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Feinstaub, Klimaschutz, InternetWie die EU die Stadt Köln in fast jedem Bereich beeinflusst

Lesezeit 7 Minuten
Köln: Blick auf den Verkehr am Clevischen Ring in Mülheim.

Eine der Hauptverkehrsadern Kölns ist der Clevische Ring. Die Feinstaubbelastung ist hier hoch. (Archivfoto)

Der Einfluss der EU auf Köln ist gewaltig. Warum es wichtig ist, an der Europawahl teilzunehmen. Ein Überblick.

Einheitliche Währung, freies Reisen und freie Märkte, Unterstützung von Landwirtschaft und strukturschwachen Regionen, länderübergreifender Klimaschutz und, nicht zuletzt: die Sicherung des Friedens in Europa. Die EU hat enormen Einfluss auf unser Leben – auch in Köln. Sichtbar ist sie oft nicht. Auch deswegen ist die Beteiligung an Europawahlen geringer als bei Bundestagswahlen: 2019 beteiligten sich in Köln 64,6 Prozent der Wahlberechtigten an der Wahl fürs Europäische Parlament – bei der Bundestagswahl waren es 77,8 Prozent. Wir haben Beispiele für den Einfluss der EU auf Köln zusammengefasst.

Mittelstand

„Hätten wir die EU nicht, müssten wir sie erfinden“, sagt Harald Goost, Geschäftsführer des Kölner Arbeitskleidungsherstellers Bierbaum-Proenen. „Einheitliche Märkte und Währungen bedeuten eine der größten Bürokratieentlastungen überhaupt.“ Für Arbeitskleidung eröffne die EU mit einheitlichen Standards zum Beispiel für Hitze- und Flammschutz „einen riesigen Markt mit großen Möglichkeiten“. Auch der „Green Deal“ für mehr Klima- und Umweltschutz in der EU mit dem Ziel, bis 2050 klimaneutral zu werden, habe „gute Ansätze“, allerdings sei „der Bürokratieaufwand enorm“, sagt Fabian Kusch, Leiter der Abteilung Nachhaltigkeit bei Bierbaum-Proenen.

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Hätten wir die EU nicht, müssten wir sie erfinden. Einheitliche Märkte und Währungen bedeuten eine der größten Bürokratieentlastungen überhaupt
Harald Goost, Geschäftsführer des Arbeitskleidungsherstellers Bierbaum-Proenen

„Die angeforderten Berichte haben zum Teil Ausmaße von Doktorarbeiten.“ Sechs Mitarbeiter seiner Abteilung und ein Wirtschaftsprüfer seien zuletzt fünf Arbeitstage mit der „Durchdringung der EU-Taxonomie beschäftigt“ gewesen.

Blick auf Näher in einer Fabrik

Produktion von Arbeitskleidung des Kölner Unternehmens Bierbaum-Proenen in Tunesien

Unter der so genannten EU-Taxonomie werden Umweltziele zusammengefasst. Allein, um den EU-Verordnungen zu Verpackungen gerecht zu werden, müsse das Unternehmen sich in zahlreichen Verbänden registrieren, Logos beziehungsweise Etiketten abstimmen und drucken, Entsorgungsrichtlinien berücksichtigen, sagt Harald Goost. Fazit: „Die EU ist ein Segen, aber wir brauchen ein Weniger an Bürokratie.“

Konzerne

Der Kölner Lanxess-Konzern betont die Vorteile der EU: Der Europäische Binnenmarkt garantiere „neben der Freizügigkeit von Dienstleistungen, Kapital und Menschen auch den freien Warenverkehr und die Beseitigung der EU-internen Handelshemmnisse“, sagt ein Sprecher. „Dadurch hat er das Wirtschaftswachstum maßgeblich gefördert und den Aufbau umfassender Wertschöpfungsketten in ganz Europa ermöglicht.“ Lanxess erzielt fast 30 Prozent seines weltweiten Umsatzes im europäischen Ausland.

Green Deal der EU: 14.000 Seiten neue Gesetzgebung und Vorschriften

Zum sogenannten „Green Deal“ für mehr Klima- und Umweltschutz äußert sich der Konzern besorgt: Die Bürokratie sei „überbordend“. In der EU ansässige Unternehmen müssten über 14.000 Seiten neue Gesetzgebung verfolgen und die darin enthaltenen Vorschriften einhalten. „Das geht mit einem immensen Mehraufwand und Dokumentations- und Berichtspflichten einher, die die europäischen Industrieunternehmen massiv belasten und ihre Wettbewerbsfähigkeit in hohem Maß gefährden.“ Die Richtlinie zur unternehmerischen Nachhaltigkeitsberichterstattung, das EU-Lieferkettengesetz und eine neue Industrieemissionsrichtlinie seien Beispiele dafür, „wie wir uns durch Brüsseler Überregulierung und Bürokratismus selbst schaden, ohne dadurch die Welt signifikant zu verbessern“.

Stadtplanung und Wohnungsbau

Großen Einfluss auf die Kölner Stadtplanung hat das europäische Umweltrecht. Zuletzt wurde eine Erleichterung zum Bauen im Außenbereich, die das Bundesbaugesetz eingeführt hatte, mit Verweis auf europäisches Umweltrecht gekippt. Betroffen war auch ein Bauvorhaben in Köln. Eine Forderung aus Brüssel lautet: Kapital soll ökologisch nachhaltiger investiert werden. Deswegen fordern Geldgeber höhere Nachhaltigkeitskriterien bei Projektentwicklern ein. Aus Sicht der Stadt Köln ist das gut, weil die Forderung das hehre Ziel, bis 2035 klimaneutral zu werden, unterstützt. Für Unternehmen bedeutet es mitunter weniger Anreiz, neu zu bauen – gerade im Bereich des sozialen Wohnungsbaus. Das steht im Kontrast zum Europawahlprogramm vor allem von SPD, Grünen und Linken, die bezahlbares Wohnen als grundlegend betrachten und sich für EU-Förderungen in diesem Bereich stark machen.

Handwerk

„Das Handwerk sagt Ja zu Europa. Aber wir erwarten umgekehrt, dass Europa auch Ja zum Handwerk mit seinen spezifischen Belangen sagt“, sagt Hans Peter Wollseifer, Präsident der Handwerkskammer. „Ob Gebäudesanierung, Einbau von Wärmepumpen oder Wartung von E-Fahrzeugen: Die Klimawende ist nur mit dem Handwerk zu schaffen.“ Mehr Bürokratie in Form von Dokumentations- und Nachweispflichten schade den kleinen und mittelständischen Betrieben. Für die erneuerbaren Energien sei eine „langfristige und transparente Förderung durch die EU entscheidend, damit sich Handwerksbetriebe und Investoren darauf einlassen können“, so Wollseifer.

Von vielen EU-Gesetzen ist das Handwerk in Köln unmittelbar betroffen, so vom Energie- und Klimapaket „Fit für 55“, das Richtlinien für erneuerbare Energien und Emissionshandel regelt. Eine strikte Reglementierung für fluorierte Treibhausgase bedeute das Verbot neuer Anlagen und die Beschränkung der Wartung und Instandsetzung alter Anlagen – es treffe Kälteanlagenbauer, Anlagenmechaniker für Sanitär und Heizung oder Fleischer, Konditoren und Bäcker mitunter hart.

Digitalisierung

Der digitale Wandel der Gesellschaft wird aus Brüssel gesteuert. Dazu hat die EU-Kommission ein Strategiepapier verabschiedet, das vorsieht, dass bis 2030 alle Haushalte über Breitbandanschlüsse verfügen, alle wichtigen öffentlichen Dienste online verfügbar sind und drei von vier Unternehmen Künstliche Intelligenz nutzen. Die EU hegt auch das Internet ein und schützt vor Hass und Fehlinformationen: Mit dem so genannten Facebook-Gesetz (Digital Services Act, 2023) werden Plattformen wie Facebook, X oder Instagram verpflichtet, härter gegen illegale Inhalte vorzugehen. Bereits 2018 hat die EU eine Verordnung verabschiedet, die ein einheitliches digitales Zugangstor zu Verwaltungsleistungen in Europa vorsieht.

Ohne die EU würden in der Kölner Verwaltung auch in zehn Jahren noch Fax-Geräte benutzt

Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen müssen grenzübergreifend nutzerfreundlich Zugriff auf Informationen und 21 Dienstleistungen der EU haben, zum Beispiel auf die Beantragung von Sozialversicherungen, die Gründung und Schließung von Unternehmen oder die Ausstellung von Geburtsurkunden. So wird die Digitalisierung auch in Köln beschleunigt. Weitere Verordnungen regeln die sichere Datenübertragung zwischen Unternehmen, Behörden und Bürgern, die Nutzerfreundlichkeit von Behörden oder die Veröffentlichung staatlicher Daten. Fazit: Hört sich sperrig an, doch ohne die EU wäre das Internet ein rechtsfreier Raum, Künstlicher Intelligenz würden keine Grenzen gesetzt, Informationen wären auf keinem digitalen Wege sicher – und (auch Kölner) Behörden würden in zehn Jahren noch Fax-Geräte nutzen.

Kurzzeitvermietungen

Viele Wohnungen werden auch in Köln zur Kurzzeitmiete angeboten und sind damit für den freien Wohnungsmarkt verloren. In der Europäischen Union machen Kurzzeitmieten über Anbieter wie Airbnb oder booking.com ein Viertel aller Touristenunterkünfte aus – auch in Köln ist der Markt stark gewachsen.

Ein Tourist, der eine Übernachtung über das Onlineportal Airbnb gebucht hat, kommt in Berlin mit seinem Koffer in der gemieteten Wohnung an.

Auch in Köln werden immer mehr Wohnungen kurzzeitvermietet. Nicht immer ist das legal. Die EU hegt Internetplattformen wie Airbnb ein.

Schon seit Juli 2022 gilt in Köln eine Registrierungspflicht bei einer Kurzzeitvermietung von Wohnraum. Ende 2023 waren in Köln 4294 Anbieterinnen und Anbieter von Kurzzeitvermietung registriert. Eine neue Verordnung, die im März 2024 verabschiedet wurde, regelt eine Registrierung EU-weit. Plattformen werden zudem verpflichtet, sich genau über die Gastgeber zu informieren und somit zu kontrollieren, ob die Vermieter registriert sind und ihre Wohnungen nicht als zweckentfremdet gelten.

Luftverschmutzung

Die Grenzwerte für Luftschadstoffe werden in Brüssel festgelegt. Jüngst hat die EU sich auf neue Obergrenzen geeinigt – so sollen Feinstaubpartikel bis zum Jahr 2030 um 60 Prozent gesenkt werden. Bürger sollen Anspruch auf Entschädigung haben, wenn sie wegen nicht eingehaltener Grenzwerte krank werden. Mit dem so genannten Mobilitäts-Cockpit erfasst die Stadt Köln Verkehrslage und Luftschadstoffe in Echtzeit. So können Rückschlüsse von Verkehrsaufkommen und Luftqualität gezogen werden. Ampelschaltungen können verkehrsabhängig programmiert, Hinweise auf verkehrssteuernden Tafeln geschaltet werden. Auch Ereignisse, die viel Verkehr verursachen, werden dokumentiert und analysiert. Die Stadt Köln arbeitet für das Projekt mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) zusammen.

Industrie und Handel

Wie Handwerkskammer, Unternehmen und Konzerne sieht die IHK Köln vor allem die Vorteile der EU, verweist aber auch auf die globale Wettbewerbsfähigkeit, die sich in den vergangenen Jahren durch „Bürokratieaufbau und mangelnde Sicherheit bei der Energieversorgung“ verschlechtert habe. Zur Europawahl fordert die Kölner IHK eine einheitliche EU-Zuwanderungspolitik, um den Fachkräftemangel zu mindern, die Reduzierung von Anzeige- und Meldepflichten und weniger Steuerbürokratie, die Förderung des freien Handels, koordinierte Maßnahmen gegen hohe Energiepreise und die Förderung von industriellen Innovationen, um Unternehmen in Europa zu halten.

Bildung

Die EU unterstützt aktuell 18 exzellente Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität zu Köln, die für die Dauer von bis zu fünf Jahren mit bis zu 2,5 Millionen Euro gefördert werden können. In Köln sind zahlreiche EU-Forschungsprojekte, zum Beispiel zur Erforschung von Impfstoffen, zur Behandlung von Krebs, seltenen Augenkrankheiten oder zu Alterungsprozessen angesiedelt.

Die Albertus-Magnus-Statue vor dem Hauptgebäude der Kölner Uni.

Die EU unterstützte viele Forschungsprojekte der Universität zu Köln. Im Bild die Die Albertus-Magnus-Statue vor dem Hauptgebäude.

Die Europäische Hochschulallianz (EUniWell) wird von der Universität zu Köln geleitet und koordiniert. Die EU unterstützt auch in großem Maße die Digitalisierung an Schulen.

Aktuelles

Über das Projekt „Starkes Veedel — starkes Köln“ fördert die EU die Armutsbekämpfung in Kölner Brennpunktgebieten. Das Hilfsprogramm „Plan 27“ unterstützt junge Menschen mit psychischen Problemen. „Jugend stärken im Quartier“ heißt ein EU-gefördertes Programm für Jugendliche und junge Erwachsene im Übergang von Schule zum Beruf.