interviewt und ihn jetzt nach seiner Genesung erneut befragt – zu seinen Lehren aus der Infektion als Experte.
  4. Außerdem spricht er im Interview darüber, was seine Immunität für ihn bedeutet und warum er sich Sorgen um nachhaltige Schäden seiner Lunge machte.

Herr Riepen, Sie sind Mitte März am Corona-Virus erkrankt und hatten dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ bereits am Anfang Ihrer Erkrankung ein Interview gegeben. Damals haben Sie von starken Gliederschmerzen, erloschenem Geruchssinn und starkem Auswurf berichtet. Sind noch weitere Symptome hinzugekommen im Verlauf der Krankheit?

Nein. Auffällig war nur, dass die starken Gliederschmerzen ab dem fünften Tag zunächst weg waren, zwei Tage später aber nochmal ein unangenehmer Rückfall kam. Die Krankheit verlief also eher in Wellenform mit einer langsamen, langen Abflachung gegen Ende. Geblieben ist über die Zeit meiner 14-tägigen Quarantäne hinaus eine allgemeine körperliche Schwäche und Kurzatmigkeit unter Belastung.

Was entgegnen Sie den Menschen, die behaupten, das Corona-Virus sei nicht gefährlicher als eine Grippe?

Das ist eine ganz schwierige Aussage. Unsere Unkenntnis über diese neue Krankheit macht sie deutlich unberechenbarer als eine Grippe. Als Arzt erlebe ich ältere Menschen, die das Virus trotz Vorerkrankungen recht unproblematisch wegstecken, aber auch junge Menschen ohne Vorerkrankungen, die massiv Symptome zeigen. Und das ist die große Unsicherheit bei diesem Virus. Eine Grippe verläuft saisonal sehr unterschiedlich, in diesem Jahr zum Beispiel eher mild. Da gibt es zwar auch immer ein gewisses Fragezeichen, aber längst nicht in dem Ausmaß wie bei Corona.

Wann und woher wussten Sie eigentlich, dass Sie gesund sind?

Das Kölner Gesundheitsamt hat dafür klare Kriterien definiert. Wenn man sich 48 Stunden lang symptomfrei fühlt, kann die Quarantäne nach frühestens 14 Tagen beendet werden. So war das bei mir. Um bei meinem Arbeitgeber, dem Klinikum Leverkusen, wieder arbeiten zu dürfen, musste ich dann noch zwei negative Abstriche abgeben, am 3. und am 6. April. Erst danach durfte ich wieder arbeiten.

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Konnte mittlerweile geklärt werden, wer Sie angesteckt hat? Und haben Sie selbst noch weitere Menschen angesteckt?

Bis auf Menschen in meinem Haushalt habe ich – zumindest auf der Liste mit Kontaktpersonen, die ich genannt habe -, niemanden angesteckt. Wer mich angesteckt hat, lässt sich nicht mehr rekapitulieren. Das liegt natürlich auch an der langen Zeit, bis sich Symptome einstellen. Und als Arzt bin ich mit vielen Menschen in Kontakt.

Zwei Wochen lang waren Sie mit zwei kleinen Kinder, Ihrer Frau und einem Au-pair-Mädchen in Quarantäne. Ist Ihnen die Decke auf den Kopf gefallen?

Ja, das war hart, vor allem wegen des schönen Wetters.

Hat sich Ihre gesamte Familie infiziert?

Die Kinder hatten keine Symptome und wurden darum auch nicht getestet. Meine Frau und das Au-Pair-Mädchen, die beide Symptome zeigten, wurden in die Statistik der Stadt aufgenommen, ohne Test.

Insgesamt soll das Virus Männer härter treffen als Frauen. Sie scheinen dafür beispielhaft zu sein, Ihnen ging es deutlich schlechter als den Frauen in Ihrem Haushalt.

Das stimmt. Meine Frau konnte lediglich nichts mehr riechen und war ansonsten symptomfrei. Wir wissen natürlich, dass Männer für Herzkreislauf-Erkrankungen deutlich empfänglicher sind als Frauen, möglicherweise auch wegen einer ungesünderen Lebensführung. Vielleicht kommt es bei Männern deshalb häufiger zu schwereren Krankheitsverläufen.

Sind Sie jetzt eigentlich gegen das Virus immun?

Ja. Ich habe einen Antikörpertest machen lassen und da ich nachweislich Antikörper gebildet habe, ebenso wie meine Frau, gehen wir zum jetzigen Zeitpunkt davon aus, dass wir uns zumindest in der nächsten Zeit nicht noch einmal infizieren werden.

Was ist das für ein Gefühl?

Für mich persönlich finde ich es sehr beruhigend, auf einem recht frühen Niveau der Infektionen in Deutschland zu den Leuten zu gehören, die die Krankheit mit einem moderaten Verlauf überstanden haben und das Virus in den nächsten Monaten höchstwahrscheinlich weder zu bekommen noch zu übertragen.

Wie ist die Reaktion bei Ihren Freunden auf Ihre Erkrankung?

Ich habe das Gefühl, fast ein wenig beneidet zu werden von anderen, dass ich die Krankheit hinter mir habe.

Qualifiziert Sie Ihre Immunität im Leverkusener Klinikum besondere Aufgaben? Gelten für Sie weniger Schutzmaßnahmen?

Nein, die gelten für mich wie für alle anderen auch, schon aus einem Gedanken der Solidarität heraus und wegen der Vorbildfunktion. Und natürlich auch wegen einer letzten Restunsicherheit bezüglich einer tatsächlichen Immunität. Aber tatsächlich stelle ich mich im Klinikum derzeit auch besonderen Aufgaben zur Verfügung, etwa wenn Patienten mit Luftnot maschinelle Beatmung brauchen. Da bin ich mehr denn je Ansprechpartner, denn bei dieser invasiven Beatmung der Luftröhre kommt man dem Sekret des Patienten sehr nahe und die Ansteckungsgefahr steigt deutlich.

Wie ist die Situation in Ihrem Krankenhaus insgesamt?

Viele Menschen sind dem Krankenhaus in den letzten Wochen bewusst fern geblieben, die Notfallambulanz war deutlich leerer. Das ändert sich derzeit sehr langsam wieder. Außerdem werden jetzt nicht mehr nur Notfälle, sondern auch dringliche Krankheitszustände versorgt. Wir versuchen uns in unseren Organisationsstrukturen – um Beispiel bei den erweiterten Infektionsstationen – an die aktuelle ruhige Lage anzupassen. Trotzdem bleiben wir auf eine Eskalation vorbereitet und können in Kürze die Kapazitäten für eine Notfallversorgung deutlich erhöhen. Ich finde es außerdem erfreulich, dass die Corona-Situation bei uns auch digital Entwicklungen vorangetrieben hat, zum Beispiel Video-Konferenzen, die das Arbeiten leichter machen. Davon werden wir auch über die Corona-Zeit hinaus profitieren.

Experten gehen davon aus, dass nach einer Covid-19-Infektion langfristig Schäden im Körper zurückbleiben, auch bei Menschen, die nicht beatmet werden mussten. Bereitet Ihnen das Sorgen?

Ja, mich persönlich hat das auch verunsichert, zumal ich nach meiner Krankheit das Gefühl hatte, beim Radfahren kurzatmig zu sein. Ich habe daher meine Lunge untersuchen lassen. Das Ergebnis: Das Organ ist unauffällig und scheint gesund zu sein. Ich bin wohl glimpflich davon gekommen.

Hat sich Ihre Einstellung zu dem Virus in den letzten Wochen verändert?

Ich habe schon immer eine gewisse Phobie vor öffentlichen Türklinken gehabt oder vor Scannern in Flughäfen, weil ich als Arzt eine Ahnung habe, dass da fiese Keime drauf sein können. Aber dass ein Virus um die Welt geht, daran viele Menschen sterben, Geschäfte und Schule schließen müssen, hätte ich – auch als Arzt – in dem Umfang nicht für möglich gehalten, auch wenn man solche Szenarien in Filmen ja durchaus schon gesehen hat. Das Virus zeigt uns in hohem Maße die Fragilität unserer globalisierten Welt auf und die gesellschaftlichen Auswirkungen, die eine solche Krankheit haben kann – jenseits der reinen Erkrankung. Mich lehrt das Virus, dass wir uns mit dem, was wir alles können und leisten, nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, sondern dem Leben mit einer gewisse Demut und Vorsicht begegnen sollten.

Was sagen Sie zu den Lockerungen der Maßnahmen – kommt das aus Ihrer Sicht zu früh?

Die Lockerung ist das Ergebnis eines großen Dilemmas und eine Entscheidung für Experten. Die Tatsache, dass wir in Deutschland nicht von schwerkranken Patienten überrannt worden sind, zeigt, dass die einschneidenden Maßnahmen nützlich gewesen sind. Auf der anderen Seite darf man die Ängste und Sorgen aufgrund wirtschaftlicher Folgen auch nicht kleinreden.

NRW führt jetzt ab Montag die Maskenschutzpflicht in der Bahn und beim Einkaufen ein. Ein richtiger Schritt aus Ihrer Sicht?

Auch damit haben sich Experten auseinander gesetzt, die sicher schlauer sind als ich. Die Idee ist, dass möglicherweise Erkrankte durch die Bedeckung von Mund und Nase weniger häufig per Tröpfchen das Virus weitergeben können. Trotzdem sollte man die Händehygiene nicht vernachlässigen und Abstand halten.

Was wünschen Sie sich von der Politik als Arzt?

Bislang ist es so, dass sich ein Krankenhaus wirtschaftlich nur trägt, wenn es in ziemlich hohem Maß ausgelastet ist. Wenn dann eine Pandemie oben drauf kommt, kommt man schnell in große Bedrängnis, wie wir jetzt sehen. Ich würde mir darum wünschen, dass Krankenhäuser künftig mehr Ressourcen vorhalten können, also einen gewissen Puffer haben, ohne gleich in wirtschaftliche Bedrängnis zu kommen. Diesen Wunsch hatte ich auch schon bei der Grippewelle 2018, als wir mit den Kapazitäten total am Anschlag waren. Auch würde ich mir wünschen, dass der Vorrat an Schutzausrüstungen insgesamt erhöht wird, nicht nur für die Krankenhäuser, sondern auch für ambulante Ärzte wie Zahnärzte zum Beispiel. Und ich würde mich freuen, wenn die Wertschätzung der sogenannten systemrelevanten Berufsgruppen auch über die Corona-Krise hinaus Bestand hätte.

Was wünschen Sie sich als Arzt von den Menschen in Köln und Region?

Dass sie weiter Abstand halten, sich die Hände desinfizieren und den allgemeinen Empfehlungen folgen, sich aber nicht von Angst lähmen lassen. Denn viele Krankheitsverläufe sind zum Glück moderat. Statistisch gesehen stirbt jeder vierte Mensch an einer Krebserkrankung, auch davon lassen wir uns nicht vor Angst lähmen. Jetzt ist mit Covid-19 eine neue Stellgröße ins Leben gerutscht. Wir müssen lernen, mit dieser Unsicherheit zu leben, uns aber die Hoffnung nicht nehmen zu lassen. Es wird wieder bergauf gehen.

Das Gespräch führte Sarah Brasack