Endlich gibt es wieder neue Ausstellungen in Köln: Das Wallraf zeigt niederländische Meeresmalerei aus einer Kölner Privatsammlung.
Die Gemälde stammen aus der goldenen Zeit der niederländischen Kunst und sind erstmals in einem Museum zu sehen.
Es geht um das Leben mit dem Meer, um Sturm und Abenteuer und um den Stolz einer Schifffahrernation.
Man kann geradezu entdecken, wie eine Naturgewalt den Nationalcharakter formt.
Köln – Als Erdbewohner verbindet man mit dem Meer vor allem Dramen. Man kann nicht auf dem Wasser laufen, was misslich ist, und selbst wenn man es könnte, erschiene einem die See so unendlich öde und leer, dass jede Wüste ein Paradiesgarten dagegen wäre. Auch Schiffe bieten nur trügerische Sicherheit: Xerxes peitschte die Wellen, nachdem diese seine Flotte vernichtet hatten, und in einer antiken Sage verflucht ein Schiffbrüchiger die See dafür, dass sie ihn mit ruhigem Antlitz ins Verderben lockte. Doch so wenig man eine Naturgewalt bestrafen kann, so wenig kann man mit ihr streiten: „Schimpf nicht auf mich“, verteidigt sich die See, „sondern auf die Winde, die mich derart aufgewühlt haben.“ Schuld ist keine Kategorie, mit der man einer Meeresgöttin kommen kann.
Was einem bei den niederländischen Seestücken des 17. Jahrhunderts als erstes auffällt, ist die Abwesenheit von Dramen. Auch hier trägt das Meer nicht immer ein glattes Gesicht, gibt es Seenot, Unglück und manchmal sogar Schlachtgetümmel. Aber man kann sich trotzdem kaum vorstellen, dass ein wutentbrannter Reeder mit der Peitsche durch die Dünen stapft, um ein verlorenes Segelschiff zu rächen. Als stolze Handels- und Schifffahrernation hatten die Niederlande gelernt, die See zu nehmen, wie sie ist, und ihre wankelmütige Natur in die Geschäfte einzupreisen. Unterm Strich waren die in Stürmen verlorenen Waren und Menschenleben gut investiert.
Beinahe so versöhnlich wie Kaufleute blickten die niederländischen Maler des Goldenen Zeitalters auf die See – erstere waren schließlich ihre besten Kunden. So trug das Meer auch zu ihrem Wohlstand bei, was sicherlich half, dessen malerische Seiten zu betonen. In gewisser Hinsicht ähnelten stilbildende Künstler wie Jan Porcellis dabei den weit gereisten Entdeckern: Auch sie betraten Neuland, mischten verstärkt Naturtreue unter die Fantasie und lockerten die Fesseln der christlichen Symbolik; man malt wohl ungezwungener, wenn man nicht in jedem Sturm ein göttliches Strafgericht vermutet und in jeder weißen Wolke den Abglanz einer reinen Seele sieht. Aus religiösen Botschaften wurden so Metaphern der Lebenswirklichkeit. Wechselnde Wetter standen für die Unbeständigkeit des Glücks, gehisste Segel für den Aufbruch in eine hoffnungsvolle, aber ungewisse Zukunft.
Unter dem Titel „Poesie der See“ zeigt das Kölner Wallraf-Richartz-Museum jetzt 20 Werke aus der großen Zeit der niederländischen Marinemalerei. Sie stammen aus einer Kölner Privatsammlung und vermitteln, so versichert Anja Sevcik, Barockkuratorin des Wallraf, einen guten Eindruck vom Gesamtbild dieser Malerei. Bei der enormen künstlerischen Produktivität des Goldenen Zeitalters klingt das zwar ambitioniert. Andererseits ist die Landschaft der Seestücke beinahe so übersichtlich wie die Niederlande selbst; ihr Reichtum zeigt sich im Detail.
Am Anfang der Schau steht eine „Südliche Küstenlandschaft mit Schiffen“ (1586) von Hendrick Cornelisz Vroom, dem eigentlichen Begründer der Marinemalerei, die hier noch ganz in der Tradition fiktiver Weltlandschaften steht. Die See ist eine Bühne, die Menschen sind Darsteller, und die Landschaft ist aus Requisiten eines Ideals zusammengesetzt, das sich von allen Weltgegenden das Beste nimmt. Bei Porcellis ist 25 Jahre später schon alles anders. Er blickt auf Meereshöhe auf die heimische See, der Horizont liegt entsprechend niedrig, die Farben gehen Ton in Ton mit dem Erlebnis der Natur.
Auch kleinere Meister wie Jacob Adriaensz Bellevois oder Ludolf Backhuyzen müssen das Geschehen nicht über Gebühr dramatisieren, weil ihre Kunden wissen, was auf dem Spiel steht. Auf Backhuyzens „Einschiffung eines Admirals“ (1675) soll die aufgewühlte See nicht die Gefahr betonen, sondern den Stolz darauf, die Naturgewalten so weit gezähmt zu haben, dass sie in nationalen Diensten stehen. Wie zäh dieser schwer erkämpfte Triumph jeden Tag verteidigt werden muss, zeigen in Köln vor allem die unscheinbaren Kleinformate. Bei Pieter Mulier erklimmen Fischer einen Wellenberg, bei Maerten Fransz van der Hulft hält eine einsame Figur Wache auf dem Deich.Menschen sieht man sonst kaum, das niederländische Seestück feiert nicht das Individuum, sondern den von der heimischen Landschaft geformten Nationalcharakter. Und natürlich feiern die Maler sich selbst und ihre Fähigkeit, ausgerechnet auf dem Meer, wo alles immer in Bewegung ist, auf der Höhe ihrer Kunst zu sein.
„Poesie der See – Niederländische Marinemalerei des Goldenen Zeitalters“, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Obenmarspforten, Köln, Di.-So. 10-18 Uhr, bis 11. April 2021