Gesundheitsdezernent Harald Rau plant schon die Fortsetzung des „Anonymen Krankenscheins“. Das hat es mit dem Projekt auf sich.
„Patienten sind dankbar“So werden in Köln Menschen ohne Krankenversicherung behandelt
„Es ist eine weit verbreitete Meinung, dass es in Deutschland keine Menschen ohne Krankenversicherung gibt“, sagt Heinrich Flammang. „Doch die Realität sieht anders aus.“ Heinrich Flammang ist pensionierter Mediziner und engagiert sich seit vier Jahren ehrenamtlich bei der „Malteser Medizin für Menschen ohne Krankenversicherung“ (MMM). Ein Team von 45 Freiwilligen behandelt und untersucht am St. Hildegardis Krankenhaus Menschen, die eine medizinische Versorgung brauchen, aber über keine gesetzliche Krankenversicherung verfügen. Entweder, weil sie einen unsicheren Aufenthaltsstatus haben, oder weil sie ihre Privatversicherung nicht mehr zahlen konnten.
Malteser untersuchen Patienten ohne Versicherung
Seit dem vergangenen Jahr bekommen Flammang und die MMM für ihre Arbeit zusätzliche Unterstützung seitens der Stadt Köln. Denn der Stadtrat beschloss im Juni 2023 die Einführung des sogenannten „Anonymen Krankenscheins“. Diesen können Menschen ohne Krankenversicherung bei der MMM oder beim Kölner Gesundheitsamt bekommen. „Wir machen in der MMM bereits sehr viel, können zahnärztliche Behandlungen durchführen, Ultraschalle machen und Laboruntersuchungen veranlassen. In jeder Sprechstunde stoßen wir aber auch an Grenzen“, erklärt Flammang.
„Dann müssten weitere Untersuchungen passieren, wie neurologische Untersuchungen oder Magenspiegelungen. An der Stelle ist der Anonyme Krankenschein eine unglaubliche Hilfe für uns, weil wir weiterführende Behandlungsmöglichkeiten in Gang setzen können.“
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Mit Anonymem Krankenschein sind Besuche beim Experten möglich
Mit dem Anonymen Krankenschein können die Patienten ambulant oder stationär an Experten überwiesen werden, auch Rezepte können so ausgestellt werden. Von Juli bis Dezember wurden 58 Anonyme Krankenscheine ausgestellt, in diesen Fällen hat die Behandlung in den offenen Sprechstunden also nicht ausgereicht. Die Stadt schlüsselt das auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ auf. So wurden beispielsweise zehn Menschen in den psychiatrischen Bereich, neun in die Chirurgie und sieben in die Gynäkologie verwiesen. Aber auch Besuche beim Optiker oder beim Dermatologen wurden „verschrieben“.
Die Herausgabe des Anonymen Krankenscheins erfolgt nach zwei Schritten: Die Patienten bekommen neben der medizinischen Untersuchung auch eine sozialrechtliche Beratung. Diese bieten die Agisra, die Caritas, das Diakonische Werk, der Kölner Flüchtlingsrat und der Rom e.V. an. Auf Wunsch wird der Krankenschein mit einem Pseudonym versehen, um die Daten der Patienten zu schützen. „Das ist in Anbetracht ihrer oft schwierigen Lebenssituationen für die Menschen wichtig“, sagt Heinrich Flammang.
Die Vernetzung zwischen Beratung und Medizin zeigt nach einem halben Jahr Projektlaufzeit erste Erfolge: Laut der Stadt konnten elf Prozent der Beratenen wieder in die gesetzliche Krankenversicherung eingegliedert werden, das entspricht zehn Personen.
Über 7000 Behandlungen an nicht-versicherten Patienten
Insgesamt hat das Kölner Gesundheitsamt im Jahr 2023 knapp 4700 Behandlungen bei Menschen ohne Krankenversicherung durchgeführt. Bei der MMM waren es noch einmal zusätzlich fast 2400 Behandlungen. Die Nachfrage nach niedrigschwelligen Angeboten zur Gesundheitsversorgung ist in Köln also hoch.
Und der Anonyme Krankenschein wird immer besser angenommen, sagt auch Gesundheitsdezernent Harald Rau. „Es hat sich gezeigt, dass wir mit dem Anonymen Krankenschein unser Angebot für Menschen ohne Zugang zum Regelsystem verbessern können. Vorbehaltlich einer Finanzierbarkeit streben wir deshalb an, das Projekt in der Zukunft fortzuführen“, so Rau zum „Kölner Stadt-Anzeiger“.
Aktuell ist das Projekt bis Ende 2024 befristet. Die Kosten für das Projekt wurden beim Ratsbeschluss vergangenes Jahr auf 308.000 Euro für 2023 und 415.000 Euro für 2024 festgelegt. „Es ist toll, dass die Gemeinde Köln das mitträgt“, sagt Heinrich Flammang von der MMM. „Das Konzept ist sehr gelungen und wir hoffen alle, dass das Projekt im nächsten Haushalt wieder berücksichtigt wird.“
Die Patienten seien „überaus dankbar, dass sich jemand um sie kümmert“, erzählt der Arzt. Wenn sie dann noch eine weiterführende Behandlung bekommen, wäre das das „Sahnehäubchen“. Sich um arme Menschen, obdachlose Menschen und Geflüchtete zu kümmern, sei wichtig. „Als Gesellschaft müssen wir uns darüber definieren, wie wir mit den Schwächsten umgehen. Wir sprechen hier immer noch über Menschen“, sagt Flammang.