Ein hochkarätiges Podium in der Karl-Rahner-Akademie beschäftigte sich mit der Kölner Wohnungsbaukrise.
Wohnungsnot in KölnGerhart Baum ruft zum Aufbruch auf – Eindringlicher Appell an Stadt und Kirche
Mit dem Begriff der Zeitenwende ist sensibel umzugehen, zumal das Wort seit der Rede des Bundeskanzlers nach dem russischen Angriff auf die Ukraine inflationär verwendet wird. Im Falle einer Resolution gegen die Wohnungsnot in Köln, über die am Montagabend in der Karl-Rahner-Akademie ein hochkarätig besetztes Podium diskutierte, ist den Initiatoren allerdings keine Unbedachtsamkeit vorzuwerfen: „Obdachlosigkeit beenden – Wohnungsnot beseitigen, Köln braucht eine wohnungspolitische Zeitenwende“ haben Thomas Breustedt, Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Bickendorf-Ossendorf, Rainer Kippe von der Sozialistischen Selbsthilfe Mülheim und Kalle Joest vom Verein Mach Mit betitelt. Zeitenwende, weil in Köln 8170 Menschen als wohnungslos registriert sind und die Stadt ihr Ziel, 6000 Wohnungen pro Jahr zu bauen, alle Jahre wieder meilenweit verfehlt.
Wohnungsnot: Kölner Initiative fordert Politik nach Vorbild von 1971
Moderator Martin Stankowski erinnert vor rund 170 Menschen im überfüllten Saal daran, dass eine Neuausrichtung in der Wohnungspolitik in Köln schonmal gelungen sei: 1971 herrschte in Köln gleichfalls große Wohnungsnot und es gab viele Obdachlose. Im Kölner Rat bildete sich auf Initiative der SPD-Ratsfraktion mit CDU und FDP ein Bündnis, das in wenigen Jahren über 20.000 neue preiswerte Wohnungen geschaffen habe.
Die Resolution fordert eine Wohnungspolitik nach dem Vorbild von 1971: Mit Geld von Bund und Land und städtischen Mitteln sollen in den kommenden zehn Jahren in Köln eine Milliarde Euro für bezahlbares Wohnen investiert werden. So sollen schnellstmöglich 20.000 neue, preisgünstige Wohnungen entstehen. Für das Ziel, die Obdachlosigkeit bis 2030 abzuschaffen, sollen ausreichend Plätze geschaffen werden. Housing-First müsse konsequent ausgebaut, ein vorbeugendes Betreuungsangebot für Obdachlose geschaffen werden.
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Er unterschreibe die neue Resolution „zu 100 Prozent“, sagt Gerhart Baum, 1971 Fraktionschef im Kölner Stadtrat, später Bundesinnenminister und längst als alter Staatsmann das Gewissen der FDP.
Dem 91-Jährigen ist es vorbehalten, in einem Grußwort zu fordern, dass „die Stadt Köln dafür sorgen muss, dass Menschen menschenwürdig untergebracht werden“. Zur Lösung „eines der dringendsten sozialen Probleme“ müsse eine „Strategie her. Dies hier muss der Anfang für einen Aufbruch sein!“
An Forderungen und Vorschlägen mangelt es an diesem Abend nicht. SPD-Fraktionschef Christian Joisten sagt, der Wohnungsbau müsse „in der Stadt endlich an allererster Stelle stehen“ und bringt einen verstärkten Werkswohnungsbau ins Spiel – die Wohnungsgesellschaft der Stadtwerke (WSK) habe eine ausgezeichnete Expertise, die großen Arbeitgeber fänden den Ansatz interessant. „Es braucht aber den gesamten Kanon an Möglichkeiten, um das Problem zu lösen“, so Joisten.
Sein Eindruck sei, dass „das Thema Bauen und Wohnen oft nicht oben auf der Agenda steht, weder im Land noch in Berlin“, sagt der Kölner Landtagsabgeordnete Arndt Klocke, bei den Grünen Sprecher für die Themen Bauen und Wohnen. Fatal sei, dass es den freien Wohnungsbau „fast nicht mehr gibt“ – viele Baukonzerne hätten sich aufgrund gestiegener Preise und geringer Renditen zurückgezogen. Immerhin gebe es in NRW eine Wohnraumförderung mit 1,5 Milliarden Euro im Jahr, von denen Köln 100 Millionen Euro erhalte.
45.000 GAG-Wohnungen in Köln
Dieses Fördergeld helfe enorm, aus der Sozialbindung herausfallende Wohnungen zu sanieren, in der Preisbindung zu halten und neue Wohnungen zu bauen, sagt Kathrin Möller, Vorständen der GAG. Von 45.000 GAG-Wohnungen in Köln seien 60 Prozent preisgebunden und kosteten im Schnitt 7,20 Euro Kaltmiete. Wie Konrad Adenauer vom Haus- und Grundbesitzerverein mahnt Möller, „endlich Bürokratie abzubauen“. Das Problem seien nicht die Grundstücke noch das Geld, sondern die Zeit, die es in Köln brauche, um diese zu bebauen. Sie erinnert an die Parkstadt-Süd und das geplante Neubaugebiet Kreuzfeld: „Seit wie vielen Jahren reden wir über diese Projekte?“
Gewohnt unterhaltungswertig bringt sich Franz-Xaver Corneth, Vorsitzender des Kölner Mietervereins, ein: „Drei bis vier Jahre für Bauanträge sind ein Irrsinn, das ist Köln!“, ruft er. „Wir müssen rauskommen aus dem Labern und alle anpacken.“ Mit einem Seitenhieb auf die katholische Karl-Rahner-Akademie forderte er die Orden, „die keinen Nachwuchs bekommen“, dazu auf, „ihre leerstehenden Grundstücke zur Verfügung zu stellen, um weltliche Probleme zu lösen“.
Konrad Adenauer fordert, endlich russische Wohnungen zu nutzen
Die leerstehenden Wohnblöcke russischer Staatsunternehmen müssten „endlich geöffnet und fürs Wohnen genutzt werden“, fordert Konrad Adenauer. Es gehe nicht um Enteignung. „Dafür werden Depots angelegt, auf das die Russen zugreifen können, sobald sie ihren völkerrechtswidrigen Krieg beenden.“
Ein festes Kontingent an Wohnraum für Obdach- und Wohnungslose wünscht sich Monika Scholz, Leiterin des Johanneshauses, der größten Einrichtung für Obdachlose in Köln. „Unsere Klientel steht immer ganz hinten an – ihre Chancen, auf dem freien Wohnungsmarkt eine Wohnung zu bekommen, ist gleich Null.“
In einem Intermezzo vergleicht Kabarettist Jürgen Becker die Mieten von heute mit der römischen Stadtmauer: „Sie entscheiden darüber, wer rein darf in die Stadt und wer nicht.“ Schließlich schlägt Becker vor, den Kölner Dom mit Raufasertapete zu renovieren und zum Wohnraum umzuwidmen.
Ein Diskurs entsteht an diesem Abend nur bedingt. Das Signal für einen Aufbruch? Wer weiß.