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Missbrauch im Erzbistum KölnWas bisher geschah – eine Chronologie der Ereignisse

Lesezeit 21 Minuten
Dom Kreuz

Symbolbild 

Köln – Das Erzbistum Köln hat im März im Rahmen einer großen Pressekonferenz das lange erwartete Gutachten zum Umgang mit Missbrauchsfällen durch Priester vorgestellt. Das Gutachten ist Teil einer langen, konfliktträchtigen Geschichte des Umgangs mit sexualisierter Gewalt durch die katholische Kirche. Wir zeichnen hier nach, dass die Verantwortlichen im Erzbistum und in der deutschen Kirche das Problem seit mehr als 20 Jahren kannten, es aber herunterspielten, bagatellisierten oder schlicht leugneten.

„Nichts geahnt, nichts geahnt“, behauptete der frühere Kölner Erzbischof Joachim Meisner noch 2015, zu einer Zeit, als längst klar war, dass es Hunderte von Fällen allein im Erzbistum Köln gegeben hatte.

Diese Chronologie zeigt, welche Schritte seit 2002 zur Aufklärung und Aufarbeitung unternommen wurden, wie es 2018 zur Beauftragung eines Missbrauchsgutachtens für das Erzbistum Köln kam und welche Wege der Streit über die Veröffentlichung bis zu dem heute vorgestellten „Ersatzgutachtens“ nahm.

2002

Die Deutsche Bischofskonferenz erlässt damals erstmals Leitlinien „zum Vorgehen bei sexuellem Missbrauch Minderjähriger durch Geistliche“. Vorausgegangen waren Missbrauchsskandale unter anderem in Irland und den USA. „Aus fehlenden Kenntnissen über die näheren Zusammenhänge … wurde häufig unangemessen reagiert. Im Blick auf die Opfer bedauern wir dies zutiefst.“

Es soll mehr Klarheit geben. Die Zeit des Versetzens, Vertuschens und Verschweigens solle endgültig vorbei sein, sagt der damalige Vorsitzende der Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann.

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Eine Anzeigepflicht von Verdachtsfällen bei den staatlichen Strafverfolgungsbehörden ist in den Leitlinien nicht vorgesehen. Wohl aber sollen innerkirchliche Ansprechpersonen für Meldungen Betroffener benannt werden. Meistens handelt es sich dabei um Vertreter der Kirche. In Köln zum Beispiel übernimmt der frühere Leiter des Priesterseminars die Aufgabe.

2010

Der Jesuiten-Pater Klaus Mertes macht jahrzehntelangen Missbrauch am Berliner Canisius-Kolleg, eines vom Jesuitenorden geführten Gymnasiums, öffentlich. Dieser Schritt löst eine wahre Lawine von Berichten und Anzeigen Betroffener aus, die sich vielfach erst jetzt trauen, sich bei der Kirche oder anderen Stellen zu melden. Heftigen Widerspruch führender Kirchenmänner lost Mertes mit der These aus, der Missbrauch habe „systemische Ursachen“.

Auch beim Erzbistum Köln gehen zahlreiche Hinweise Betroffener ein. Eine „Flut angezeigter Missbrauchsfälle“ habe die Zuständigen seinerzeit „gleichsam überrollt“, berichtete die langjährige Opfer-Beauftragte in einem Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ im Dezember 2020. „Nach meinem Empfinden musste das Erzbistum erst einmal selbst mit der Frage klarkommen, wie ordnungsgemäße Verfahrenswege zu entwickeln und einzuhalten sind. Als ich im Mai 2010 zur Ansprechperson ernannt wurde und eine entsprechende Rufnummer bekam, war ich in ständiger Bereitschaft, selbst nachts riefen Betroffene an. Was ich von ihnen – Männern und Frauen – zu hören bekam, waren schlimmste Verbrechen, furchtbare Schicksale und unsagbares Leid. Anfangs habe ich die Ereignisse, die Betroffene mir schilderten, als Fälle erst einmal nur dokumentiert. Das Bistum hat meine Protokolle dann entgegengenommen, ohne dass ich danach je wieder etwas davon gehört hätte. Ich habe deshalb schon Anfang 2011 dem Erzbistum meine Sorge mitgeteilt, dass alle meine Informationen wie in einem 'Schwarzen Loch' verschwänden.“

Das Erzbistum gibt in der Verantwortung des damaligen Kardinals Joachim Meisner und seines Generalvikars Dominik Schwaderlapp (heute Weihbischof in Köln) eine Info-Broschüre für die Gemeinden heraus. Kardinal Meisner schreibt, er könne „nicht verhehlen, dass ich über das Versagen von manchen Priestern und kirchlichen Mitarbeitern nicht nur zutiefst erschüttert, sondern auch zornig bin“. In der aktuellen Situation müsse „mit Ehrlichkeit, Offenheit und dem Willen zur Umkehr“ gehandelt werden. Jedem einzelnen Verdacht werde „mit aller Sorgfalt und Konsequenz” nachgegangen.

In der Broschüre ist von nur fünf des sexuellen Missbrauchs beschuldigten Priestern im Erzbistum die Rede. Der damalige Personalchef und spätere Generalvikar Stefan Heße (heute Erzbischof von Hamburg) spricht 2020 von einem „ersten, aber misslungenen Versuch“, mit dem Thema Missbrauch umzugehen. Es sei „sicher ein Versäumnis, dass nicht alle damals bekannten Fälle aufgeführt worden sind“. Die Broschüre erscheint 2012 in Heßes Verantwortung in einer Neuauflage, aber mit den alten Zahlen. „Hier hätten wir im Sinne aller, besonders der Betroffenen, sensibler arbeiten müssen“, sagt Heße der „Zeit“-Beilage „Christ&Welt“.

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Die Bischofskonferenz überarbeitet ihre Leitlinien von 2002. Ein zentraler Punkt ist die Einführung einer Pflicht zur Einschaltung der Strafverfolgungsbehörden, von der nur „ausnahmsweise“ auf ausdrücklichen Wunsch des mutmaßlichen Opfers abgesehen werden könne und auch nur dann, „wenn der Verzicht auf eine Mitteilung rechtlich zulässig ist“. In jedem Fall seien die Strafverfolgungsbehörden einzuschalten, „wenn weitere mutmaßliche Opfer ein Interesse an der strafrechtlichen Verfolgung der Taten haben könnten“.

Erste Bistümer, darunter das Erzbistum München und Freising, geben Studien zum Ausmaß der Missbrauchsvergehen in Auftrag. Das Ergebnis der Münchner Studie, erstellt von der Münchner Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl, wird nur kursorisch veröffentlicht. Verantwortliche aus der Bistumsleitung, die Täter gedeckt und ihre Taten vertuscht haben könnten, werden nicht genannt. Als Grund wird unter anderem Rücksicht auf den früheren Erzbischof, Kardinal Joseph Ratzinger, vermutet, den späteren Papst Benedikt XVI. Die Studie ist bis heute unter Verschluss. Ein neues Gutachten derselben Kanzlei ist in Arbeit.

2011

Der Kriminologe Christian Pfeiffer vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) soll im Auftrag der Bischofskonferenz eine Missbrauchsstudie erstellen. Über das Design der Studie, die Bereitstellung der kirchlichen Personalakten und Fragen des Datenschutzes kommt es zum Streit. 2013 kündigt die Bischofskonferenz den Vertrag. Pfeiffer wirft der Kirche Zensur-Absichten vor. Diskussionsstoff liefert auch die kirchenrechtliche Vorschrift, Akten über sexuellen Missbrauch im bischöflichen Geheimarchiv aufzubewahren und zehn Jahre nach der Voruntersuchung eines Verdachtsfalls zu säubern. Über diesen Zeitraum hinaus ist lediglich eine Zusammenfassung des Urteilstenors aufzubewahren. Wenn in den Akten über Missbrauchsfälle wenig zu finden sei, dann sei nach wie vor „kirchenrechtlich gewollt“, kritisiert der Tübinger Kirchenrechtler Bernhard Anuth.

Die Bischofskonferenz beauftragt mit eine Gruppe von Wissenschaftlern unter Führung des forensischen Psychiaters Harald Dreßing mit einer neuen Untersuchung. Ihren Namen MHG-Studie erhält sie von den Anfangsbuchstaben der drei beteiligten Forschungsstandorte Mannheim, Heidelberg und Gießen. Das Konsortium wertet knapp 40.000 Personalakten aus allen 27 deutschen Bistümern aus. Als eine Art Stichprobe stellen ausgewählte Bistümer sämtliche Unterlagen von 1946 bis 2014 zur Verfügung. Für die anderen beschränken sich die Forscher auf die Akten aller Kleriker, die im Jahr 2000 noch lebten bzw. nach 2000 geweiht wurden. Die Bereitstellung der Akten erfolgt durch die Kirche. Rückschlüsse auf Namen sollen nicht möglich sein. Die Forscher sollen auch nicht detailliert Auskunft über die Verhältnisse in einzelnen Bistümern geben.

20. September 2014

Kardinal Rainer Woelki wird als Nachfolger von Kardinal Meisner ins Amt des Erzbischofs von Köln eingeführt. Er war von 1990 bis 1997 Meisners Privatsekretär, danach sechs Jahre Leiter der Priesterausbildung in Bonn und von 2003 bis 2011 Weihbischof in Köln mit Zuständigkeit für die Pastoralbezirke Ost (bis 2005) und Nord (von 2006 bis 2011). 2011 wurde Woelki zum Erzbischof von Berlin gewählt und wechselte im gleichen Jahr in die Hauptstadt.

2015

Als erstes Bistum gründet das Erzbistum Köln auf Woelkis Initiative eine „Interventionsstelle“ und beruft mit Oliver Vogt auch den bundesweit ersten Interventionsbeauftragten. Bei ihm werden unter anderem alle Missbrauchsakten zusammengeführt und geordnet.

26. März 2015

Kardinal Meisner gibt dem „Deutschlandfunk“ ein „Zeitzeugen“-Interview. Er habe „mit allen Opfern unter vier Augen gesprochen“, behauptet er. „Das ist furchtbar. Und als Bischof könnte man nur heulen.“ 2010, mit dem Ausmaß des Skandals konfrontiert, habe er zunächst an eine „Verleumdungskampagne“ gedacht. Er selbst habe „nichts geahnt, nichts geahnt“. Er habe sich das nicht vorstellen können und es nicht für möglich gehalten. „Ich brauchte ein paar Wochen, ehe ich wieder klar denken konnte, so hat mich das erschüttert.“

Danach habe er die Aufklärung „zur Chefsache erklärt“. Meisner spricht auch von verlorenem Vertrauen, das „nicht in zwei Jahren wieder aufzubauen“ sei, darüber sei er sich völlig klar. Die Kirche dürfe „nicht verdrängen oder schönfärben“, fügt Meisner hinzu. „Wir haben so viel Kredit verloren, jetzt müssen wir alles tun, … dass wir wieder akzeptiert werden“.

21. September 2018

Vier Tage vor der Veröffentlichung der MHG-Studie kündigt Kardinal Rainer Woelki für das Erzbistum Köln eine weitergehende eigene Untersuchung an. Sie soll umfassend, unabhängig, „ungeschönt und ohne falsche Rücksichten“ erstellt werden. Der Auftrag für die Studie geht an die Münchner Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl („WSW-Gutachten“).

„Ziel der Untersuchung ist es, neben der Aufarbeitung von Sachverhalten auch die Rolle der damaligen und heutigen Verantwortlichen, Personalchefs, Generalvikare und Bischöfe zu klären.“ Am Ende sollten auch eren Namen genannt werden. „Wir wollen Versagen und Schuld benennen, die Verantwortliche des Erzbistums möglicherweise auf sich geladen haben. Die Verhinderung künftiger Untaten ist dabei das Ziel unserer Präventionsarbeit, die wir in den vergangenen Jahren stark ausgebaut haben.“

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Woelki spricht mit Blick auf Veröffentlichung der MHG-Studie von einer „Woche der bitteren Wahrheit“. In vielen Gesprächen und Nachrichten, die ihn erreichten, sei der Tenor: Es muss etwas passieren. So kann es nicht weitergehen. „Und ich sage: Sie haben Recht! So kann es wirklich nicht weitergehen."

Und Woelki fügt hinzu: „Heute mache ich Ihnen ein weiteres Versprechen: So dunkel die Stunde für uns derzeit auch ist und so intensiv wir alles Geschehene aufarbeiten werden – Ich mache nicht als Letzter das Licht in der Kirche aus! Denn wenn wir jetzt die richtigen Entscheidungen treffen, Fehler und Versagen der Vergangenheit aufklären, wird auch wieder ein Licht am Ende des Tunnels erscheinen.“

Woelki kündigt zudem die Einrichtung eines Betroffenenbeirats an. Das Erzbistum übernimmt hier eine Vorreiterrolle. „Es geht um einen echten Wechsel in unserer Haltung und um eine Begegnung mit den Betroffenen auf Augenhöhe“, erläutert Kardinal Woelki.

25. September 2018

Die MHG-Studie wird in Fulda vorgestellt. Sie listet mindestens 3677 Betroffene und 1670 Beschuldigte auf, das sind mehr als vier Prozent aller Priester. Nur etwa die Hälfte aller Fälle sei in der Vergangenheit überhaupt aktenkundig gewesen. Die andere Hälfte wurde durch Meldungen der Opfer bekannt. Die Forscher sprechen von einem nicht näher quantifizierten Dunkelfeld.

Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, lässt die These von „Einzeltätern“ fallen. Noch Anfang der 2000er-Jahre hätten die Bischöfe gehofft, der Vergehen Einzelner mit Hilfe von Leitlinien Herr zu werden, und selbst unter der „Wucht der öffentlichen Wahrnehmung im Jahr 2010“ sei den Bischöfen „eine radikale, tiefere Sicht“ auf die systemischen Ursachen und begünstigenden Faktoren für Missbrauch im Raum der Kirche nicht möglich gewesen. "Wir haben zu lange weggeschaut, um der Institution Willen und des Schutzes von uns Bischöfen und Priestern willen“, sagt Marx.

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Die MHG-Studie widmet sich auch spezifischen Ursachen und begünstigenden Faktoren für Missbrauch im Raum der katholischen Kirche. Genannt wird unter anderem der „Klerikalismus“ als geistlich überhöhtes Verständnis des Priesteramts, männerbündische Strukturen im Klerus sowie die katholische Sexualmoral. Diese Befunde werden innerkirchlich kontrovers diskutiert.

Für das Erzbistum Köln gibt die MHG-Studie die Zahl der Betroffenen im Untersuchungszeitraum von 2000 bis 2014 mit 119, die der Täter mit 87 an. Der Interventionsbeauftragte Oliver Vogt räumt Aktenlücken sein. Zu berücksichtigen sei, dass man es allein mit dokumentierten Vorgängen zu tun haben, sagt auch er: "Wir kennen nur die Fälle, die erfasst worden sind, und sind sicher, dass weitere gegeben hat."

16. November 2018

In einer Sitzung des Diözesanpastoralrats verbindet Kardinal Woelki seinen Verbleib im Amt mit den Ergebnissen des WSW-Gutachtens. Nach Angaben eines Teilnehmers führte der Kardinal „in seiner ihm manchmal eigenen lockeren Weise“ aus, „dass keine Rücksichten genommen“ werden könnten, sondern „lückenlose Aufklärung“ erforderlich sei. Wenn sich dann herausstellen sollte, so Woelki weiter, dass man ihm doch vorwerfen könne, an Vertuschungen von Missbrauch beteiligt gewesen zu sein, dann müsse „das Domkapitel eben neu wählen. So einfach ist das“. Neuwahl des Domkapitels bedeutet im Klartext: vorheriger Rücktritt des amtierenden Erzbischofs.

2019

Die Bischofskonferenz und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) vereinbaren gemeinsam einen mehrjährigen Reformprozess unter dem Titel „Synodaler Weg“. Ausgehend vom Missbrauchsskandal und den Befunden der MHG-Studie soll es zu konkreten Beschlüssen in vier Themenbereichen kommen: Macht und Gewaltenteilung in der Kirche, Leben in gelingenden Beziehungen (Sexualmoral), Dienste und Ämter in der Kirche (priesterliche Lebensform) und Rolle der Frauen in der katholischen Kirche. Kardinal Woelki tritt wiederholt als einer der schärfsten Kritiker des Synodalen Wegs auf. Er fordert eine stärkere Konzentration auf Themen wie Katechese, Ehe-, Familien- und Berufungspastoral sowie Spiritualität und Evangelisierung. Im Mai 2020 beendet Weihbischof Dominikus Schwaderlapp seine Mitarbeit in der Arbeitsgruppe zur kirchlichen Sexualmoral. Er macht einen „massiven Dissens in Kernfragen“ geltend. Die Absicht der Mehrheit, empfängnisverhütende Maßnahmen, homosexuelle Handlungen, Selbstbefriedigung, künstliche Befruchtung oder die Situation wiederverheiratet Geschiedener neu zu bewerten, widerspreche der katholischen Lehre und sei auf „Treibsand“ gebaut.

10. März 2020

Das Erzbistum sagt eine bereits anberaumte Pressekonferenz zur Vorstellung des WSW-Gutachtens kurzfristig ab. Generalvikar Markus Hofmann begründet dies mit „äußerungsrechtlichen Bedenken“. Die Veröffentlichung der Ergebnisse müsse so abgesichert werden, „dass eine identifizierbare Darstellung der Verantwortlichen nicht angegriffen werden kann“. Später wird bekannt, dass mehrere Bistumsverantwortliche, die im WSW-Gutachten namentlich genannt und – wie aus vom Erzbistum veröffentlichten Zitaten hervorgeht – scharf angegriffen werden, sich juristischen Beistands versichert und über ihre Anwälte Einwände gegen die Darstellung ihres Verhaltens erhoben haben.

Woelki zeigt Verständnis, dass die Nachricht über die Verschiebung „viele enttäuscht hat, die schon seit langem darauf warten, dass diese schmerzhafte, aber notwendige Aufarbeitung zum Abschluss kommt und die Ergebnisse allen zugänglich gemacht werden“.

4. April 2020

Im Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ bekräftigt Woelki sein Versprechen aufzuklären. „Wir wollen nichts vertuschen, nichts unter den Tisch kehren. Und wir wollen– wie es vor allem die Betroffenen, aber auch die Öffentlichkeit einfordern – sowohl das institutionell-systemische als auch das persönliche Versagen benennen.“ Namen würden genannt. „Aber dafür müssen die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden.“

Woelki stellt die Veröffentlichung des WSW-Gutachtens noch im Jahr 2020 in Aussicht. „Und zwar so früh wie möglich. Aber das haben wir ja nicht selbst in der Hand. Gründlichkeit ist uns wichtiger als Schnelligkeit.“

23. September 2020

In der „Zeit“-Beilage „Christ&Welt“ erscheint ein großes Interview mit dem Hamburger Erzbischof Stefan Heße. Darin werden Vorhaltungen deutlich, die das WSW-Gutachten dem früheren Kölner Personalchef und Generalvikar in seinem Umgang mit Missbrauchsfällen macht. Heße lässt die Erwägung erkennen, rechtlich gegen die Darstellungen des Gutachtens vorzugehen.

Er bestreitet persönliches Fehlverhalten und verweist auf die Zuständigkeit der sogenannten Personalkonferenz führender Bistumsfunktionäre unter Vorsitz des Erzbischofs sowie auf dessen Entscheidungskompetenz in allen Fragen von Missbrauch. „Wenn die Fälle zu mir kamen, habe ich bei nächster Gelegenheit Kardinal Meisner informiert genauso wie den Generalvikar (Dominik Schwaderlapp, d.Red.).“

Jeder in der Personalkonferenz habe seinen Rat an den Erzbischof geben können. „Die Letztentscheidung lag bei Kardinal Meisner. Jeder Fall lag anders, es waren schwierige Entscheidungen, und da konnte man auch unterschiedlicher Meinung sein. Es lief am Ende im Miteinander, und dafür bin ich dankbar.

30. Oktober 2020

Das Erzbistum teilt seine Entscheidung mit, das WSW-Gutachten nicht zu veröffentlichen und stattdessen durch den Kölner Strafrechtler Björn Gercke ein Ersatzgutachten erstellen zu lassen. Gercke erhält den gleichen Auftrag wie WSW.

Als Grund für den Gutachter-Wechsel macht das Erzbistum nun gravierende methodische Mängel geltend und präsentiert dazu eine Ausarbeitung der Strafrechtsprofessoren Matthias Jahn (Frankfurt) und Franz Streng (Erlangen-Nürnberg). Auf Betreiben des Betroffenenbeirats wird diese Ausarbeitung auch im Internet veröffentlicht.

Die Münchner Kanzlei bestreitet die gegen ihre Studie erhobenen Vorwürfe. Weitergehende Ausführungen sind den Anwälten aufgrund ihrer Verschwiegenheitspflicht nicht möglich. Mehrere Angebote der Münchner Kanzlei, ihre Arbeit auf eigenes juristisches Risiko zu publizieren, lehnt das Erzbistum ab.

In einer Pressemitteilung betont das Erzbistum, die Entscheidung zum endgültigen Aus für das WSW-Gutachtens sei nach mehrstündigen Beratungen im Einvernehmen mit dem Betroffenenbeirat gefallen. Dessen damaliger Vorsitzender Patrick Bauer erhebt schwere Vorwürfe gegen WSW. „Wir sind enttäuscht und wütend, dass die Münchener Kanzlei derart schlecht gearbeitet und damit Versprechen einer gründlichen, juristisch sauberen Aufarbeitung gebrochen hat. Das verlängert den Aufarbeitungsprozess unnötig. Das Ziel des Gutachtens, Verantwortung und institutionelles Versagen deutlich und vollständig zu benennen, gefährdet die Kanzlei durch handwerkliche Fehler. Die Betroffenen können deshalb der Kanzlei nicht mehr vertrauen, die unabhängige Untersuchung fortzuführen. Wir haben dem Kardinal geraten, die Zusammenarbeit mit Westpfahl Spilker Wastl sofort zu beenden und Schadensersatz zu fordern.“

Wenige Tage später rückt Bauer von diesen Aussagen ab. Er wirft nunmehr dem Erzbistum vor, den Beirat mit der von langer Hand vorbereiteten Absicht eines Gutachterwechsels überrumpelt und für die Entscheidung instrumentalisiert zu haben.

25./26. November 2020

Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ veröffentlicht ein bis dahin geheim gehaltenes Sondergutachten der Kanzlei WSW zum Fall des Kölner Priesters und Sexualstraftäters A. Der Geistliche war trotz mehrerer Vorstrafen über Jahrzehnte zwischen den Bistümern Köln, Münster und Essen hin und her gewechselt und wurde immer wieder in der Seelsorge eingesetzt. Das Gutachten macht verschiedenen Bistumsverantwortlichen schwere Vorwürfe.

Woelki nennt den Einsatz von Pfarrer A. in der Seelsorge 1989 einen schweren Fehler. Warnungen seien überhört worden, der Fall sei verheimlicht worden, Bestrafungen seien unterblieben. „Der gesamte Umgang mit Pfarrer A ist eine jahrzehntelange Aneinanderreihung schwerer Fehler. Und dafür müssen Personen damals verantwortlich gewesen sein, die herausgefunden und benannt werden müssen“, so der Kardinal im „domradio“. Er habe Gercke gebeten, „die Frage der Verantwortung insbesondere in diesem Fall zu klären“. Im Dezember 2020 entlässt Kardinal Woelki A. aus dem Klerikerstand und spricht damit die schwerste Strafe für einen Geistlichen aus.

Ende November 2020

Nach der massiven Kritik am Umgang des Erzbistums mit dem WSW-Gutachten lenkt Woelki ein. „Interessierte Einzelpersonen, insbesondere Betroffene oder Journalisten“ sollen „im rechtlich möglichen Rahmen“ nun doch die „generelle Möglichkeit eines Einblicks“ erhalten, teilt das Erzbistum nach einer Sitzung des Diözesanpastoralrats mit. Als Datum wird der März 2021 genannt. Bis dahin Gerckes Ersatzgutachten fertiggestellt sein.

10. Dezember 2020

Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ macht den „Fall O.“ öffentlich: Der frühere Düsseldorfer Pfarrer O. soll sich in den 1970er Jahren an einem Jungen im Kindergartenalter vergangen haben. 2010 meldete sich ein Betroffener beim Erzbistum Köln und erhielt in Anerkennung des Leids 15.000 Euro - das Dreifache des damals üblichen Regelsatzes. Eine Meldung an den Vatikan unterblieb.

Kardinal Rainer Maria Woelki erfuhr erstmals als Kölner Weihbischof 2011 von den Missbrauchsvorwürfen gegen den mit ihm befreundeten Pfarrer, der ihn ein Jahr später zu seiner Kardinalserhebung in Rom begleiten durfte. Wenige Monate nach seinem Amtsantritt als Erzbischof von Köln sichtete Woelki 2015 die Akte von O., meldete aber den Fall nicht nach Rom und verzichtete auf eine kirchenrechtliche Voruntersuchung. Kritiker werfen dem Erzbischof deshalb Fehlverhalten und Vertuschung vor.

Woelki begründet sein Vorgehen damit, dass der Priester sich wegen seiner Demenz nicht mehr habe befragen lassen. Als O. 2017 starb, hielt der Kardinal die Trauerrede.

Woelki hat den Papst um eine Überprüfung seines Verhaltens gebeten. Der dienstälteste Bischof der Kölner Kirchenprovinz, Felix Genn (Münster) meldete den Fall an die Bischofskongregation nach Rom mit der Bitte, ihm einen in den päpstlichen Normen vorgesehenen Untersuchungsauftrag zu erteilen. Ein Bescheid aus Rom dazu, der binnen eines Monats hätte erfolgen müssen, steht bis heute aus.

24. Dezember 2020

In der Christmette am Heiligen Abend bittet Woelki „die von sexuellem Missbrauch Betroffenen“ und die Gläubigen um Verzeihung dafür, dass sie die Kritik am Umgang des Erzbistums mit dem Missbrauch und „insbesondere an meiner Person“ in den Wochen vor Weihnachten „ertragen mussten“. In einem „persönlichen Wort“ am Ende des Gottesdienstes sagt Woelki: „Zu den Sorgen, die Sie alle durch Corona ohnehin schon haben, haben wir, habe ich leider noch eine Bürde hinzugefügt.“ Um Verzeihung bitte er auch dafür, dass „unsere Priester, alle unsere pastoralen Dienste“ und „vor allem die Menschen in unseren Gemeinden und Verbänden, die sich zum Wohl der Kirche einsetzen, dieser Kritik, die dem Erzbistum und insbesondere aber auch mir gilt, mit ausgesetzt sind“.

5. Januar 2021

Ein Angebot des Erzbistums an einen kleinen Kreis von Journalisten, im Rahmen eines vertraulichen Hintergrundgesprächs Einblick in das WSW-Gutachten zu nehmen, scheitert an der Forderung, dass die Teilnehmer zuvor eine Verschwiegenheitserklärung unterzeichnen und sich darin verpflichten sollten, nichts über die ihnen zugänglich gemachten Inhalte zu publizieren – mit Ausnahme der von Vertretern des Erzbistums dargelegten angeblichen methodischen Mängel. Woelki bezeichnet dieses Vorgehen später als Fehler in der Kommunikation.

28. Januar 2021

Der Kölner Diözesanrat, Vertretung der Pfarrgemeinden und katholischen Verbände im Erzbistum, kündigt Kardinal Woelki und der Bistumsleitung bis auf Weiteres die Zusammenarbeit beim Reformprozess „Pastoraler Zukunftsweg“ auf. Aufgrund der ungeklärten Missbrauchsaufarbeitung im Erzbistum Köln sei „keine hinreichende Akzeptanz vorhanden“. Diese Aktion dürfte in der Bistumsgeschichte einmalig sein. Der Diözesanratsvorsitzende Tim Kurzbach spricht von der „größten Kirchenkrise, die wir alle je erlebt haben“. Es sei schier unglaublich, wie die Leitung des Erzbistums sich verhalte. „Der Erzbischof von Köln hat als moralische Instanz versagt und zeigt bis heute keine Haltung.“

In einer weiteren Entschließung fordert die Laienvertretung Kardinal Woelki sowie alle amtierenden und ehemaligen leitenden Geistlichen mit Personalverantwortung zu persönlichen Konsequenzen aus etwaigen Pflichtverletzungen und Verfehlungen im Umgang mit Fällen sexuellen Missbrauchs auf. „Übernehmen Sie Verantwortung, und verzögern Sie die Entscheidung darüber nicht länger auf die Klärung juristischer Fragestellungen nach Aktenlage. Warten Sie nicht, bis Rom entscheidet oder bis Rechtsgutachter Ihnen sagen, was Sie falsch gemacht haben.“ Nach Jahren des Verschweigens und Leugnens erwarteten die Menschen im Erzbistum „endlich Klartext und konkrete Schritte der Verantwortung“.

Auch in vielen Pfarrgemeinden regt sich offener Protest. Eine Gruppe von mehr als 30 Pfarrern wendet sich in einem Brief an Woelki und beschreibt einen zunehmenden Loyalitätskonflikt. „Wir fühlen uns der Kirche zutiefst verbunden, können uns aber nicht mit dem aktuellen Management der gegenwärtigen Vertrauenskrise in unserem Erzbistum identifizieren“, heißt es in dem Brief. Dies führe „zu einer immer stärkeren inneren Distanzierung zur Kirche von Köln, die auch die Vertrauensbasis zur Bistumsleitung nachhaltig berührt. Deutlich wird hier eine sich ausbreitende Atmosphäre des Misstrauens, der Verdächtigung und des resignativen Rückzugs.“

Mitunterzeichner ist der Dormagener Pfarrer Klaus Koltermann, der sich im Dezember als erster Geistlicher offen hinter Rücktrittsforderungen an Woelki gestellt hatte. Auf zunächst angedrohte dienstrechtliche Konsequenzen verzichtete das Erzbistum – wohl auch unter dem Eindruck einer Welle der Solidarität mit dem Geistlichen.

Als erstes Mitglied der Bistumsleitung äußert der Kölner Stadtdechant Robert Kleine offen Kritik an Woelki. In einem Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ fordert er Konsequenzen aus dem angekündigten Missbrauchsgutachten. „Alle wissen, wer im Erzbistum in verantwortlicher Position war: Erzbischöfe, Generalvikare, Personalchefs. Wir haben im Erzbistum nach meiner Überzeugung im Bereich Intervention und Prävention von sexuellem Missbrauch Vorbildliches geleistet – ich würde sagen: vorbildhaft für ganz Deutschland. Aber all das Positive fällt derzeit in sich zusammen wie ein Soufflé, in das man mit der Gabel pikst. Jetzt fragen die Leute zu Recht: ‚Wie arbeitet ihr das auf, was nicht gut war, wo Verantwortliche nicht richtig gehandelt haben?‘ Mag sein, dass dieses Fehlverhalten kein böser Wille war. Umso mehr ärgert es mich, wenn diejenigen, die doch wissen, dass ihr Tun und Unterlassen untersucht wird, nicht schon vor der Veröffentlichung der Ergebnisse sagen: ‚Also, ich muss aus heutiger Sicht sagen: Ich habe Fehler gemacht, habe Situationen falsch eingeschätzt, bin von falschen Voraussetzungen ausgegangen – und daraus ziehe ich Konsequenzen.‘“

20./21. Februar 2021

In seinem Hirtenbrief zum Beginn der Fastenzeit bittet Woelki erneut um Entschuldigung „An dieser Stelle möchte ich für mich persönlich auch sagen, dass ich während meines ganzen Lebens – in den unterschiedlichsten Zusammenhängen – immer wieder auch Fehler gemacht habe, auch in den Jahren als Erzbischof von Köln. Mal leichter. Mal schwerer. Das trage ich mit mir. Als Mensch und als Bischof. Fehler habe ich sicher auch im Rahmen der Aufarbeitung der Missbrauchsvergehen sowie der damit verbundenen Krisenkommunikation gemacht. Da habe ich auch Schuld auf mich geladen. Das tut mir von Herzen leid. Dennoch möchte ich Ihnen versichern: Es ging und es geht mir um konsequente Aufarbeitung und dabei zuerst und zuletzt darum, dass das Leid der Betroffenen das Handeln bestimmt – und nichts anderes.“ Er verweist erneut auf die Vorlage des Gercke-Gutachtens am März. „Tatsächlich benötige ich als Bischof hinsichtlich aller relevanten Personen eine bestimmte qualitative und quantitative Faktenlage, die ein klares und konsequentes Veränderungshandeln dann auch nachhaltig möglich macht.“

1. März 2021

Bereits einen halben Tag nach der Freischaltung der Kirchenaustrittstermine beim Amtsgericht Köln für den Monat Mai sind sämtliche 1500 Online-Angebote ausgebucht. Behördensprecher Maurits Steinebach sagt dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, wegen der immensen Nachfrage habe das Gericht das bereits im Januar von ca. 650 auf 1000 Termine aufgestockte Angebot noch einmal um 500 Termine ergänzt. Damit wird bereits nach fünf Monaten mit 6250 Austritten annähernd die Gesamtzahl der Austritte im „Corona-Jahr“ 2020 (6690) erreicht. Aufs Jahr hochgerechnet, müssen die Kirchen bei anhaltend hohen Zahlen sogar mit einem neuen Höchststand an Austritten rechnen, nämlich knapp 17.000. Der bisherige Rekord lag 2019 bei knapp 10.100 Austritten, 2018 hatten 7400 Menschen den Kirchen den Rücken gekehrt.

Einen vorübergehenden Zusammenbruch des Servers am Beginn des Monats Februar, an dem die Austrittstermine für April freigeschaltet worden waren, erklärt das zuständige Justizministerium in Düsseldorf als ein Zusammenspiel deutlich erhöhter Zugriffe und eines Software-Problems. Dieses sei habe zur „Komplettauslastung“ des Systems geführt. Ohne die hohe Zahl gleichzeitiger Zugriffsversuche wäre es allerdings nach Kleins Einschätzung nicht zu dem Crash gekommen. Inzwischen sei das Problem behoben.

6./7. März 2021

In seiner wöchentlichen Videobotschaft kündigt Kardinal Rainer Woelki für die Zeit nach der Vorlage des Gercke-Gutachtens ein umfassendes Durchgreifen an. Sowohl die Institution Kirche als auch die Verantwortungsträger müssten Konsequenzen daraus ziehen, „wo wir als Kirche Fehler gemacht haben und schuldig geworden sind“, sagt Woelki auf „domradio.de“. „Um diese wichtigen Entscheidungen schnell und entschlossen, aber auch mit der gebotenen Sorgfalt treffen zu können, werde ich im Gutachten genannte Personen – wenn es nötig ist – vorläufig von ihren Aufgaben entbinden“. Er sei zutiefst davon überzeugt, „dass nur die Wahrheit uns befreien kann“. Sich selbst bezieht Woelki ausdrücklich ein. Er werde sich den Ergebnissen der Untersuchung stellen, sofern sie ihn beträfen. „Dasselbe erwarte ich aber auch von anderen.“ Nach Bekanntgabe der Ergebnisse im Gercke-Gutachten „müssen wir zügig drangehen, welche Veränderungen es in unserem Bistum geben muss. Denn Vertuschung oder Mauschelei darf es nicht mehr geben. Zu dieser Haltung stehe ich.“ Erste Ergebnisse zu möglichen Konsequenzen sollen nach Angaben des Erzbistums am 23. März mitgeteilt werden. Zwei Tage später, am 25. März, werde dann auch das WSW-Gutachten in einer teils anonymisierten Form Opfern, Journalisten und der interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht, damit diese dann „selbst einen Vergleich ziehen“ könnten.

18. März 2021

Vorstellung des Gutachtens durch Professor Björn Gercke, Kanzlei Gercke und Wollschläger.